Redner(in): Horst Köhler
Datum: 4. September 2007

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/09/20070904_Rede.html


Der Mensch ist laut Friedrich Schiller erst da ganz Mensch, wo er spielt. Und Johan Huizinga hat uns gezeigt, dass jedes Spiel von Regeln lebt. Die aber wollen gelernt sein, sodass der Schluss erlaubt ist: Der Mensch ist erst da ganz Mensch, wo er lernt. Dafür bringen wir alle beste Voraussetzungen mit: Denn das Wissenwollen, Begreifenwollen und Könnenwollen ist in jeder und jedem von uns angelegt. Gute Bildung hilft, diese natürliche Neugierde wach und hungrig zu halten. Und gute Bildung ermöglicht es jeder und jedem von uns, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und dem eigenen Leben Richtung zu geben.

Darum ist gute Bildung das wichtigste Kapital, das wir jungen Menschen mit auf den Weg geben können. Sie ist ein unersetzlicher Beitrag zur Chancengleichheit und damit zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Und sie ist ein entscheidender Faktor für den beruflichen Erfolg des Einzelnen und den unseres ganzen Landes.

Gute Bildung braucht bestmögliche Rahmenbedingungen. Von denen sind wir leider noch ein gutes Stück entfernt, und darüber wird seit einigen Jahren zu Recht viel diskutiert. Manches ist auch verbessert worden - doch trotz der Bemühungen der jüngsten Zeit bleibt viel zu tun. Das soll aber heute nicht im Vordergrund stehen. Heute soll es um Erfolgsgeschichten gehen.

Bildung braucht Vorbilder. Sie lebt von Menschen, die andere Menschen auf ihrem Weg anleiten und begleiten. Sie braucht Mentoren, die unterstützen, die fordern und fördern, die den Sinn der Bildungs-Mühen aufzeigen und die mit Geduld und Überzeugungskraft darauf beharren, dass, wer ein Ziel erreichen will, den Weg dorthin nicht scheuen darf.

Jeder von uns kann ein Bildungs-Vorbild sein: Eltern und Großeltern, Nachbarn, Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer, Mitschüler, Jugendbetreuer, Sporttrainer, Seelsorger, Unternehmerinnen und Unternehmer - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Sie, meine Damen und Herren, sind solche Vorbilder! Sie sind - ob als Profi oder im Ehrenamt - in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig, aber es verbindet Sie der engagierte Einsatz für gute Bildung. Manche von Ihnen werden vielleicht einwenden: "Ich mache doch nur meine Arbeit". Aber Sie alle tun mehr als das, und die meisten von Ihnen engagieren sich weit über Ihre beruflichen und familiären Verpflichtungen hinaus. Andere zu einer besseren Bildung zu ermutigen und zu befähigen, das ist für Sie nicht allein Beruf, sondern Berufung.

Unter Ihnen sind Menschen, die dafür sorgen, dass Kinder mit und ohne Behinderung und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund es als normal erleben, gemeinsam zu lernen, statt getrennt zu sein. Sie praktizieren Integration und reden nicht nur darüber.

Unter Ihnen sind Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schüler schon früh und lebensnah an die Berufswelt, an wissenschaftliches Arbeiten, an kreative Erfahrungen und an Themen jenseits der Lehrpläne heranführen; Lehrerinnen und Lehrer, die sich mit besonderem Engagement in das Schulleben und in die Schulentwicklung einbringen. Durch Ihre Arbeit erfahren Kinder, dass sie nicht nur für die Schule, sondern für das Leben lernen und dass jede Bildungsanstrengung - und Bildung verlangt auch Anstrengung! - ihren Lohn in sich trägt. Das können die jungen Menschen, die mit Musik und Literatur unsere Feierstunde verschönern, ebenso bestätigen wie die Mädchen und Jungen aus den Schülerfirmen der Kepler-Oberschule und der Kurt-Löwenstein-Oberschule hier in Berlin, die nachher für unser leibliches Wohl sorgen werden.

Unter Ihnen sind Unternehmer, deren gesellschaftliches Engagement sich nicht in der Klage über mangelnden und mangelhaft ausgebildeten Nachwuchs erschöpft, sondern die aktiv die Zusammenarbeit mit Schulen suchen. Sie helfen jungen Menschen, sich durch Praktika und Bewerbungstrainings schon vor ihrem Schulabschluss auf das Berufsleben vorzubereiten. Sie bieten über Jahre hinweg mehr Ausbildungsplätze an, als Ihr eigenes Unternehmen benötigt. Und Sie wissen, dass Bildung eine Lebensaufgabe ist, die nicht mit der Aushändigung des Gesellenbriefes endet, und investieren deshalb in die Fort- und Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter.

Unter Ihnen sind Menschen, die durch Bücher oder Sendungen dazu beitragen, dass es auch in unserer schnelllebigen Medienlandschaft anregende, ideen- und geistreiche Unterhaltungsangebote gibt, die vor allem bei jungen Menschen Neugierde und Freude am Lernen wecken. Das tun übrigens auch die Lesepaten, die Kinder dazu ermuntern, sich durch gute Bücher die Welt zu erschließen.

Sie alle leisten Tag für Tag Großartiges für die Bildung in unserem Land. Sie alle halten Wilhelm von Humboldts Aufforderung lebendig: "Bilde Dich selbst und dann wirke auf andere, durch das, was du bist".

Für Sie ist es selbstverständlich, sich für andere einzusetzen, zu motivieren und Anstrengungen anzuerkennen. Dafür haben Sie selbst Dank und Anerkennung verdient. Die schönste Anerkennung für Ihre Mühen sind gewiss die Dankbarkeit und der Erfolg der Menschen, mit denen und für die Sie arbeiten. Aber die Anerkennung, die ich Ihnen heute im Namen unseres ganzen Landes spenden möchte, die hat auch ihren Wert.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin über die Bedeutung von Vorbildern gesprochen, und Vorbilder sind am wirksamsten, wenn sie deutlich erkennbar sind. Vorbilder sichtbar machen - das ist eine der Funktionen des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Der Orden ist zuallererst ein Zeichen des Dankes an Sie - und darüber hinaus ein Zeichen der Ermunterung und Ermutigung für andere, es Ihnen gleichzutun. Verstecken Sie ihn also nicht, sondern tragen Sie ihn munter!

Gute Bildung für alle - der Weg zu diesem Ziel beginnt mit jedem Menschen neu. Wir müssen künftig viel mehr dafür tun, auf diesem Weg möglichst alle mitzunehmen und weit voranzubringen. Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, sie tun seit langem viel dafür. Danke schön!