Redner(in): Horst Köhler
Datum: 28. Oktober 2007

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/10/20071028_Rede.html


Infolge technischer Probleme konnte Bundespräsident Horst Köhler nicht persönlich nach Aachen kommen, um das Grußwort vorzutragen. )

Die Bundesstiftung Umwelt hat wieder einmal herausragende Preisträger für den 15. Deutschen Umweltpreis gekürt. Wir werden gleich mehr über sie erfahren. Eines können wir aber jetzt schon festhalten:

Sie, liebe Preisträger, haben sich nicht nur - auf ganz unterschiedliche Weise - für den Klimaschutz engagiert. Sie machen uns auch alle Mut. Den Mut, dass wir es schaffen können, Antworten zu finden auf drängende Zukunftsfragen: Wie verhindern wir, dass der Klimawandel Millionen von Menschen die Nahrungsgrundlage und die Heimat nimmt? Wie schützen wir die natürlichen Lebensgrundlagen unserereinenWelt?

Diese Fragen werden nicht mehr allein in Expertenzirkeln diskutiert, sie bewegen die Öffentlichkeit - bei uns in Deutschland und weltweit. Das verdanken wir nicht zuletzt den diesjährigen Friedensnobelpreisträgern - dem Weltklimarat IPCC und dem früheren US-Vizepräsidenten Al Gore. Die profunde wissenschaftliche Analyse des Weltklimarates hat uns eindringlich vor Augen geführt: Es muss gehandelt werden, und zwar jetzt. Denn je länger wir warten, desto enger wird unser Handlungsspielraum und desto teurer werden uns die Folgen des Klimawandels zu stehen kommen.

Es ist daher gut, dass die Vereinten Nationen bei ihrer Generalversammlung vor einem Monat den Klimaschutz ganz weit oben auf die Agenda gesetzt haben. Davon sollte auch ein Signal für die im Dezember anstehende Klimakonferenz in Bali ausgehen. Dort müssen die Umweltminister einen klaren Fahrplan vereinbaren, damit die Verhandlungen über die Nachfolge des Kyoto-Protokolls bis 2009 erfolgreich abgeschlossen werden können.

Über das Ziel besteht weitgehend Einigkeit: Bis zur Mitte des Jahrhunderts müssen die globalen CO2 -Emissionen halbiert werden. Die größte Umstellung steht dabei den Bewohnern der industrialisierten Welt bevor: Wir Deutschen verursachen im Jahr durch unseren Energie- und Ressourcenverbrauch - kurz gesagt: durch unseren Lebensstil - im Durchschnitt jeder rund 11 Tonnen Kohlendioxid; ein Amerikaner etwa 20 Tonnen und ein Chinese 3, 5. Diese Zahlen machen deutlich, wie groß die Herausforderung ist, vor der wir stehen.

Und wir müssen uns bewusst sein: weil die Industrieländer die Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels sind, müssen sie auch den größten Beitrag für die Reduktion der CO2 -Emissionen leisten. Ich freue mich darüber, dass die Europäische Union hier mit gutem Beispiel vorangehen will. Sie hat sich unter deutschem Vorsitz zum Ziel gesetzt, bis 2020 den CO2 -Ausstoß um mindestens 20 Prozent zu senken. Aber die Industrieländer können das Weltklima auch nicht im Alleingang retten. Ebenso wichtig ist, dass es gelingt, in den aufstrebenden Schwellenländern das Wirtschaftswachstum von den Emissionen zu entkoppeln. Das ist vor allem eine technologische Herausforderung. Dazu gehört der Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso wie die Entwicklung und der Transfer effizienter und CO2 -armer Kohletechnologien. Wir in den reichen Ländern stehen nicht nur in der Pflicht, sondern haben auch ein Eigeninteresse daran, die ärmeren Länder zu unterstützen, damit sie unsere Fehler nicht wiederholen.

Die Bedrohungen durch den Klimawandel machen wie fast kein anderes Thema deutlich, dass es im 21. Jahrhundert keine vernünftige Alternative zu einer kooperativen Weltpolitik gibt. Und Ziel muss es sein, wirklich alle Länder unseres Planeten in diese Zusammenarbeit einzubinden. Dabei erscheint mir der Vorschlag der Bundeskanzlerin zielführend, dass sich die Pro-Kopf-Werte der Industrie- und der Schwellenländer langfristig auf dem Niveau eines weltweit vereinbarten Klimaschutzziels angleichen müssen. Einfacher gesagt: Jeder Mensch auf dieser Erde hat grundsätzlich das Recht auf dasselbe - begrenzte! - Maß an CO2 -Emissionen. Denn ich bin auch davon überzeugt: Jeder Mensch muss die Chance auf Entwicklung haben und auch die Möglichkeit, ein Leben frei von Not und Armut zu führen.

Tatsächlich stimmt mich die derzeitige öffentliche Debatte um den Klimaschutz - bei allen bedrohlichen Szenarien - zuversichtlich. Mit einem Mal werden nämlich Erkenntnisse zum Allgemeingut, die tausende wohlmeinender entwicklungspolitischer Schriften und Seminare bislang eher vergeblich zu verbreiten suchten: dass wir in einer Welt leben, dass unser tägliches Tun und Handeln Auswirkungen auf das Leben der Menschen in ganz anderen Regionen der Welt hat, und dass es Probleme gibt, die wir als Weltgemeinschaft nur gemeinsam lösen können. Beim Klimawandel zeigt sich besonders deutlich, dass die Nationen der Welt eine Schicksalsgemeinschaft sind. Jetzt sehe ich die große Chance, dass sie endlich auch zur Verantwortungs- und zur Lerngemeinschaft werden.

Wenn das gelingt, dann werden wir auch für die anderen Herausforderungen besser gewappnet sein. Der Klimawandel ist nämlich nicht die einzige Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Ebenso besorgniserregend ist nach Ansicht der Experten der vom Menschen verursachte Rückgang der Artenvielfalt. Seit 1970 ist die Anzahl der Arten weltweit um etwa 40 Prozent zurückgegangen - vielleicht werden wir bald den letzten Kabeljau, Schellfisch oder Heilbutt gegessen haben.

Doch nicht nur einzelne Tier- und Pflanzenarten sterben aus, ganze Ökosysteme sind in Gefahr. Über die Hälfte sind laut einer Studie der Vereinten Nationen schwer geschädigt. Zwei Fünftel des tropischen Regenwaldes sind bereits vernichtet, und er schrumpft immer weiter: jedes Jahr um eine Fläche von der Größe Süddeutschlands. Das alles lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Zwar ist international vereinbart, den Verlust der Biodiversität bis 2010 erheblich zu reduzieren. Doch wenn wir dieses Ziel auch erreichen wollen, müssen wir uns deutlich mehr anstrengen. Deutschland ist im kommenden Jahr Gastgeber der so genannten "Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt". Ich hoffe sehr, dass die Teilnehmerstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden und auf der Konferenz etwa bei den Finanzierungsfragen, beim Schutz der Wälder und beim Aufbau eines globalen Netzes von Schutzgebieten entscheidend vorankommen. Wir müssen alle - im Norden wie im Süden, im Westen wie im Osten - begreifen, dass die wunderbare Vielfalt der Natur ein gemeinsames Erbe ist, das wir auch nur gemeinsam bewahren können. Dazu gehört im Übrigen auch ein fairer Interessenausgleich bei der Nutzung dieses Erbes, etwa der genetischen Ressourcen.

Die Aufgaben, vor denen wir beim Schutz des Klimas und der Artenvielfalt stehen, sind riesig. Doch - und auch darin sind sich die Experten einig - sie sind nicht unlösbar. Mit modernen, kohlenstoffarmen Technologien, mit einer nachhaltigeren Gestaltung unseres Lebensstils im Sinne von "gut leben" statt "viel haben" und einem fairen Miteinander der reichen und armen Staaten dieser Welt können wir dafür sorgen, dass die Erde auch für unsere Kinder und Enkel wohnlich bleibt. Die Frage ist: Sind wir zu den notwendigen Veränderungen bereit? Haben wir schon ein mutiges und stimmiges Konzept, um die neue industrielle Revolution voranzutreiben? Sind wir bereit, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass ihr persönlicher Beitrag zur Erreichung der Klimaziele unerlässlich ist und dass mehr Klimafreundlichkeit auch mehr Lebensqualität bedeuten kann? Wie bauen wir das nötige Vertrauen innerhalb der Staatengemeinschaft auf, um tatsächlich zur Verantwortungs- und Lerngemeinschaft zu werden?

Sie, liebe Träger des Deutschen Umweltpreises 2007, geben uns mit ganz konkreten Beispielen Mut und Zuversicht, dass sich auf diese Fragen zukunftsfähige Antworten finden lassen. Danke dafür!