Redner(in): Horst Köhler
Datum: 14. November 2007
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/11/20071114_Rede.html
In der Geschichte unserer beiden Länder ist heute ein besonderer Tag. Ich freue mich außerordentlich, als erster deutscher Bundespräsident zu Gast in Ihrem Land zu sein. Deutschland hat die Islamische Republik Mauretanien seit über vierzig Jahren durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Wir werden auch weiterhin als Freund und Partner an Ihrer Seite stehen, insbesondere in dieser neuen und wichtigen Phase der Entwicklung Mauretaniens.
Noch vor zwei Jahren wäre der Gedanke an einen Staatsbesuch nicht vorstellbar gewesen. Niemand wusste, wie sich Ihr Land nach dem Sturz des damaligen Staatspräsidenten entwickeln würde. In vielen Ländern gab es zunächst die Sorge, ob nicht erneut nur ein Machthaber in Mauretanien den anderen ablösen würde, ohne dem Land eine demokratisch legitimierte Regierung zu bescheren. Die Versprechen des Militärrats, nach einer Übergangszeit demokratische Wahlen auf allen Ebenen abzuhalten und sich dann aus allen Ämtern zurückzuziehen, stießen daher anfangs auf erhebliche Skepsis.
Die Skeptiker wurden dann aber gründlich widerlegt. Die Übergangsregierung zeigte, dass sie es ernst meinte, dass bei ihr das Wohl des Landes im Vordergrund stand. Die Verfassung wurde wieder in Kraft gesetzt; über Verfassungsänderungen wurde per Referendum entschieden. Im Jahre 2006 fanden die Parlaments- und Gemeindewahlen statt. Ich freue mich darüber, dass die Unterstützung Deutschlands bei den Wahlen und dem Aufbau des neuen Parlaments auf so fruchtbaren Boden gefallen ist. Das mauretanische Volk unterstrich mit seiner Beteiligung an den Wahlen, dass es eine neue politische Ära wollte.
Mit Ihrer Wahl, Herr Präsident, und mit der Berufung des Kabinetts wurde der Übergangsprozess formal abgeschlossen. Mauretanien hat zum ersten Mal in seiner Geschichte einen demokratisch legitimierten Machtwechsel vollzogen. Darauf kann das Land stolz sein. Und wir in Deutschland freuen uns darüber.
Vom deutschen Philosophen Karl Jaspers stammt die Maxime, dass Demokratie als Staatsform noch längst nicht Demokratie als Idee garantiert. Aber wenn die Idee der Demokratie erst einmal in den Köpfen der Menschen verankert ist, kann ein Rückschritt auf autoritäre Herrschaftsformen nicht von Dauer sein. Der Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit ist universell.
Die ersten Monate Ihrer jungen Demokratie belegen dies. Das mauretanische Parlament hatte zum ersten Mal seit fast dreißig Jahren die Gelegenheit, mit der Abstimmung zum Gesetz über die Abschaffung der Sklaverei eine wichtige politische und menschenrechtliche Frage zu gestalten. Und es hat sie genutzt. Die Parlamentsdebatte und die einstimmige Annahme des Gesetzes durch die Nationalversammlung sind ein beeindruckendes Zeugnis für den Willen der politischen Kräfte Ihres Landes, dem Gedanken der Gleichberechtigung aller Staatsbürger Geltung zu verschaffen. Auch bei uns in Deutschland wurde dieses klare Signal für Freiheit und Gerechtigkeit in Ihrem Land aufmerksam und mit großer Sympathie wahrgenommen. Gleiches gilt für die Debatte über das von Ihnen, Herr Präsident, initiierte Programm zur Rückführung der im Senegal-Konflikt Deportierten. Zehntausenden widerfuhren damals Unrecht und Vertreibung. Es ist alles andere als einfach, sich der Vergangenheit zu stellen und zu versuchen, Gerechtigkeit wiederherzustellen. Das wissen wir Deutsche auch. Aber es ist ein ganz wichtiger Schritt zur nationalen Versöhnung. Mauretanien kann hier ein Vorbild für viele andere Gesellschaften sein. Ich habe großen Respekt vor Ihrer Entscheidung. Deutschland wird Ihnen bei der schwierigen Umsetzung zur Seite stehen.
Jede Staatsform ist auf das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen angewiesen, wenn sie das Wohl ihrer Bürger dauerhaft mehren will. Jede Begegnung mit Vertretern des Staats, sei es mit einem Lehrer, einem Richter, einem Polizisten oder Soldaten oder mit einem Landvermesser, ist daher auch ein kleiner Testfall für die junge mauretanische Demokratie. Wenn die Bürger gerecht und fair behandelt werden, wächst ihr Vertrauen. Wenn Fehlverhalten dagegen regelmäßig ohne Folgen bleibt, wenn die Menschen den Eindruck haben, dass Gerechtigkeit nicht zählt oder dass Freiheit nur auf dem Papier besteht, schlägt Vertrauen schnell in Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung um. Und für diesen Fall kann es sehr lange dauern, bis man einmal verlorenes Vertrauen zurückgewonnen hat.
Ein Wesenselement einer funktionierenden Demokratie sind freie Medien, die die Meinungsvielfalt unterstützen und mit für die Kontrolle von Regierung und Verwaltung sorgen. Im Falle von Korruption, mangelnder Leistung oder Unfähigkeit einzelner Beamter ist es für einen Journalisten manchmal leichter als für den einzelnen Bürger, Missstände öffentlich zu machen. Ich freue mich, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Mauretanien heute nicht nur in der Geschichte Ihres Landes, sondern auch in der arabischen Welt beispielhaft ist.
Wir sehen, dass es Mauretanien auch in anderen Bereichen mit der Transparenz ernst meint. Die Bereitschaft, der Extractive Industries Transparency Initiative EITI beizutreten, ist ein Beleg dafür. Wer will, kann die Erdöleinnahmen des Landes im Internet ebenso nachlesen wie Berichte zur Zukunft des Eisenerzsektors. Sie heben sich damit positiv von vielen anderen Ländern ab.
Ähnliches gilt auch für eine andere Ressource Ihres Landes: Die Fischgründe vor den Küsten Mauretaniens gehören zu den reichsten der Welt. Wenn sie nicht vernünftig bewirtschaftet werden, droht Zerstörung durch Überfischung. Nur ein nachhaltiges Management dieser Ressource kann dafür sorgen, dass dieser Reichtum auch kommenden Generationen zur Verfügung stehen wird. Mir ist bewusst, dass dies einfacher gesagt als getan ist. Die Verantwortung liegt nicht bei Mauretanien alleine, auch die Europäische Union und andere Länder müssen genau hier ihre Glaubwürdigkeit beweisen. Es darf keine Doppelstandards gegenüber Entwicklungsländern geben. Deutschland wird Mauretanien weiterhin im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit dabei unterstützen, Strategien im Fischereisektor zu entwickeln und deren Umsetzung effektiv zu überwachen.
Die Erwartungen der Bevölkerung an die wirtschaftliche Entwicklung und Verbesserung des Lebensstandards in einer Demokratie sind hoch, oft zu hoch. Die Probleme sind immens: In Ihrer Hauptstadt Nouakchott leben heute ungefähr zwanzig Mal so viele Menschen wie 1970. Sie alle brauchen eine Versorgung mit Wasser, Schulen und Gesundheitsstationen. Nur mit einer entsprechenden Ausbildung kann die Jugend Mauretaniens ihre Chancen wahrnehmen. Die Menschen brauchen Arbeitsplätze, um eine Perspektive zu haben.
Die Demokratie kann zwar stabile Rahmenbedingungen schaffen, aber keine Wunder bewirken. Ebenso wenig können das Finanztransfers der Geber oder Öleinnahmen. Die Geberländer des Nordens müssen sich zusätzlich zu ihrer Unterstützung dafür einsetzen, endlich faire und bessere Handelsbedingungen für Länder wie Mauretanien zu schaffen. Und Mauretanien kann mit einer beharrlichen und vernünftigen Wirtschaftspolitik selber auf der Basis seines Reichtums eine verarbeitende Wirtschaft aufbauen, die Wertschöpfung im Lande ermöglicht und hier Arbeitsplätze und Einkommen schafft. Dazu gehören Risikobereitschaft und Fleiß. Ich sehe keinen Grund, dass sich ein Volk, das sich in einer harschen Umgebung wie der hiesigen behauptet hat, nicht auch diese Herausforderung annehmen und sie auch bestehen kann. Im Gegenteil, wenn ich mir den Ort dieses Staatsbanketts ansehe, werde ich daran erinnert, dass Gäste aus Deutschland in der Frage der Mobilität und Flexibilität vielleicht von der nomadisch geprägten Kultur Mauretaniens einiges lernen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen und Sie nun alle bitten, mit mir das Glas zu erheben und einen Toast auszubringen auf die Gesundheit von Staatspräsident Abdallahi und seiner Frau, auf das Wohl des mauretanischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen Mauretanien und Deutschland.