Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 29.03.2004

Untertitel: am Dienstag, 29. März 2005, in Dänemark (Schloss Sonderburg).
Anrede: Herr Ministerpräsident, lieber Anders, Frau Ministerpräsidentin, liebe Heide Simonis, Herr Amtsbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/78/808278/multi.htm


Die kulturellen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind traditionell eng. Es ist ja hoch interessant, dass zum Beispiel der Nobelpreisträger Günter Grass, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, der ja nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein bedeutender Grafiker ist, gerade in diesem Jahr ein schönes Buch über Hans Christian Andersen herausgebracht hat. Man könnte auch an bedeutende Maler denken, und zwar nicht nur an die im 19. Jahrhundert, sondern an dänische Maler wie Asger Jorn, der nicht nur die europäische Kobra-Gruppe sehr beeinflusst hat, sondern auch die Gruppe SPUR, die in den 50er Jahren in München bedeutsame Maler hervorgebracht hat. Ohne Asger Jorn wäre das nicht denkbar gewesen.

Der dänische Ministerpräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, wie eng nicht zuletzt die kulturellen Beziehungen sind. Aber dass sie so eng sind, hat nicht nur mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen zu tun, denn die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind sehr viel älter. Ich unterstreiche eine Passage in der Rede des Herrn Ministerpräsidenten, dass, wenn man einmal die Geschichte insgesamt betrachtet, uns die Menschen in den Grenzregionen weit mehr zusammengeführt als getrennt haben, obwohl es diese fürchterlichen Trennungen immer wieder gegeben hat. Diese sind mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen in der Tat ein für alle Mal überwunden worden. Das macht diese Erklärungen so außerordentlich bedeutsam. Dafür bedurfte es großer Führungskraft. Die beiden Staatsmänner, Kanzler Adenauer und Ministerpräsident Hansen, haben damals diese große Führungskraft zweifellos bewiesen.

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen waren der Ausdruck einer tief empfundenen Bereitschaft, die Vergangenheit zu überwinden - nicht in dem Sinne, dass man sie verdrängte, sondern in dem Sinne, dass man sich ihrer erinnerte, um sie überwinden zu können. Denn Erinnerung ist die Voraussetzung, um Zukunft gewinnen zu können. Ich will ausdrücklich unterstreichen, dass uns dabei die europäische Einigung hilft. Es gibt große Gemeinsamkeiten in der dänisch-deutschen Europa-Politik - auch das bestimmt das enge und sehr freundschaftliche Verhältnis zwischen unseren Ländern. Die europäische Einigung weiter voran zu bringen, ist kein einfaches Unterfangen - aber es ist eines, das sehr wichtig ist. Die historische Chance, die Europäische Union zu erweitern, musste ergriffen werden, auch wenn die eine oder andere politische und materielle Schwierigkeit in der nächsten Zeit gemeinsam zu überwinden sein wird. Europa hat die große Chance, das, was in den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen zum Ausdruck gebracht worden ist, nämlich dieses Maß an Gemeinsamkeiten, als Vorbild für Minderheitenpolitik zu sehen. Es geht nicht darum, ein Modell anderen aufzuzwingen. Aber es kann schon ein Rat sein, wie man Minderheitenpolitik organisieren kann, wie man eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.

Eine Bemerkung, die von beiden Vertretern der Minderheiten gemacht wurde, fand ich sehr schön. Da ist es um Augenmaß und Augenhöhe gegangen. Ich finde das eindrucksvoll. In den Begegnungen, die ich mit den Vertretern der beiden Minderheiten hier in der Region haben konnte, ist mir eines immer aufgefallen: zum einen die sehr pragmatische Herangehensweise an Politik, was mit Augenmaß gekennzeichnet ist. Zum anderen das Verständnis, die Mehrheit nicht zu überfordern, aber zugleich selbstbewusst darauf zu bestehen, dass man gleichwertig ist. Ich denke, das macht die Augenhöhe aus. Ich habe daraus viel gelernt. Ich habe gelernt, was Selbstbewusstsein bedeutet, wenn man Menschen vertritt, die einem wichtig sind. Ich habe gelernt, was ein sehr pragmatischer Umgang mit Forderungen bedeutet, die man zu Recht hat. Ich habe natürlich gelernt, dass man immer noch die eine oder andere Forderung mehr erheben kann. Auch das ist keine Frage, dass man das im Umgang mit selbstbewussten Minderheitenvertretern lernen kann.

Wir jedenfalls wollen unabhängig von dem, was in der letzten Zeit hier im hohen Norden passiert ist, diese sehr enge Zusammenarbeit - ich sage das für die Bundesregierung; ich glaube, ich kann das auch für den Deutschen Bundestag sagen - so fortsetzen, wie wir das immer gehalten haben. Das gilt, was die Rechte angeht - wir haben darüber gesprochen. Das gilt aber auch für die materiellen Grundlagen. Das, was ich Ihnen vor ein paar Wochen gesagt habe, gilt selbstverständlich auch jetzt. Ich möchte gerne unterstreichen, was die Frau Ministerpräsidentin gesagt hat, nämlich dass zu diesem sehr selbstbewussten Auftreten, das ich gut nachvollziehen kann, auch das Reklamieren gleicher Rechte gehört.

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir noch viele Jahre einer sehr erfolgreichen und - lassen Sie mich das so sagen - auch schönen und von sehr schönen Erfahrungen geprägten Zusammenarbeit zwischen der deutschen Minderheit in Dänemark und der dänischen Minderheit in Deutschland. Ich denke, Herr Ministerpräsident, ich kann das für uns beide sagen: Was wir dazu beitragen können, wollen wir sehr gerne tun.