Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 10.11.2015

Untertitel: Rede von Außenminister Steinmeier beim 5. Berliner Forum Außenpolitik
Anrede: Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,Kolleginnen und Kollegen,lieber Jean Asselborn,lieber Jan Hamáček,sehr geehrte Gäste aus aller Welt,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2015/151110_BM_Forum_Aussenpolitik.html


Exzellenzen,

ich danke Ihnen, Herr Paulsen, dass die Körber-Stiftung dieses wichtige Forum jetzt schon zum 5. Mal zusammen mit meinem Hause ausrichtet. An Themen mangelt es uns auch in diesem Jahr nicht. Die Europäische Union steckt in der schwersten Belastungsprobe in sechzig Jahren europäischer Integration. Und so deutlich wie nie zuvor verschwimmen darin Innen und Außen; Innenpolitik und Außenpolitik. Die Prüfungen, die die EU zu bestehen hat, sind Prüfungen für unseren inneren Zusammenhalt ebenso wie für unsere Handlungsfähigkeit nach außen.

Im Frühjahr und Sommer hat uns die Griechenlandkrise in Atem gehalten. Viele hatten das Gefühl, das sei die größte Bewährungsprobe, die Europa je gekannt hat. Lange gehalten hat das Gefühl nicht. Nur wenige Monate später stehen wir vor einer noch viel größeren Aufgabe. Weltweit sind mehr Menschen auf der Flucht, als die Vereinten Nationen jemals gezählt haben. Und die Frage, wie wir hier in Europa mit den Schutzsuchenden umgehen, rührt an den Kern dessen, was unsere europäische Gemeinschaft ausmacht: Humanität und Solidarität.

Eurokrise und Flüchtlingskrise, zwei Schlaglichter, ein Befund: Europa steht am Scheideweg. Zwischen einem Kontinent, auf dem wir zurückfallen in eine Logik der Schlagbäume und der nationalen Egoismen. Oder einem Kontinent, der zusammenhält und zusammen handelt. Jean, Du hast gestern und das nicht ganz zu unrecht in einem Interview davor gewarnt, dass Europa an diesem Scheidepunkt drohe, auseinanderzubrechen. Und Du hast völlig zurecht gefordert: Wir brauchen gerade jetzt in dieser Krise nicht weniger, sondern mehr Europa.

Was heißt das konkret? Es heißt erstens, dass wir uns darüber verständigen müssen, wo und wie wir die Schutzsuchenden hier auf unserem Kontinent empfangen. Das Recht auf Asyl ist nicht nur ein deutsches Grundrecht, sondern ein europäischer Grundwert. Es kann nicht sein, dass vier, fünf Mitgliedsstaaten 90 % der Flüchtlinge alleine aufnehmen Das entspricht zumindest nicht meinem Verständnis von Solidarität. Sondern wir brauchen einen dauerhaften Mechanismus zur fairen Verteilung der Schutzsuchenden in Europa.

Zweitens: Eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik gibt es nicht, ohne dass wir uns klar über das Verhältnis von Binnengrenzen und Außengrenzen verständigen. Zur Erinnerung: Beim Aufbau des Schengen-System hatten wir eine Philosophie: Dass, wenn die Binnengrenzen in Europa fallen, die Schlagbäume, die ich wie viele von Ihnen noch aus meiner Jugend kennen, wir im Gegenzug die Außengrenzen gemeinsam und wirksam sichern müssen. Das bedeutet, dass wir jetzt in der Krisensituation Frontex mit den notwendigen Ressourcen ausstatten müssen. Daneben müssen wir auch das inhaltliche Gespräch mit unseren europäischen Kollegen darüber anstoßen, mit welchen Fähigkeiten und Kompetenzen wir Frontex versehen müssen auch auf längere Sicht. Denn drittens glaube ich, brauchen wir schon jetzt eine politische Diskussion darüber auch wenn sie viele schwierige Fragen aufwerfen wird- , wie wir über die akute Krisensituation hinaus den Weg zu einer gemeinsamen europäischen Grenzschutzbehörde finden.

Nur so werden wir am Ende die politische Kontrolle über den Zugang nach Europa zurückgewinnen. Und nochmal: Das Wort von der "Festung Europa" ist zwar schnell bei der Hand. Doch es geht nicht um Abschottung, sondern es geht darum, an den Außengrenzen eine Ordnung wiederherzustellen, mit der wir im Innern die Freiheit und Grenzenlosigkeit von Schengen bewahren können. Übrigens glaube ich auch: Wenn wir diesen Kurs einschlagen, dann wird es denjenigen leichter fallen, die Lasten innerhalb Europas gerechter zu verteilen, die jetzt noch zögern.

All das ist wichtig. Aber es ist am Ende nur ein Lindern von Symptomen. Viel wichtiger ist, dass wir an den Ursachen ansetzen, dort, wo Krieg und Gewalt Menschen in die Flucht zwingen, vor allem im Krisenbogen von Libyen bis Afghanistan.

In Syrien, nach 5 Jahren Bürgerkrieg und über 250 000 Toten, gibt es endlich erste Bewegungen im Ringen um eine Lösung. Ich will klar sagen: Grund für Optimismus besteht nicht, schon gar nicht für Euphorie. Doch vor drei Wochen war ich in Teheran und Riad und selbst da schien noch in weiter Ferne, was wir jetzt erreicht haben: In Wien saßen wir vorvergangenen Freitag zum ersten Mal mit allen internationalen Akteuren, die wir für eine Antwort brauchen, an einem Tisch. Mit den USA und Russland einerseits, die ja nach dem militärischen Eingreifen Russlands in Syrien zunächst weiter auseinander zu driften schienen. Vor allem aber auch mit den Kontrahenten Iran und Saudi-Arabien.

Das zeigt: Zumindest der ernsthafte Versuch, die Spirale von zunehmender Gewalt und Chaos zu durchbrechen, lohnt sich. Das Treffen bringt sicherlich nicht morgen den Frieden in Syrien. Doch es gab zumindest erste Verständigungen über den Weg hin zu einer teilweisen Deeskalation des Konflikts, zu lokalen Waffenstillständen und hin zu politischen Einigungen über eine Übergangsregierung. Das nächste Treffen ist bereits geplant. Natürlich ist auch all das nur ein Anfang. Aber es ist hoffentlich ein Einstieg in einen wirksamen Prozess, der die zynische Dynamik der Stellvertreter-Rivalitäten endlich bändigen kann.

Das wird uns viel Ausdauer und Beharrlichkeit abverlangen wie immer in der Diplomatie. Aber es gibt Beispiele, dass Beharrlichkeit sich auszahlt. Das erste Beispiel heißt Iran. Nach über 10 Jahren Verhandeln, ich würde eher sagen: Ringen um einen Konflikt, in dem wir mehrfach am Rande eines Krieges standen, haben wir in diesem Sommer ein Abkommen mit dem Iran geschlossen, das nicht nur den Griff Irans nach der Atombombe ausschließt, sondern das zumindest auch eine Option bietet, mit der der Iran von seiner zerstörerischen Haltung im Mittleren Osten den Weg zu einer konstruktiven Rolle in der Region finden kann. Ob das so sein wird, wird sich auch im Verlaufe der genannten Syrien-Gespräche zeigen.

Und ein zweites Beispiel ist dieser Überzeugung bleibe ich der Konflikt in der Ukraine. Auch hier gab es viel Kritik an unserer Haltung. Viele forderten, wir sollten es bei Sanktionen belassen. Wir haben aber zusätzlich auf die politischen Instrumente der Diplomatie gesetzt. Und jetzt hält in der Ostukraine seit immerhin gut zwei Monaten weitgehend der Waffenstillstand. Am Freitag habe ich erneut meine französischen, ukrainischen und russischen Kollegen in Berlin getroffen und weiter darüber verhandelt, wie wir den Waffenstillstand sichern und die weiteren Minsker Vereinbarungen umsetzen. Das ist echte Detailarbeit und oftmals zäh. Ich bin weit davon entfernt, dass ich den Minsker Prozess auch nur annähernd perfekt finde, aber ich glaube eben, dass nur dieser politische Weg in die richtige Richtung führt und dass er weiterhin unserer aktiven Unterstützung bedarf, damit die Konfliktparteien ihn auch Schritt für Schritt weitergehen.

Herr Paulsen, Ihre Umfrage zeigt: Das Interesse der Deutschen an der Außenpolitik ist groß und die Bereitschaft zum Engagement wächst. Nun fragten Sie in diesem Zusammenhang auch nach unserem Review-Prozess im Auswärtigen Amt und ob er notwendig gewesen sei? Und ich sage: Ja, unbedingt, und ich finde, er ist gut gelaufen. Ich danke dem Planungsstab und Thomas Bagger für diese wichtige Arbeit. Natürlich können wir nach wie vor nicht alle Krisen vorhersehen, aber wir haben im Ergebnis des Review im Auswärtigen Amt Strukturen geschaffen, mit denen wir schneller und besser auf Krisen reagieren können. Zudem hat der Review Foren geschaffen, durch die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes mit der deutschen Öffentlichkeit ins Gespräch über unsere Außenpolitik gekommen sind.

Dieser Dialog bleibt wichtig. Die Umfrage der Körber-Stiftung, das wachsende Interesse und die wachsende Bereitschaft zum außenpolitischen Engagement, sollten uns Ansporn sein. Denn die Menschen in Deutschland spüren heute wohl so unmittelbar wie wohl nie zuvor, was ich zu Beginn meiner Rede sagte: Es gibt kein Innen mehr ohne Außen. Die Krisen und Konflikte dieser Welt rücken nicht nur näher an heran. Sie sind längst angekommen in unseren Wohnzimmern, in die abends furchtbare Bilder aus den Konfliktherden fluten; und noch viel mehr in unseren Stadtvierteln, Schulen, Turnhallen, wo Menschen vor Krieg und Gewalt Zuflucht suchen. Vielen Dank.