Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 09.06.2016
Untertitel: Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der 10. Konferenz für deutsche Beschäftigte internationaler Organisationen und europäischer Institutionen in Berlin
Anrede: Lieber Lamberto Zannier,liebe Konferenzteilnehmer!
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2016/160609_BM_IO.html
Es ist noch früh am Morgen, und viele von Ihnen sind von weit her angereist. Deswegen beginne ich zum Wachwerden vielleicht mit ein paar Fragen an Sie!
Was ist die Hauptstadt von Lesotho?
In welchem Jahr trat Griechenland der EU bei?
Was sind die Prioritäten der VN in Libyen?
Wo hat die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ihren Sitz?
Ich muss zugeben: einige dieser Fragen bringen mich selbst schwer ins Grübeln. Aber ich weiß, dass es hier im Saal viele Köpfe gibt, die die Antworten genau kennen. Denn all dies sind Fragen aus den Einstellungstests und Job-Interviews der Institutionen für die Sie arbeiten, meine Damen und Herren!
Für viele von Ihnen liegen diese Tests vielleicht glücklicherweise - schon eine Weile zurück. Andere mögen sie noch zu gut in Erinnerung haben. Was diese Fragen aber beispielhaft zeigen, das ist der beeindruckende Weg, den Sie alle in Ihrer Karriere gegangen sind.
Und damit meine ich nicht nur die schwierigen Schritte, die Sie tun mussten, um die erhoffte Stelle auch tatsächlich zu bekommen. Sondern damit meine ich vor allem die wichtige, die herausfordernde Arbeit, die Sie als Deutsche tagtäglich in diesen Organisationen leisten!
Nur zu oft höre ich von meinen Kollegen in EU, OSZE oder VN, wie sehr sie die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen, mit Ihnen, schätzen: Ihre Expertise, Ihr Engagement, Ihre Zuverlässigkeit!
Und dies gerade jetzt, in diesen stürmischen Zeiten! Ukraine, Syrien, Libyen, Mali, Irak, Afghanistan die Krisen und Konflikte stürzen im Moment in einer ungekannten Dichte und Vehemenz auf uns ein.
Und, lieber Lamberto,
in diesen schwierigen Zeiten hat sich Deutschland ganz bewusst dafür entschieden, den Vorsitz der OSZE zu übernehmen. Denn für uns ist klar: Nur wenn wir internationale Foren wie die OSZE nutzen, bei unserer Suche nach politischen Lösungen, nur wenn wir zusammenarbeiten, nur dann haben wir überhaupt eine Chance keine Garantie! - voranzukommen, ob in der Ukraine oder im Krisenbogen Mittlerer Osten-Nordafrika. Dafür brauchen wir die multilaterale Zusammenarbeit und dafür brauchen wir die Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Damen und Herren!
Auch aus diesem Grund ist es unser Ziel, noch mehr deutsches Spitzenpersonal in die internationalen Organisationen zu holen. Denn ein multilateral so stark engagiertes, ein weltweit so vernetztes Land wie das unsere muss angemessen vertreten sein!
Was eine gezielte Nachwuchsförderung bewirkt, das kann sich bereits an vielen Stellen sehen lassen: Das deutsche Junior Professional Officers-Programm ist inzwischen das weltweit größte und in der Übernahmequote erfolgreichste seiner Art! Auch bei den Concours der EU sind weiterhin überdurchschnittlich viele Deutsche erfolgreich. Und beim VN-Nachwuchswettbewerb "Young Professionals Programme" haben Deutsche in den vergangenen fünf Jahren dank verstärkter Coachings so gut abgeschnitten, dass Deutschland von diesem Wettbewerb bis auf weiteres sogar ausgeschlossen ist!
Ich kann nur sagen: zum Glück gibt es diese Regel nicht beim Fußball! Stellen Sie sich vor, eine erfolgreiche Mannschaft, ein Weltmeister zum Beispiel, wäre wegen zu großen Talents von der EM ausgeschlossen! Nicht auszudenken! Zum Glück jedoch geht es für uns ab Sonntag mit einem großartigen Team in Frankreich los! Und ich persönlich baue auf Ihre Unterstützung der deutschen Mannschaft, meine Damen und Herren, ob Sie nun in Brüssel, Madrid oder London arbeiten!
Nachwuchsförderung aber ist nicht alles. Weder beim Fußball, noch in der Politik.
Auch in den Führungsetagen müssen wir vertreten sein. Dass das nicht einfach ist, das mussten wir in den vergangenen 16 Monaten bei drei deutschen Spitzenkandidaturen im UN-System schmerzhaft erleben. Und das trotz hervorragender Kandidaten und trotz voller Unterstützung der Bundesregierung! Hier werden wir aber nicht locker lassen und bereiten bereits die nächsten Anläufe vor.
Lieber Lamberto,
Wir beide stecken mitten im deutschen OSZE-Vorsitz. Und nicht nur wir beide stimmen uns derzeit ausgiebig ab, auch unsere Kollegen arbeiten auf allen Ebenen erfolgreich zusammenarbeiten. Den deutschen OSZE-Kolleginnen und -Kollegen im Saal, dies sei 2016 erlaubt, ein herzliches Extra-Willkommen und ein besonderer Dank!
Gerade heute Nacht ist uns wieder klar geworden, dass die Arbeit der OSZE und gerade der Kollegen der Beobachtermission vor Ort in der Ukraine nicht einfach und auch nicht ungefährlich ist. Gemeinsam und mit entsprechender Druckausübung ist es uns gelungen, einen gefangengenommenen OSZE-Beobachter wieder frei zu bekommen. Aber wir haben auch schon andere Fälle erlebt, vor allem am Anfang der Mission, in denen das sehr lange gedauert hat und bei denen es nicht klar war, wie es am Ende ausgeht.
Meine Damen und Herren,
die Arbeit der OSZE-Kollegen ist schwierig, sie erfordert Feingefühl, Engagement und oft auch Hartnäckigkeit! Und: sie ist essenziell, auch wenn Erfolg nicht garantiert und auch nicht immer offensichtlich ist! Wir sind es gewohnt, in kleinen Schritten zu denken und uns auch über kleine Erfolge zu freuen. Vielen medialen Beobachtern mögen diese Schritte aber oft zu klein erscheinen. Es wird nicht gesehen, dass auf dem Mosaik der kleinen Schritte neue Stabilität entstehen und so ein Weg zum Frieden gepflastert werden kann.
Und was zu oft vergessen wird, bei allen Schwierigkeiten und Frustrationen, die wir bei unseren Versuchen der Lösung des Konflikts in der Ukraine erleben: Das sind die Ausmaße, die diese Krise hätte annehmen können, wenn die OSZE nicht gewesen wäre! Wenn wir dieses wichtige Instrument des Dialogs und der Deeskalation nicht gehabt hätten! Ich jedenfalls bin froh, Lamberto, dass wir die OSZE und ihre hervorragenden Mitarbeiter haben!
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen, das heute besonders im Fokus steht: Die Agenda 2030! Mit ihrer Verabschiedung im letzten September 2015 ist der internationalen Gemeinschaft ein großer Wurf gelungen. Das stimmt, aber: jetzt steht die wahre Arbeit an. Die Umsetzung! In den letzten Tagen haben wir zu dieser Frage eine Gruppe hochrangiger deutscher Experten aus verschiedenen internationalen Organisationen nach Berlin eingeladen. Und ich freue mich sehr, dass einige bereit waren zu bleiben, um mit Ihnen weiter zu diskutieren! Ganz herzlichen Dank für Ihr großes Engagement!
Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: Und ein Thema, von dem ich hoffe, dass es viele von Ihnen umtreibt: Europa!
Und dabei meine ich jetzt ausnahmenweise nicht die Europameisterschaft, sondern die Zukunft der Europäischen Union. Der Blick geht auf die Brexit-Debatte und die wenigen Tage, die wir noch vor uns haben bis zum Referendum in Großbritannien.
Und wenn wir eine Verknüpfung zur Fußball-EM herstellen wollen, dann lassen Sie es mich vielleicht so sagen: Sie alle wissen, dass ab morgen gleich drei Teams aus Großbritannien bei der Europameisterschaft in Frankreich dabei sein werden. England, Wales, Nordirland.
Am 23. Juni werden wir wissen, welche der drei es bis ins Achtelfinale geschafft haben.
Und am 24. ? Ich wünsche mir, dass nicht nur mindestens ein Team aus Großbritannien am 24. Juni im Achtelfinale steht, sondern dass das Land als Ganzes auch in der Europäischen Union am Ball bleibt und dass wir weiterhin gemeinsam mit diesem Land in der EU europäische Politik machen.
Dieser Satz ganz zum Schluss ist ein Herzenswunsch. Weil ich nicht glaube, dass die EU ohne Großbritannien nach einem Austritt Großbritanniens- dieselbe wäre. Es geht nicht einfach 28 minus eins weiter, sondern der Charakter dieser Union würde sich verändern. Deshalb ist es nicht nur die Liebe zu Großbritannien, sondern vor allem die Wertschätzung der EU und des europäischen Integrationsprozesses, die uns hoffen lassen muss, dass Großbritannien innerhalb der EU bleibt.
Ich wünsche Ihnen eine gute Konferenz und einen bereichernden Austausch! Vielen Dank.