Redner(in): Maria Böhmer
Datum: 08.09.2016

Untertitel: Grußwort von Staatsministerin Maria Böhmer zur Eröffnung einer Literaturveranstaltung anlässlich der Frankfurter Buchmesse
Anrede: sehr geehrte Vertreter der Buchmesse,sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2016/160908_StM_B_Literatur.html


Sehr geehrte Damen und Herren Botschafter und Vertreter der Niederlande und Flanderns, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

Herzlich willkommen im Auswärtigen Amt. Schreiben kann man nur im Stadium der Sehnsucht, sagt uns der Schriftsteller Martin Walser. Diese Sehnsucht nach dem Literarischen hat uns heute hier zusammengebracht - ich freue mich, dass Sie unserer Einladung nachgekommen sind.

Unsere Ehrengäste für die Lesung heute Abend hier im Auswärtigen Amt sind zwei Autoren aus den Niederlanden und Flandern, Tommy Wieringa und Tom Lanoye, sowie eine Autorin aus Ungarn mit deutsch-ungarischem Hintergrund, Frau Terézia Mora. Herzlich willkommen!

Mit der Walser ' schen Sehnsucht sind Sie als Literaten gut vertraut. Diese Sehnsucht treibt Sie an, wenn in Ihrem Geiste Empfinden zur Sprache wird.

Diese Sehnsucht treibt sie, wenn Sie Literatur schaffen. Die Sehnsucht nach Literatur ist uns als Lesern wiederum wohl vertraut.

Deutschland steht ganz im Zeichen dieser Sehnsucht nach Literatur: Gestern hat das Internationale Literaturfestival Berlin begonnen. Es bietet die Möglichkeit, in die aktuellen Entwicklungen in Lyrik und Prosa einzutauchen und eine literarische Weltreise zu unternehmen

In gut einem Monat beginnt dann die diesjährige Frankfurter Buchmesse.

Nach 23 Jahren sind die Niederlande und die Region Flandern dort wieder Gastland, im nächsten Jahr Frankreich. Damit setzt die Frankfurter Buchmesse einen starken europäischen Akzent.

Europa ist auch das Thema des diesjährigen Weltempfangs auf der Buchmesse in Frankfurt.

Der Weltempfang ist die gemeinsame Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse und des Auswärtigen Amtes: Ein Ort, an dem wir und unsere Kulturmittler fünf Tage lang das machen, was wir heute Abend vorhaben: Gespräche zwischen Autoren ermöglichen, in denen es um die Schnittstelle von Politik und Kultur geht und dringende Gegenwartsfragen erörtert werden. Wenn Sie die Gelegenheit haben, in Frankfurt zur Buchmesse zu kommen, schauen Sie doch einmal vorbei.

Auch Europa ist Sehnsucht, ist im Denken und Schreiben der europäischen Völker schon immer Tópos der Sehnsucht gewesen."Dies ist, was wir teilen" - das ist Ihr Motto für den Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse. Und in der Tat, Europa, die Sehnsucht nach Europa, und die Sehnsucht der Literatur, das teilen wir heute Abend miteinander.

Es ist mir eine besondere Freude, diesen Literaturabend zu eröffnen. Die Literatur ermöglicht vieles, und oft mehr als im ersten Augenblick erkennbar ist:

In meiner Rolle als Integrationsbeauftragte bei der Bundeskanzlerin befaßte ich mich intensiv mit der Türkei. Durch die Lektüre türkischer Schriftsteller und türkischer Poesie konnte ich eintauchen in die Gedankenwelt und die Kultur des Landes.

Literatur ist ein wichtiger Schlüssel, wenn wir die Mentalität eines Sprachraumes erspüren wollen. Literatur bringt uns Menschen näher zueinander.

Nur wenn wir voneinander lesen, werden wir hinter die erste Schicht des Offensichtlichen dringen. Nur wenn wir uns gegenseitig zuhören, werden wir verstehen, welche Sehnsüchte und Ängste Menschen verspüren.

Durch Literatur berühren wir diese tieferen menschlichen Schichten und fühlen, wo wir uns ähnlich sind, und wo wir uns unterscheiden. Lesen zwingt zur Konzentration, zum Innehalten und schafft so Raum für neue Sichtweisen.

Dies gilt auch für das Thema des heutigen Abends: Europa.

Am letzten Montag begann hier im Hause die Botschafterkonferenz. Bei dieser Konferenz kommen einmal jährlich alle deutschen Botschafterinnen und Botschafter in der Zentrale des Auswärtigen Amtes zusammen. Dabei wurde ein weiteres Mal deutlich: Wenn wir über die grundsätzliche Architektur deutscher Außenpolitik sprechen, dann ist unser Grundpfeiler dabei: Wir brauchen ein einiges, starkes Europa. Europa hat Großes geschaffen ", so der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault vergangene Woche in Berlin.

Dieser Satz hat sich mir eingeprägt.

Frieden, Freiheit, Wohlstand und Solidarität sind große Errungenschaften - Errungenschaften, von denen Europäer Jahrhunderte lang nur träumen konnten.

Es gilt, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Projekt Europa neu zu entfachen.

Wir brauchen eine begeisternde Erzählung Europas, hinter der sich alle Europäerinnen und Europäer zusammen versammeln können. Dabei geht es mir besonders um die junge Generation, die sich ihre Vision von Europa immer wieder selbst neu schaffen muß.

Das Projekt Europa wird auch in der Sprache der Literatur geschrieben. Mehr noch, die Literatur als zentraler Schlüssel zur Gedanken- und Gefühlswelt ist für die begeisternde Erzählung Europas unverzichtbar. In der Literatur manifestiert sich unsere Sehnsucht nach Europa.

Meine Damen und Herren,

Die Förderung von Autorinnen und Autoren und von Begegnungen im Zeichen der Literatur ist deswegen auch zentraler Bestandteil der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Diese bildet neben den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen die "Dritte Säule" der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.

Immer wieder müssen wir erfahren, daß kulturelle Identität oder Religion in den Konflikten der Welt instrumentalisiert wird.

Diese Entwicklung macht unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik so bedeutend: Durch Stärkung der Zivilgesellschaft beugen wir langfristig und nachhaltig Konflikten und Krisen vor. Durch das Engagement für Literatur und Kultur wird ein unverzichtbarer Beitrag zu Aufbau und Festigung stabiler internationaler Beziehungen geleistet.

Ein zuverlässiger Schutz der Kunstfreiheit und eine zugängliche kulturelle Infrastruktur als Forum für den Austausch sind dabei unabdingbare Voraussetzungen.

Meine Damen und Herren,

Jetzt nähern wir uns dem Ziel unserer Sehnsucht, der Literatur. Ich freue mich mit Ihnen auf die Lesung und die Diskussion und wünsche uns allen einen wunderbaren Abend!