Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 19.09.2016

Untertitel: Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Human Dimension Implementation Meeting der OSZE in Warschau
Anrede: Lieber Michael Link,lieber Witold Waszczykowski,liebe Christine Muttonen,meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2016/160919_BM_OSZE_HDIM.html


liebe Dunja Mijatović , Exzellenzen,

ich darf Sie alle herzlich zu diesem Implementierungstreffen in der menschlichen Dimension der OSZE begrüßen.

Seit über 20 Jahren treffen wir uns hier in Warschau, um gemeinsam zu überprüfen, dass wir, vor allen Dingen aber wie wir unsere gemeinsamen Verpflichtungen zum Schutz von Menschenrechten, Grundfreiheiten und demokratischen Standards umsetzen. Es macht das Besondere dieses einzigartigen, größten Menschenrechtstreffens in Europa aus, dass wir diese Überprüfung gemeinsam mit Vertretern der Zivilgesellschaft durchführen. Sie alle heiße ich herzlich willkommen!

Ausgangspunkt und Richtschnur sind und bleiben dabei die Charta von Paris und das Kopenhagener Dokument zur menschlichen Dimension der OSZE von 1990. Beide Dokumente sind Meilensteine in der Entwicklung eines umfassenden Sicherheitsbegriffs in Europa und somit ein Herzstück europäischer Sicherheit. Sie fächern den Begriff von Sicherheit auf von "Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" über "wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", wie es in der Charta von Paris heißt, bis hin zu politisch-militärischer Sicherheit.

Menschenrechte und Grundfreiheiten stehen dabei nicht im Widerspruch zu nachhaltiger Stabilität und Sicherheit, sondern bilden deren Grundlage.

So erklärten die Teilnehmer des Moskauer Treffens zur menschlichen Dimension der OSZE im Oktober 1991 in eindrucksvoll klaren Worten - ich zitiere - "mit großem Nachdruck und unwiderruflich, dass die im Bereich der menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen". Zitat Ende.

Meine Damen und Herren,

Dass Menschenrechte und demokratische Standards die Grundlage von nachhaltiger Stabilität und Sicherheit darstellen, darüber bestand jedenfalls in der Gründungsphase der OSZE breites Einverständnis in Ost und West.

Durch diesen Konsens wurde dann auch der Aufbau der drei zentralen Institutionen der OSZE zur Absicherung und Vertiefung dieser Rechte und Standards möglich:

Das "Büro für freie Wahlen", das schon 1990 als erste Institution der KSZE errichtet worden war, wurde im Jahr darauf zu ODIHR.

Und gerade Wahlbeobachtung ist bis heute der wohl bekannteste Beitrag der OSZE zu nachhaltiger Stabilität und Sicherheit. In über 300 professionellen und unabhängigen Wahlbeobachtungen hat ODIHR seine umfassende Methode zu einem weltweit anerkannten Standard entwickelt. So erwarten wir heute Nachmittag ein konsolidiertes Statement der ODIHR-Wahlbeobachtungsmission zu den russischen Duma-Wahlen. Wahlbeobachtung findet dabei überall im OSZE-Raum statt, ODIHR beobachtete zuletzt 2013 etwa die Bundestagswahlen in Deutschland. In wenigen Wochen wird ODIHR auch die weltweit mit großer Spannung erwarteten Präsidentschaftswahlen in den USA beobachten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang zwischen Stabilität und dem Schutz des Schwächeren führte im Jahr 1992 dann auch zur Gründung des Hochkommissariats für Nationale Minderheiten als zweitältester Institution der OSZE.

Als Instrument der präventiven und stillen Diplomatie ist auch das Hochkommissariat rasch unverzichtbar geworden und bewährt sich bis heute. Atemberaubend unglamourös " wurde die Arbeit des ersten Hochkommissars, des ehemaligen niederländischen Außenministers Max van der Stoel einmal genannt. Denn deren Wirkung lässt sich wie so oft in der Diplomatie nur daran messen, was eben nicht geschehen ist. Und gerade deshalb ist das Amt bis heute so wichtig.

Und schließlich hat sich die OSZE mit der Berufung des ersten Beauftragten für die Freiheit der Medien im Jahr 1997 eines für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaften zentralen Themas angenommen; damals mit der ersten Berufung von Freimut Duve.

Der Missbrauch von Medien für Propaganda und Desinformation begünstigt durch die blitzschnellen sozialen Medien - , die physische Gefährdung von Journalisten alle diese Herausforderungen sind damals wie heute leider nur allzu aktuell.

Auch deshalb haben wir die Freiheit der Medien zu einer zentralen Priorität unseres Vorsitzes gemacht und freuen uns über die exzellente Kooperation mit der OSZE-Medienbeauftragten Dunja Mijatović und ihrem Team.

Meine Damen und Herren,

die OSZE und ihre Institutionen haben sich in der menschlichen Dimension in den vergangenen 20 Jahren zweifelsohne sehr verdient gemacht. Bisweilen wird ODIHR der Ehrentitel eines Hüters des menschenrechtlichen Acquis der OSZE verliehen.

Und trotzdem scheint der Konsens der neunziger Jahre, dass Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit einander bedingen, heute brüchig geworden zu sein.

Das wurde deutlich:

Erstens bei den außerordentlich schwierigen Verhandlungen in den letzten Monaten über die Gestaltung dieses Implementierungstreffens. Ohne die konstruktive Unterstützung von Polen und Österreich wäre es wohl nicht zustande gekommen.

Zweitens an den erschwerten Bedingungen, unter denen die OSZE-Institutionen heute arbeiten müssen, am Misstrauen, dem sie vielfach begegnen, an den unberechtigten Zweifeln an ihrer Unparteilichkeit oder an den Beschränkungen ihrer Tätigkeit.

Wir beobachten drittens Versuche, die Reichweite und Geltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten, die wir gemeinsam einmal als unverhandelbar und unteilbar anerkannt haben, wieder einzuschränken, teilweise mit der Behauptung, diese stünden im Widerspruch zur kulturellen Tradition einzelner Länder.

Und wir sehen viertens mit größter Sorge die Gefährdungen, denen insbesondere mutige Menschenrechtsverteidiger, kritische Journalisten und engagierte Bürger vielerorts ausgesetzt sind, wenn sie einfordern, wozu sich ihre eigenen Regierungen verpflichtet haben.

Ich will das ganz deutlich sagen: Wir können und wollen nicht hinnehmen, wenn Menschenrechte verletzt, wenn Menschen im OSZE-Raum gefoltert,"verschwinden" oder in ihrer Heimat an Ein- und Ausreise gehindert werden.

Meine Damen und Herren,

nachhaltige Stabilität kann, das zeigt uns alle Erfahrung, nicht ohne Beachtung der Menschenrechte erreicht werden. Dies halte ich auch für eine der grundlegenden Lehren aus der Entwicklung in der arabischen Welt in den letzten Jahren. Und eine angemessene Reaktion auf die Herausforderungen der großen Flucht- und Migrationsbewegungen unserer Zeit sind nicht Einschränkungen von Rechten in den aufnehmenden Ländern, sondern die Sicherung von menschenrechtlichen und demokratischen Standards überall. Und hier sollten wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Wie wichtig die Arbeit für den Schutz und die Rechte von Vertriebenen ist, das habe ich vergangene Woche zusammen mit Jean-Marc Ayrault mit eigenen Augen gesehen.

Wir waren in der Ostukraine, in den Krisengebieten, wo die OSZE großartige, mutige Arbeit leistet für die Vertriebenen und die, die vom Konflikt betroffen sind, und dafür will ich nochmal allen mutigen Männern und Frauen der OSZE, die dort im Einsatz sind, danken!

Einem guten Beispiel folgt Deutschland mit der vom Schweizer OSZE-Vorsitz 2014 begründeten guten Tradition, sich durch eine unabhängige Institution zur Umsetzung von OSZE-Verpflichtungen in der menschlichen Dimension unter Beteiligung der Zivilgesellschaft überprüfen zu lassen in Bereichen, die diese unabhängige Institution selbst festlegt!

In der nächsten Woche stellt deshalb das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen Bericht über die Evaluierung unseres Vorsitzes hier in Warschau vor.

Ich bin überzeugt, die effektive Umsetzung unserer im Konsens beschlossenen OSZE-Verpflichtungen bleibt eine gemeinsame Aufgabe nicht nur der Regierungen. Sie erfordert auch die Einbindung der Zivilgesellschaft.

Dazu wollen wir als diesjähriger Vorsitz in der OSZE im Hinblick auf eine der größten Herausforderungen für unsere offenen und vielfältigen Gesellschaften einen Beitrag leisten und im kommenden Monat eine Vorsitzkonferenz zum Thema Toleranz und Nicht-Diskriminierung in Berlin ausrichten, zu der ich Sie alle herzlich einlade.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich mit drei Wünschen schließen:

Beim informellen Außenministertreffen jüngst in Potsdam war der Wille aller Beteiligten deutlich spürbar, sich konstruktiv und gemeinsam den Herausforderungen zu stellen. Lassen Sie uns auch hier die Beratungen im Geiste neuer Gemeinsamkeit führen!

Das sollten wir tun im Geiste der besonderen Methode der OSZE: Mit einem offenen Dialog, in den wir auch unsere Zivilgesellschaften einbeziehen, und der Bereitschaft zum gegenseitigen Lernen.

Die menschliche Dimension ist integraler Bestandteil von Sicherheit und Stabilität im euroatlantischen Raum. Schaffen wir die Voraussetzungen, dass unsere Institutionen innerhalb ihrer Mandate effektiv und ungehindert arbeiten können und versorgen wir sie mit den entsprechenden Mitteln!

Vielen Dank!