Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 29.11.2016
Untertitel: Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim sechsten Berliner Forum Außenpolitik
Anrede: Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,lieber Paolo Gentiloni,Kolleginnen und Kollegen,sehr geehrte Gäste aus aller Welt,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2016/161129-BM_Koerber_Stiftung.html
Exzellenzen,
ich danke Ihnen, Herr Paulsen, für die freundliche Begrüßung und dafür, dass wir, die Körber Stiftung und das Auswärtige Amt, das Berliner Forum Außenpolitik nun schon zum sechsten Mal gemeinsam veranstalten können. Ich danke Ihnen, dem Publikum, dass Sie sich schon heute am frühen Morgen ziemlich unverdaulichen Themen widmen werden. Ich danke insbesondere meinem italienischen Kollegen Paolo Gentiloni für ' s Kommen. Er wäre natürlich auch für die Veranstaltung der Körber-Stiftung alleine nach Berlin gekommen. Aber der Grund für sein Kommen war ein vielfältiger. Gestern haben wir nicht nur über die aktuellen Krisen beraten. Sondern es ging auch um die langen Schatten, die Ereignisse, die vor mehr als 70 Jahren stattgefunden haben und heute noch Schatten auf die deutsch-italienischen Beziehungen werfen. Wir waren gemeinsam in Berlin-Schöneweide, dort haben wir uns einem Thema gewidmet, was bislang nicht so gut aufgearbeitet war, wie zum Beispiel die Massaker der Wehrmacht in Italien: die italienischen Militärinternierten. In den letzten 1 ½ Jahren des 2. Weltkriegs sind 650 000 italienische Soldaten gefangen genommen worden, in Lager verschleppt und dort vor die bittere Wahl gestellt worden, entweder in der Hitler-Armee weiterzukämpfen oder aber in Zwangsarbeit zu gehen in der deutschen Rüstungsindustrie. 53 000 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, unter anderem in Berlin-Schöneweide. In diesem Lager haben wir gestern gemeinsam eine Erinnerungsstätte eingeweiht und eine kleine, aber sehr gute Ausstellung "Zwischen den Stühlen" eröffnet. Ich lade Sie herzlich ein, sich diese Ausstellung anzusehen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
gleich werde ich mich auf den Weg nach Minsk machen, daher könnte es kaum passender sein, dass das Thema unseres Treffens am heutigen Morgen lautet: "Krise als Normalzustand". In der Tat scheint der Krisenmodus der aktuelle Aggregatzustand der Welt zu sein. Allerdings ist mit dem Schlagwort Krise allein ist noch nicht viel erklärt. Denn wenn wir einen etwas genaueren Blick auf den Krisenzustand dieser Welt werfen, dann sehen wir doch, dass es sich um multiple, aber auch grundverschiedene Krisen handelt, über die wir unter einer Überschrift reden. Oft sind es Umbrüche, oft sind es Entscheidungen, die Verunsicherung auslösen: Die Brexit-Abstimmung, die Gewalt in der Ostukraine, der tobende Krieg in Syrien, die ungelösten Konflikte in Jemen und Libyen, die Instabilität in der Türkei. Und natürlich wird auch die Wahl von Donald Trump als neuem US-Präsidenten Veränderungen mit sich bringen, von denen wir im Augenblick noch nicht wissen, welche Richtung sie nehmen, welche Tragweite sie haben werden. Und weil das so ist, löst es in Europa Unsicherheiten aus.
Zusammengenommen könnte man sagen: es ist ein sehr ernüchterndes Bild, das sich ergibt bei einem Blick auf die Welt. Aber, meine Damen und Herren, das, was wir uns immer wieder sagen müssen ist, dass wir uns von diesem Zustand nicht lähmen lassen dürfen. Nicht den Zustand der Welt beschreiben und dann in Ohnmacht oder Untätigkeit verfallen. Sondern es bedarf jetzt umso mehr einer verantwortlichen Außenpolitik, und ich will betonen, gerade mit Blick auf Brexit, einer verantwortlichen europäischen Außenpolitik.
Wenn ich von engagierter Außenpolitik spreche, meine ich gerade nicht blinden Aktivismus. Gute Außenpolitik zeichnet sich nicht dadurch aus, dass wir in hektische Betriebsamkeit verfallen, sondern dass wir beharrlich und mit Augenmaß und hoffentlich basierend auf kluger Analyse an einer diplomatischen Lösung arbeiten und uns nicht entmutigen lassen, wenn sie im ersten und im zweiten Schritt nicht eintreten will. Das gilt ganz besonders mit Blick auf die Ostukraine. Wie viele haben in den letzten Tage gefragt: Was hat das Minsker Abkommen eigentlich gebracht? Die Unsicherheit in der Ost-Ukraine ist immer noch da, der Konflikt ist nicht gelöst. Das ist wahr. Aber in der Außenpolitik muss man sich manchmal auch hypothetische Verläufe vorstellen, wie sie eingetreten wären, wenn einzelne Entscheidungen nicht gefallen wären. Was wäre passiert in der Ukraine, wenn wir nicht den Weg zum Minsker Abkommen gefunden hätten. Damals standen wir vor einer Situation, in der sich der Konflikt in der Donbass-Region auszuweiten drohte. Ich glaube wir müssen immer wieder richtig einschätzen, dass das Minsker Abkommen nicht die Lösung des Konflikts war, aber dass das Abkommen immerhin ein "containment" des Konflikts mit sich gebracht hat und der Konflikt nicht zu einem Flächenbrand in der ganzen Ost-Ukraine geworden ist. Und damit auch verhindert hat, dass es zu einer Großkonfrontation in Europa zwischen Ost und West weit über die Ukraine hinaus gekommen ist.
Natürlich ist das Minsker Abkommen nicht die Lösung. Und natürlich sind die Umsetzungsschritte, die wir seit der Unterzeichnung des Abkommens getroffen haben, sehr langsam. Und natürlich ist es so, dass wenn immer wir Waffenstillstände vereinbart haben, wir festgestellt haben, dass sie wenige Wochen danach auch wieder gebrochen worden sind. Aber wir haben den Eskalationsstatus deutlich reduziert und mit den bisherigen Treffen - ob auf Außenminister- oder wie zuletzt hier in Berlin auf Chefebene - ist es immer wieder gelungen, die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Wir bauen an den nächsten Schritten, um den Waffenstillstand stabiler zu machen. Das ist schwierig, aber wir haben keine andere Möglichkeit, als uns diesen Schwierigkeiten zu widmen. Wir müssen nun beharrlich weiterarbeiten, mindestens so lange, wie die Konfliktparteien das Minsker Abkommen als die Grundlage ihrer Konfliktaufarbeitung betrachten.
Viel schwieriger noch sind die Themen in Syrien und Libyen. In Syrien ist eine Einschätzung der Lage im Moment schwierig. Ich glaube, so sehr wir in diesem Moment auf Aleppo schauen, so katastrophal die Lage vor Ort ist, so unerträglich die Bilder und die Vorstellung ist, das sich die humanitäre Katastrophe noch um mehrere Wochen oder gar Monate hinzieht, die Hoffnung des Regimes, und seiner Unterstützer Russland und Iran, dass mit Ost-Aleppo irgendetwas entschieden sein wird in Syrien, diese Einschätzung teile ich nicht. Es haben so viele Akteure in diesen Konflikt investiert, dieser Konflikt wird so nicht zu Ende gehen, unabhängig davon, was gerade in Ost-Aleppo militärisch passiert. In der gegenwärtigen Phase, das müssen wir leider feststellen, in der alle auf den Wechsel in der amerikanischen Administration warten, haben das Regime in Damaskus und die Unterstützer in Russland und Iran diese Interimssituation genutzt, um die militärische Lage in Syrien zu verändern. Wir sind im Augenblick bemüht, und ich hoffe, dass wir das Gespräch heute in Minsk mit der russischen Seite dazu nutzen können, wenigstens ein Mindestmaß an humanitärer Unterstützung in den nächsten Tagen dorthin bringen zu können.
Die Konfliktlage in Libyen eskaliert zurzeit nicht. Die legitime Regierung in Tripolis ist sogar erfolgreich gewesen, bei der Zurückschlagung von ISIS-Kräften rund um Sirte. Dabei müssen wir allerdings konstatieren, dass sich die militärische Lage mehr und mehr zu Gunsten von General Haftar im Osten verschiebt und der politische Kompromiss, den wir in Libyen brauchen, um das Auseinanderfallen des Landes zu verhindert, dass dieser Kompromiss immer dringender wird. Gemeinsam mit meinem italienischen Kollegen haben wir deshalb gestern beraten, welche Initiativen wir voranbringen können, auch unter Einbeziehung der Nachbarstaaten Libyens und der regionalen Akteure, um eine Brücke zu bauen, zwischen Tobruk und Tripolis.
Wenn wir uns diese Konfliktregionen ansehen, dann findet das alles nah an unseren Grenzen statt. Deshalb: Verunsicherung nach dem Brexit hin oder her: das was die Menschen von uns erwarten, ist dass wir, dass Europa Antworten liefert, in Bereichen, in denen wir sie bislang nicht gegeben haben, bei Fragen der Migration zum Beispiel. Aber wenn ich es richtig sehe, dann haben die Deutschen mit Blick auf Europa vor allem eine Erwartung: dass europäische Außenpolitik stärker und sichtbarer wird, und dass in der Außenpolitik die Mitgliedsstaaten untereinander besser und stärker zusammenarbeiten.
Deshalb habe ich nach dem britischen Referendum in einem Papier, das wir zunächst zwischen Deutschland und Frankreich ausgearbeitet haben, und dann gemeinsam mit unseren italienischen Freunden erweitert haben, zum Ausdruck gebracht: wir müssen den Deutschen und den Bevölkerungen in den Mitgliedsstaaten zeigen, was wir im Bereich der Gewährleistung von Sicherheit tatsächlich gewillt sind zu tun. Ich glaube mit Blick auf den letzten gemeinsamen Rat der Außen- und Verteidigungsminister in Europa ist sichtbar geworden, dass es doch eine große Bereitschaft bei den europäischen Mitgliedsstaaten - minus Großbritannien - gibt, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas voranzubringen. Wohlgemerkt in Koordination mit den bestehenden internationalen Organisationen. Mit den Vereinten Nationen, der OSZE, und was noch dringender zu sagen ist, und wo die Fragen noch lauter sind: natürlich nicht in Konkurrenz zur NATO, sondern in Ergänzung zur NATO und in voller Komplementarität. Darum geht es bei dem, was wir in Europa zurzeit miteinander diskutieren und was wir dann hoffentlich zum Jubiläum der Römischen Verträge im nächsten Jahr in Rom auch gemeinsam vorzeigen können. Klare sicherheitspolitische Konturen auch in der Europäischen Union!
Meine Damen und Herren,
das waren einige wenige Anmerkungen, um die aktuellen Krisenverläufe zu zeigen. Ein paar Anforderungen an uns selbst mit Blick auf Europa zu nennen. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst machen, warum wir jedenfalls nach meiner Auffassung im Augenblick in einer so schwierigen, geradezu verteufelten Lage sind mit Blick auf Lösungen für diese Konflikte, die auf sich warten lassen und die offenbar nur schwer zu erbringen sind. Einige haben immer die schnellen Antworten: mit Blick auf den Nahen Osten ist es das Sykes-Picot-Abkommen, oder manche sagen mit Blick auf Nordafrika, die Intervention in Libyen sei entscheidend gewesen für die Destabilisierung der Region. Irgendwie ist an allen diesen Aussagen etwas dran. Aber es sind natürlich nicht die vollständigen Erklärungen für die Schwierigkeiten, vor denen wir heute stehen. Was die Lösungen im Augenblick so schwierig macht, ist die Unterschiedlichkeit dieser Konflikte mit Blick auf die Ordnungsstrukturen, die bei den verschiedenen Akteuren dahinter stehen. Ganz holzschnittartig gesagt: wenn wir, die Italiener und die Deutschen, in eine Konfliktvermittlung hineingehen, dann tun wir das auf Basis einer internationalen Ordnung mit Wertvorstellungen wie sie verkörpert sind in den Vereinten Nationen. Wir sind gleichzeitig in Konkurrenz mit einem Russland, das sich immer stärker sichtbar an einem anderen Ordnungsmodell orientiert. Dieses Ordnungsmodell ist weniger die wertebasierte Ordnung von der wir sprechen, sondern ist stärker hin zu Jalta entwickelt. Mit Blick auf die Aufteilung der Welt in klare Einflusszonen. Was die neuen Konflikte im Mittleren Osten angeht, ist es vielleicht eine Signatur des 21. Jahrhunderts, dass wir es gar nicht mehr mit den Großkonfrontationen zwischen einzelnen Staaten zu tun haben, sondern dass wir immer mehr regionale Konflikte erleben werden, die machtpolitische Ausgangsbedingungen haben, in denen um Macht und Einfluss gerungen wird, aber die im Verlauf eines Konflikts immer mehr und mehr überlagert werden von religiösen oder ethnischen Gesichtspunkten. Und das erleben wir im Augenblick im Syrien-Konflikt, das macht die Lösungen so unendlich schwierig.
Herzlichen Dank!