Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 26.01.2017
Untertitel: Rede von Außenminister Steinmeier zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte in Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2017/170126_BM_Rede_Ausbildungsunterstuetzung_Irak.html
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziemlich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leitlinien der Großen Koalition gesprochen. Ich habe mir meine Rede von damals herausgeholt und bin fast etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wiedergegeben habe. Ich habe damals gesagt, wir müssten mit gewissen Beunruhigungen rechnen. Deshalb könnte man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land steigt.
Also, im Rückblick würde ich sagen: "Beunruhigung" war eigentlich eine Untertreibung … Da kamen die Unruhen auf dem Maidan, die zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim führten. Da war die Ebolakrise. Da war die neue Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen. Da war der erste Aufmarsch der IS-Kämpfer, die sich daranmachten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen. All das ist keine Auflistung der letzten drei Jahre, sondern all das geschah in den ersten sechs Monaten!
Und deswegen war der Aufruf zu "mehr Verantwortung" niemals nur Trockenübung; sondern wir wurden ins kalte Wasser geworfen. Die internationalen Krisen haben unsere Verantwortungsbereitschaft von Tag 1 an getestet und wir haben uns dem gestellt! Dieses Parlament hat wie das heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt eben nicht erklärt: "Abschotten, dicht machen lasst die Welt mit ihren Nöten draußen". Sondern Sie alle haben Ihre Verantwortung ernst genommen; Sie haben danach gehandelt! Dafür will ich Ihnen danken!
Unser Engagement im Irak, über das wir heute sprechen, steht beispielhaft für die gewachsene Verantwortung. Und ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwortung haben wir nie einfältig als einseitig verstanden. Wir haben immer gewusst: Das kann militärische Optionen beinhalten. Wir haben uns aber nicht auf militärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden politischen Ansatz versucht. Wir wussten: mit den Mördern des IS gibt es nichts zu verhandeln; und wir müssen gerade diejenigen unterstützen, die sich an vorderster Front der menschenverachtenden Gewalt des IS entgegenwerfen. Aber um den Irak insgesamt zu festigen, um dem Terror den Nährboden zu entziehen, braucht es viel mehr: zum einen natürlich Humanitäre Hilfe, zum anderen die aktive politische Arbeit mit der irakischen Zentralregierung. So zeigt sich am Beispiel Irak auch: Unsere Verantwortung ist gewachsen, ja. Aber mit ihr auch der Instrumentenkasten unserer Außenpolitik. Mit der Unterstützung des Bundestages haben wir unsere Möglichkeiten kontinuierlich erweitert, am spürbarsten wohl unter dem Stichwort Stabilisierung. Allein im Irak haben wir in den letzten beiden Jahren 47 Millionen Euro eingesetzt, dank denen heute Schulen und Krankenhäuser, Strom- und Wasserleitungen wieder funktionieren. Viele, die vom IS vertrieben waren, konnten deshalb schon nach Tikrit, Falludscha oder Ramadi zurückkehren. Das ist Außenpolitik aus einem Guss. So stelle ich mir das vor.
Kolleginnen und Kollegen, es gibt hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte Rede als Außenminister vor dem Bundestag sein könnte. Und ich fürchte, das sind keine Fake News, sondern das haben wir ernst zu nehmen. Deshalb erlauben Sie mir einen Blick zurück auf die letzten drei Jahre. Ich werde dabei meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen.
Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben mehr Verantwortung gewagt! Und das Wagnis wäre nicht geglückt ohne den deutschen Bundestag! Und das nicht, weil die Kollegen Barnett, Karl, Leutert und Lindner am Geldhahn sitzen. Sondern ich meine etwas viel Grundsätzlicheres: Mehr Verantwortung, mehr Engagement in der Welt kann nicht von oben verordnet werden. Sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser Gesellschaft herausbilden. Wenn die Rolle unseres Landes in der Welt sich wandelt und das tut sie ja! , dann muss die ganze Gesellschaft darüber diskutieren!
Ich sage das jetzt nicht als Mitglied der Regierung, sondern als Mitglied dieses Parlaments: Ich bin stolz darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat, dass wir die Debatte uns selbst und der Öffentlichkeit zugemutet haben:
Erstens: wir haben diskutiert und gestritten über den Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen Regierungen, mit wachsenden Spannungen, etwa mit Russland oder der Türkei. Zweitens: wir haben diskutiert über den Ausbau von Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik und da spreche ich dann doch wieder als Außenminister, wenn ich sage: Danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amts, die jedes Jahr gewachsen ist. Drittens: Wir haben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik. Ich denke an die Leitlinien Zivile Krisenprävention ein Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen; oder an die Wiederbelebung der Rüstungskontrolle in Europa, oder an die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule der Außenpolitik. Ich bin dem Unterausschuss, Ulla Schmidt, Claudia Roth und Peter Gauweiler und vielen anderen, dankbar, dass sie nicht nur die Bedeutung erkannt, sondern dass sie uns auch mit Möglichkeiten ausgestattet haben. Herzlichen Dank dafür!
Und natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir besonders intensiv über Mandate diskutiert, so wie heute das Irak-Mandat. Nirgendwo sonst streiten wir so lange und so heftig wie bei Mandaten.
Aber heute will ich doch auch mal sagen: Dass wir in Deutschland mit jedem Einsatz von militärischen Mitteln wirklich ringen, das ist doch vor dem Hintergrund unserer Geschichte wahrlich nichts Schlechtes! So sehr ich mir eine aktive, selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wären sicher kein besseres Land, wenn uns die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, von Polizistinnen und Polizisten, Helferinnen und Helfern in Krisenregionen dieser Welt leicht von der Hand ginge! Deshalb sind die Kontroversen so wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Krisen und Konflikte Welt aus den Fugen das haben Sie von mir in den letzten drei Jahren so oft gehört, dass manche das schon mitsprechen können … Aber 2016 und 2017 ist eines neu: die größten politischen Erschütterungen, die kamen nicht mehr von Ferne, sondern aus dem Inneren unserer westlichen Gesellschaften: der Paukenschlag des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA, und jetzt kommen Wahlen in Niederlanden und in Frankreich. Dort, liebe Kollegen, entscheidet sich die Richtung Europas, die Richtung der internationalen Zusammenarbeit, und deshalb auch die Handlungsfähigkeit unserer Außenpolitik.
Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung im Einzelnen mit sich bringt. Nur eines weiß ich: Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen verschwimmt, dann darf der Parlamentarismus dabei nicht weggespült werden. Sondern im Gegenteil: Sie, die Parlamentarier, müssen die Fährleute zwischen den Ufern sein. Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engagement in der ganzen Welt entscheiden, und gleichzeitig müssen Sie zuhause im Wahlkreis den Menschen erklären, was da eigentlich los ist in Syrien oder Russland oder der Türkei.
Jeder und jede von Ihnen trägt diese Verantwortung: die Lage der Welt erklären, ohne zu vereinfachen; Außenpolitik vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen. Das ist eine schwierige, aber es ist auch eine verdammt noble Aufgabe!
Und weil Ihre noble Aufgabe eher noch wichtiger werden wird, will ich zwei Wünsche loswerden:
Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außenpolitik lässt sich nicht von der Sofaecke aus machen; das gilt für Abgeordnete genau wie für Außenminister. Mehr als 2000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits in dieser Legislaturperiode unternommen. Damit überbieten Sie sogar mein Meilenkonto, und das ist gut so! Pflegen Sie die Gesprächskanäle, bilateral und in die internationalen Parlamentarierforen von OSZE und Europarat und NATO; und mit dem Patenschaftsprogramm gerade auch dorthin, wo Demokratie und Parlamentarier bedroht sind. Und mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft: Wenn wir gewachsene internationale Verantwortung nicht abschütteln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann brauchen wir international aufgestellten Parlamentariernachwuchs. Darum will ich auch jeden von Ihnen bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation für internationales Engagement. Ermutigen Sie die jungen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen hinauszuschauen. Sagen Sie ihnen und werben Sie in den Parteien, dass Zeit im Ausland keine verlorene Zeit für die Karriere ist, dass sie dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen werden. Es ist wichtig, dass wir junge Abgeordnete haben, die sich in der Welt auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut. Wir brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielleicht darf ich mit einer persönlichen Bemerkung schließen. Ich verlasse dieses Parlament zwar als Mitglied der Regierung, mein erster Platz hier war aber in den Reihen der Opposition. Es ist ja kein Geheimnis: Als ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, da hatte ich es lieber Thomas nicht auf Deinen Stuhl abgesehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regierungsbank. Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben …
Ein großer sozialdemokratischer Parteivorsitzender hat mal gesagt: "Opposition is ‘ Mist". hat ein großer SPD-Vorsitzender gesagt … Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vorsitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz interpretieren. Wenn Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig Dünger für die Demokratie! Das ist gut so, und ich hoffe, das bleibt respektiert in diesem Hause.
Willy Brandt, weit nach seinen Kanzlerjahren, hat einmal als Alterspräsident in diesem Hause formuliert: "Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleichermaßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob sie Macht verwalten oder diese kontrollieren […] Parlamentarische Verantwortung für unseren Staat obliegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner Seite Vorrecht."
Was Brandt vor 34 Jahren sagte, müssen wir heute auch auf die Außenpolitik beziehen. Die parlamentarische Demokratie steht weltweit unter Druck; wird vielerorts infrage gestellt. In zu vielen Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und selbst ernannte "starke Männer" haben die Verachtung von demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprinzip erhoben.
Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten oder Argumente; in dem Sprache jedes Maß verloren hat und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends schwindet.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen jetzt den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokratie verteidigen, im Innern unserer Gesellschaft wie nach außen.
Wenn ich irgend kann, werde ich aus möglichen neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gerne mittun … aber beginnen kann sie nirgendwo sonst als hier, an diesem stolzen Pult! Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses Pult! Ich jedenfalls werde es vermissen.