Redner(in): k.A.
Datum: 14.06.2007

Untertitel: Rede des Bundesaußenministers anlässlich der Eröffnung des Festivals "Macht der Sprache", 14.06.07
Anrede: Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Jutta Limbach,sehr geehrter Herr Plesu,sehr geehrter Herr Dr. Schlüter,sehr geehrter Herr Präsident, lieber Klaus Staeck,sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,meine Damen und Herren!
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/070614-BMMachtderSprache.html


Schaut man in die unzähligen Bemerkungen über unsere deutsche Sprache, so stellt man fest: sie ist ein ziemlich heimatloser Geselle. Als man beginnt, von "deutsch" überhaupt zu sprechen, wusste man jedenfalls nur eines: diejenigen, die deutsch sprechen, verstehen kein Latein. Und so geht das weiter: der bedeutendste Lyriker des Hochmittelalters, Oswald von Wolkenstein, kommt daher, wohin wir heutzutage in Urlaub fahren, nämlich aus dem heutigen Italien. Viele unserer als typisch deutsch empfundenen Worte wie Bier, Mauer und Straße aus dem Lateinischen. Und den Ursprung des modernen Deutsch hat man lange Zeit und mit guten Argumenten in Prag angesetzt bevor man sich dazu entschieden hat festzustellen, dass es gar keinen festen Ursprungsort gibt.

Und noch eines fällt auf: seitdem man über die deutsche Sprache nachdenkt, seitdem man die so genannte Sprachpflege betreibt, klagt man abwechselnd oder gleichzeitig über Verdrängung, Verfremdung oder Verformung, über den schlechten Zustand unserer Sprache, die Gefahr, dass sie verschwinden könnte, oder die Schwierigkeit, sie zu erlernen.

Das ist ja auch alles nicht ganz falsch. Aber es lohnt sich doch auch, einmal die Perspektive zu wechseln: Ilija Trojanow, einer der erfolgreichen deutschen Romanciers, hat erst mit zwölf Jahren Deutsch gelernt, wie er mir vor einigen Tagen hier in der Akademie der Künste erzählt hat. Einer der großen Dichter unserer Sprachen, Said, ist erst im Alter von zwanzig Jahren nach Deutschland gekommen, und eine große Anzahl junger Schriftsteller mit Migrationshintergrund findet sich in der deutschen Sprache im wahrsten Sinne des Wortes zu Hause.

Und noch eines ist bemerkenswert: Seit 1998 ist die Zahl der ausländischen Studierenden in Deutschland um rund 50 % auf immerhin knapp 250.000 angestiegen. Und es kommen vorwiegend Menschen aus Asien und den Nicht-EU-Staaten, um an den deutschen Universitäten zu studieren. Und die meisten dieser jungen Menschen kommen doch nicht, um einen schwäbischen Professor auf Englisch unterrichten zu hören!

Sie ahnen längst, worauf ich hinaus will: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt". Dieses Wittgenstein-Zitat ist nicht nur eine Feststellung, sondern auch eine Aufforderung. Ganz besonders an die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Seit Willy Brandt hat Deutschland begriffen, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik das gleiche Gewicht und den gleichen Stellenwert haben muss wie die klassische Diplomatie und die Außenwirtschaftspolitik. Und selten waren der Gedankenaustausch mit anderen Kulturen, die gegenseitige Beeinflussung und die Zusammenarbeit so notwendig wie heute. Und das bedeutet für die Politik ganz konkret, dass wir weltweit Räume zur Verfügung stellen müssen, in denen sich unser Land mit den Mitteln der Kunst und der Kultur erklärt, in denen es sich in der ganzen Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksformen und ganz besonders in der sprachlichen Vermittlung im besten Sinne des Wortes in der Welt "verständlich" macht und unsere Partner in der Welt zu verstehen sucht.

Und der weltweit beste Name für diese offenen Räume des Austausches ist, jenseits aller Marketing-Strategien und trotz Fußball-Kaisern, der des Dichterfürsten "Goethe" !

Und ich möchte auch an dieser Stelle den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, den Kulturschaffenden und Kulturbegeisterten dafür danken, dass sie gemeinsam mit uns das Goethe-Institut in der notwendigen Reform und dem noch notwendigeren Ausbau seiner Präsenz im Ausland unterstützen. Gemeinsam mit ihnen haben wir nach dem schmerzhaften Rückgang der Finanzmittel seit dem Fall der Mauer auch finanziell eine Trendwende eingeleitet, und damit diese anhält, brauchen wir auch weiterhin die Fürsprache aus der Kultur für die Kultur, für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Ganz besonders danken möchte ich der Präsidentin und dem Generalsekretär des Goethe-Institutes, die diesen Ansatz nicht nur mitgetragen, sondern entschieden und verantwortlich umgesetzt haben! Ihre Reformanstrengungen machen Mut für die Zukunft, und ich weiß, dass sie der Sprachvermittlung, als eine der nobelsten Aufgaben des Goethe-Institutes, dabei einen ganz besonderen Stellenwert einräumen.

Damit meine ich nicht nur die Liebeserklärung an die deutsche Sprache, die Sie, sehr verehrte Frau Präsidentin, vor einigen Jahren in Buchform vorgelegt haben und der Sie heute diesen Kongress folgen lassen. Sondern ganz besonders ihre Überlegungen zur Stärkung der Sprachvermittlung in der tagtäglichen Arbeit ihrer Institution!

Ich bin nicht nur genau dieser Auffassung, sondern würde hinzusetzen: wir sollten die internationale und interkulturelle Lerngemeinschaft nicht nur fordern, oder bestenfalls beschreiben wollen, sondern wir sollten sie vor allem stärker prägen!

Deswegen will ich im nächsten Jahr und wir bereiten dies bereits jetzt in den Haushaltsverhandlungen vor die deutschen Auslandsschulen stärken. Auslandsschulen und alle die Schulen, in denen junge Menschen aus aller Welt erste Kontakte mit unserer Sprache knüpfen können, sind Orte des praktischen Kulturdialogs. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur kulturellen, zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur im jeweiligen Land sondern ich bin sicher: auch in Deutschland. Deutschland braucht gut ausgebildete, interkulturell erfahrene Menschen aus und in anderen Ländern dieser Welt.

Wir wollen mit neuen, innovativen Ansätzen künftig mehr beitragen für den Aufbau von Schulsystemen, besonders in Afrika und Asien. Für 2008 möchte ich daher gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft, dem Weltverband der Auslandsschulen, dem Goethe-Institut und unseren anderen Partnern, auch den Bundesländern, eine Schulinitiative unter dem Stichwort "Schulen - Partner der Zukunft" ins Leben rufen.

Wenn ich sage, wir brauchen mehr kulturelle Infrastruktur im Ausland, wir brauchen mehr Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik insgesamt, dann unterliege ich sicher nicht der Illusion, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit Werkzeugcharakter hätte für die politischen Ziele von Frieden, Gerechtigkeit, Sicherheit und Stabilität.

Aber ich mache als Außenpolitiker nahezu tagtäglich die Erfahrung, dass Sprachlosigkeit oder gar die Verweigerung von Dialog Konflikte vertieft. Und Dialog ist für mich dabei nicht die politische Konferenz oder der Staatsbesuch. Gerade wo politische Sprache eng an Interessen geknüpft ist, wo sie sich in Sackgassen befindet, kann Kultur das tiefere Fundament für eine Verständigung gießen, Brückenpfeiler setzen und Wege bereiten, die Verbindungen möglich machen und Nähe wieder zulassen. Auch deshalb, weil sie die Erfahrung gemacht hat, dass wir unterschiedliche Sichtweisen nicht immer und durchweg als Unglück begreifen sollten, sondern als eine Chance für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Denn jedes Land, jede Kultur erlebt das gemeinsame Schicksal aufgrund ihrer jeweiligen Erfahrungen anders, wie das Milan Kundera einmal formuliert hat. Und ohne Verständnis für diese tieferen Bewusstseinschichten können wir auch die politischen Diskussionen nicht verantwortungsvoll führen.

Unterschiedliche Sichtweisen sollten wir dabei nicht als Unglück begreifen, sondern als eine Chance für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Denn jedes Land, jede Kultur erlebt das gemeinsame Schicksal aufgrund ihrer jeweiligen Erfahrungen anders, und ohne Verständnis für diese tieferen Bewusstseinschichten können wir auch die politischen Diskussionen nicht verantwortungsvoll führen.

Wer sich jemals ein unmittelbares Bild zum Beispiel von der reichen Kultur Irans, von der Schönheit der arabischen Poesie oder den grandiosen Kulturdenkmälern Zentralasiens machen konnte oder kann, der wird weniger häufig in der Nabelschau auf die eigene Kultur deren Überlegenheit oder Vorbildcharakter behaupten, der wird mit mehr Respekt und Bescheidenheit anderen Kulturen und anderen Menschen gegenüber treten und der wird vor allem viel besser begreifen, wie sehr die eigene Kultur immer schon aus der Begegnung mit anderen Kulturen entstanden ist und weiter entsteht.

Europäische Kultur ist seit Jahrhunderten gewachsen im Austausch mit anderen. Sie hat integriert, was versinkende Mächte hinterlassen haben. Und Versöhnung und gemeinsame Zukunft selbst dort möglich gemacht, wo die politischen Fakten Zerstörung und Unheil hinterlassen haben.

Wir Europäer und besonders wir Deutschen verdanken dies ganz besonders der Zuneigung von Menschen wie Andrei Plesu oder Imre Kertesz zur deutschen Sprache und Kultur. Und gerade deswegen sollten wir auch den Appell in Wittgensteins Feststellung ernst nehmen. Und durch den Zugang zu unserer eigenen Sprache und den Austausch mit anderen Kulturen die Grenzen der Sprachen und die Grenzen unserer Weltsichten überschreiten helfen.

Vielen Dank!