Redner(in): Sigmar Gabriel
Datum: 13.06.2017

Untertitel: Rede von Außenminister Sigmar Gabriel zur Eröffnung des 8. Jahresforums der Ostseestrategie der Europäischen Union
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Ahtisaari,sehr geehrte Frau Mazur,sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2017/170613-BM-Jahresforum_Ostseestrategie.html


herzlich willkommen Ihnen allen hier im Auswärtigen Amt zum 8. Jahresforum der Ostseestrategie der Europäischen Union!

Es ist für uns eine große Ehre und eine große Freude, Sie, lieber Präsident Martti Ahtisaari, hier heute begrüßen zu dürfen. Herr Präsident Ahtisaari - Sie sind der Experte für internationale Mediation. Viel mehr noch. Sie sind ein großer Friedenstifter - in Europa und weit darüber hinaus.

Für Ihren weltweiten Einsatz sind Sie 2008 mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden. Aber bei allem weltweiten Engagement: Sie sind ein Mann Ihrer Heimatregion geblieben, nämlich der Ostseeregion. Sie sind auch Ehrenvorsitzender des Ostseeforums.

Mit Ihrem Engagement für die Ostseeregion, Herr Präsident, demonstrieren Sie etwas was wir alle nicht aus dem Blick verlieren dürfen:

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Nachbarn entsteht nicht von alleine, sie braucht intensive Pflege, sie braucht Aufmerksamkeit und vor allem braucht sie die politischen Bereitschaft gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Gerade auch in schwierigen Zeiten.

Denn wie schnell regionale Spannungen eskalieren können, das sehen wir in diesen Tagen in einer anderen Region, nämlich der arabischen Halbinsel. Die diplomatische Krise zwischen Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten einerseits und Katar andererseits macht deutlich:

Wenn Vertrauen verloren geht, dann braucht es enorm viel Energie und Willen die Parteien wieder zusammenzubringen. Ich hoffe daher sehr, dass es auf allen Seiten der Wunsch entsteht, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Und wir Europäer wissen ja aus eigener leidvoller Erfahrung, wie schnell man in immer größer werdende Konflikte geraten kann, wenn es keine Gespräche mehr gibt. Wenn, so wie es Historiker beschrieben haben, Nationen nur an ihre eigenen Interessen denken und sich am Ende wie Schlafwandler in einem militärischen Konflikt wieder finden.

Wenn wir hingegen auf die Ostseeregion heute schauen, dann zeigt sich ein erfreuliches Bild. Sie hat sich durchaus zu einem Vorbild entwickelt, auch gerade für die regionale Zusammenarbeit in anderen Teilen der Welt.

Acht Staaten der Europäischen Union grenzen an die Ostsee. Heute ist die Ostsee gleichsam das Binnenmeer der Europäischen Union, denn der bei weitem größte Teil der Ostseeküste gehört zu europäischen Ländern. Wir spüren an dieser Region ganz deutlich, welche Friedenskraft die Europäische Union entfalten kann. Statt des Eisernen Vorhangs, der auch die Ostsee geteilt hat kooperieren heute acht EU-Mitglieder als Ostseeanrainer miteinander. Und mit diesem Forum hier in Berlin beschließen wir damit den ersten Zyklus von acht Jahresforen, die zu einem festen Bestandteil vertrauensvoller Zusammenarbeit im Ostseeraum geworden sind.

Dabei können wir bauen auf eine Tradition der Kooperation und auch von vielfältigen Verbindungen im Ostseeraum. Und das nicht erst seit gestern! Schon seit Jahrhunderten ist die Ostsee ein gemeinsamer Kulturraum. Mit der Hanse der übrigens auch meine Heimatstadt Goslar, wenn auch weit weg von der Ostsse gelegen, dreihundert Jahre lang angehörte wurden in der Region Grundlagen für einen gemeinsamen Handel, aber auch kulturellen und politischen Austausch gelegt.

Doch auch in der Ostseeregion gibt es Probleme, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen und auch gar verschließen können:

Wir müssen feststellen, dass sich die politische Großwetterlage rund um die Ostsee in den letzten Jahren verschlechtert hat. Ich spreche von den Beziehungen zu Russland. Seit der Annexion der Krim und dem Beginn der gerade in diesen Tagen wieder aufflammenden Kämpfe in der Ostukraine haben wir eine schwere Debatte mit unserem Partner in Russland über die Wiederherstellung von staatlicher Integrität und vor allem Beendigung von bewaffneten Auseinandersetzungen.

Natürlich geht es dabei um die Sicherheit unserer baltischen Partner denn die Sicherheit Estlands, Lettlands und Litauens ist letztlich gleichbedeutend zum Beispiel auch mit der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und Europas.

Es geht auch um ganz praktische Fragen, die das Potential haben, Spannungen zu erhöhen. Wir wollen zum Beispiel, dass wir beim Thema Luftsicherheit über der Ostsee Fortschritte erzielen, damit es eben nicht zu Zwischenfällen kommen kann.

Wir müssen insgesamt alles dafür tun, dass sich nicht mehr Misstrauen als ohnehin schon vorhanden in die Fugen unserer Zusammenarbeit schleicht. Wir sollten stattdessen entschlossen Kooperationsmöglichkeiten im Ostseeraum gerade mit den Nachbarn ausloten, mit denen es ansonsten politisch gerade schwierig ist.

Daher möchte ich die Bedeutung der Beziehungen zur Nachbarschaft der EU-Ostseestrategie unterstreichen. Ich denke da besonders an Russland. Denn wir können im Ostseeraum zeigen, dass eine enge regionale Zusammenarbeit mit Russland möglich ist und auch positive Zukunftsperspektiven eröffnet.

Ich unterstütze deshalb nachdrücklich die Anstrengungen, die Beziehungen Russland und auch mit Weißrussland im Rahmen der Strategie fortzuentwickeln.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Russland und auch Weißrussland heiße ich heute hier besonders willkommen.

Natürlich begrüße ich die Vertreterinnen und Vertreter aus Norwegen sehr herzlich, mit denen wir bei der Kooperation in der Ostsee, wie bei so vielen anderen Dossiers, so eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Meine Damen und Herren,

die Ostseestrategie der Europäischen Union ist aus meiner Sicht eine hervorragende Plattform, diese so notwendige Kooperation in der Ostseeregion voranzubringen und auszugestalten.

Ich will deshalb zwei Bereiche hervorheben, die einerseits zeigen, was gute regionale Kooperation leisten kann, aber auch wo wir uns noch gemeinsam weiter engagieren müssen.

Mein erster Punkt betrifft die Zukunftstechnologien.

Viele innovative und junge Unternehmen kommen aus der Ostseeregion, exemplarisch seien nur Skype oder Spotify genannt - Namen, die viele von uns wahrscheinlich täglich auf ihren Smartphones sehen. Ericsson, eine der großen Technologie-Firmen, kommt ebenfalls aus der Region ich begrüße die Vizepräsidentin von Ericsson, Frau Sara Mazur sehr herzlich bei uns!

Uns muss es darum gehen, weiter Innovationskraft bei neuen Techniken und Medien zu füttern. Und gleichzeitig müssen wir die Chancen, die neue Technologien und Techniken eröffnen, für uns nutzbar machen.

Die Trends sind klar und sind im Übrigen auch mit mehr umkehrbar: Ganze Wirtschaftszweige organisieren sich neu. Was früher fern schien, ist heute näher gerückt. Schnelle Kommunikation überbrückt Distanzen, schafft Konnektivität.

Davon kann der Ostseeraum in besonderer Weise profitieren, denn einige Regionen unserer Länder waren besonders weit von größeren Märkten entfernt. Die Revolution in der Telekommunikation hilft, aus vielen kleinen Märkten einen großen Markt zu schaffen. Davon hätten die Kaufleute der Hanse geträumt!

Überhaupt muss es unser Ziel bleiben, die Infrastruktur der Region zu stärken, nicht nur die digitale Infrastruktur der Zukunft, sondern auch die traditionelle Infrastruktur. Denn der Bedarf an Investitionen in Infrastruktur bleibt in unseren Ländern hoch.

Daher müssen wir intelligent investieren. Und intelligent zu investieren heißt für mich gerade in einer Region wie der Ostseeregion: Dies koordiniert zu tun; über den Tellerrand des eigenen Staates hinauszublicken auf die Region und gemeinsam und abgestimmt mit Investitionen, die die Region insgesamt voranbringen.

Die Ostseestrategie der Europäischen Union leistet hier viel: zum Beispiel beim Netzausbau. Die baltischen Energiemärkte werden im Rahmen der Strategie besser mit dem europäischen Energiemarkt verbunden.

Meine Damen und Herren,

mein zweiter Punkt bezieht sich auf die Lebensader der Ostseeregion, also die Ostsee selbst.

Ich bin vor einigen Jahren Umweltminister in Deutschland gewesen und schon damals ging es darum, den regionalen Meeresschutz, gerade in der Ostsee, zu verbessern. Es hat sich zwar einiges getan.

Aber der ökologische Zustand der Ostsee muss uns immer noch Sorge bereiten.

Noch immer gelangen hunderttausende Tonnen Stickstoff über unsere Flüsse in die Ostsee, die keinen Frischwasserzugang hat und sich daher nur langsam regenerieren kann.

Ein anderes Beispiel ist der Schutz der Fischbestände. Die Fangquote für Dorsch musste 2016 um mehr 50 % nach unten korrigiert werden, einfach wegen Mangels dieser Fischsorte. Und der europäische Aal ist komplett vom Aussterben bedroht.

Da liegt es doch auf der Hand, dass wir so nicht weitermachen können. Und vor allem, dass wir gemeinsam diesen so wichtigen Lebensraum schützen müssen.

Die Ostseestrategie ist dafür ein gutes Instrument, denn sie ermöglicht uns, koordiniert vorzugehen.

Ich finde es übrigens richtig, dass die Ostseestrategie bei all diesen Bemühungen eben nicht nur auf die Nationalstaaten setzt. Sie bindet diejenigen eng ein, die oftmals viel näher am Geschehen sind als die mitunter weit entfernten Hauptstädte, nämlich die Regionen in der Ostseeregion, also die Teile unserer Staaten, die eng mit der Ostsee verbunden sind.

Ich weiß, dass sich in Deutschland die norddeutschen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein besonders bei der Umsetzung der Strategie engagieren.

Ich glaube, das ist genau der richtige Weg, Europa insgesamt wieder schlagkräftiger zu machen. Denn ich finde, wir sollten Forderungen nach mehr Subsidiarität und weniger Mikromanagment innerhalb der Europäischen Union nicht nur in Sonntagsreden vor uns her tragen, sondern das ganz praktisch voranbringen. Man ist kein Anti-Europäer, wenn man die EU besser machen will und den Gemeinden und Regionen mehr zutraut das schwächt Europa nicht, das macht es stärker.

Meine Damen und Herren,

wenn Sie hier in Berlin zu diesen intensiven zwei Tagen zusammenkommen, dann werden Sie mit Engagement in Ihren einzelnen Fachgebieten zusammenarbeiten, Sie werden sich austauschen, und Sie werden hoffentlich neue Ideen entwickeln.

Uns hier im Auswärtigen Amt ist dabei besonders wichtig, dass Sie dabei fest im Blick behalten, was unser aller übergeordnetes Ziel sein sollte: nämlich die Ostseeregion als Friedensregion weiter zu stärken. Das ist sie schon heute und kann in Zukunft ein gutes Beispiel für viele andere Regionen in der Welt sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.