Redner(in): Markus Ederer
Datum: 12.07.2017

Untertitel: Rede von Staatssekretär Markus Ederer beim Jahresempfang des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft: "Eurasien Brennpunkt der Interessen oder Raum der Kooperation?"
Anrede: Sehr geehrter Herr Harms, lieber Michael,sehr geehrte Mitglieder des Ost-Ausschusses,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2017/170712_StS_E_Ostausschuss.html


Exzellenzen, meine Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zu Ihrem Jahresempfang und für die freundlichen Worte zur Begrüßung. Ich freue mich, heute mit Ihnen an diesem historischen Ort zu sein.

Michael Harms hat Recht, wenn er auf die große Zahl von Krisen hinweist, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Die "Welt ist aus den Fugen" hat ein früherer Außenminister formuliert. In Anspielung auf Johnny Cash sprechen viele von einem "ring of fire", der die EU umgibt, anstelle eines "ring of friends", wie es der Wunsch des früheren Kommissionspräsidenten Romano Prodi war. Allerdings ist die Krisenhaftigkeit, fürchte ich, kein vorübergehendes Phänomen. Sie ist vielmehr Begleiterscheinung von größeren Umbrüchen und von dauerhaften Verschiebungen in der globalen Machtbalance. Wir befinden uns in einer Phase des Übergangs von einer von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mitgestalteten westlich geprägten Ordnung in einen neuen Aggregatszustand, dessen Konturen derzeit nur schemenhaft sichtbar werden. Dies gilt auch und insbesondere für die sich wandelnde Ordnung auf dem Eurasischen Kontinent.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Die eurasische Landmasse gewinnt ihre geoökonomische und -politische Bedeutung zurück. Im Raum zwischen Shanghai und Wladiwostok im Osten und Lissabon im Westen, der von China und Russland über Zentralasien, die Länder der Östlichen Partnerschaft und des Westlichen Balkan bis zur Europäischen Union reicht, stoßen sich zunehmend unterschiedliche Ordnungsmodelle. Wer sprach vor zehn Jahren von einer Seidenstraßeninitiative, der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit oder der Östlichen Partnerschaft der EU? Heute sind dies Synonyme für Projekte der Machtprojektion und des versuchten Machtausgleichs.

China betreibt mit großem Mitteleinsatz seine Seidenstraßeninitiative OBOR / "One Belt One Road" bzw."Belt and Road Initiative". Vor wenigen Wochen erst hat Präsident Xi das Projekt in Peking zelebriert, unter Anwesenheit von 29 Staats- und Regierungschefs. Die chinesische Regierung legt viel Geld ins Schaufenster, viel davon für Infrastrukturprojekte, und arbeitet an der wirtschaftlichen Integration Eurasiens mit "chinesischen Charakteristika". Deshalb seien wir nicht naiv: Bei der Seidenstraßeninitiative geht es China nicht nur um die Verwirklichung ökonomischer Potenziale. China verfolgt die Konzepte der "Wiederherstellung der großen chinesischen Nation" und damit auch historischer "Zentralität". Dabei sind die Schaffung und Verstärkung dauerhafter Abhängigkeiten integraler Bestandteil der Programmatik. Für manche Länder entlang der Seidenstraße gehen die Entwicklungsperspektiven, die sich aus den OBOR-Projekten ergeben, schon heute mit größerer wirtschaftlicher Abhängigkeit und politischen Tributpflichten einher.

Für Russland stellen das OBOR-Projekt und die wirtschaftliche Durchdringung Zentralasiens durch China eine große Herausforderung dar. Moskau hat sich bis vor wenigen Jahren in Zentralasien vor allem sicherheitspolitisch, mit Instrumenten wie der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit ( OVKS ) oder seiner Militärpräsenz in Ländern wie Armenien oder Tadschikistan engagiert. Aber gerade in Zentralasien zeigt sich, dass es mit der Aufteilung, wonach Russland für die Sicherheit und China für die wirtschaftliche Entwicklung zuständig sein soll, nicht getan ist. Ein russischer Gesprächspartner brachte die Frustration kürzlich zugespitzt auf die Formel: "Russland ist der unbezahlte Wachmann im zentralasiatischen Unternehmen, in dem China sein Geld verdient".

Das russisch-chinesische Verhältnis ist also, der strategischen Partnerschaft Russlands mit China und allen politischen Erklärungen zum Trotz, strukturell schwierig. Ob die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ihrem ursprünglichen Zweck gerecht werden kann, nämlich den Interessengegensatz zwischen Moskau und Peking auszugleichen, bleibt offen. Durch die Aufnahme der beiden Antipoden Indien und Pakistan ist die Organisation jedenfalls nicht schlagkräftiger geworden. Russland wird seine traditionell gewichtige Rolle im von Moskau so bezeichneten "Nahen Ausland" so bald nicht aufgeben wollen, ganz zu schweigen vom Konzept des "Russkij Mir".

Allerdings hat Moskau nach Lage der Dinge vor allem wirtschaftlich Schwierigkeiten, den chinesischen Ambitionen etwas Substanzielles entgegenzusetzen. In den Plänen der Seidenstraßeninitiative spielt Russland eher die Rolle eines Juniorpartners; es befindet sich gleichsam im toten Winkel von OBOR. Die neu entstehenden Transportrouten führen vielfach um Russland herum.

Gleichzeitig stößt die von Russland initiierte Eurasische Wirtschaftsunion bei ihren Integrationsbemühungen immer wieder auf Schwierigkeiten. Ökonomen sagen, dass sie politisch und wirtschaftlich zu sehr von Russland dominiert werde, zu wenig komplementär seien die betroffenen Volkswirtschaften, zu gering die Dynamik im Intra-EaWU Handel. Und das neue Konzept, das gerade in Russland diskutiert wird, nämlich "Greater Eurasia", ist im Moment zu vage, um Wirkung zu entfalten. Auch die von Russland geforderte "Integration der Integrationen" entfaltet gegenüber dem dominanten China keine Zugkraft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Es wird meines Erachtens vielfach unterschätzt, aber die Europäische Union hat sich zu einem prägenden Faktor der Ordnungspolitik im Eurasischen Raum entwickelt. Dazu beigetragen hat auch die 2007 auf deutsche Initiative hin entwickelte Zentralasienstrategie der Europäischen Union. Dabei steht die EU-Politik weniger für geostrategische Programmatik als für wirtschaftliche Entwicklung, regionale Sicherheit und Zusammenarbeit, gute Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit und Standardsetzung. Nicht zuletzt verfolgt die EU-Politik damit immer auch die Perspektive, mit den Zielländern die Voraussetzungen für Aktivitäten europäischer und deutscher Unternehmen zu schaffen.

In der östlichen Partnerschaft, für die im November der nächste Gipfel ansteht, ist es durch die Freihandelsabkommen mit Moldau, Georgien und der Ukraine gelungen, in Zeiten protektionistischer Tendenzen ein willkommenes Signal für wirtschaftlichen Austausch sowie die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in diesen Ländern zu setzen.

Dass dieser im Vergleich zu der geostrategischen und ökonomischen Programmatik anderer Akteure eher bescheidene Ansatz der Europäischen Union dennoch in bestimmten Hauptstädten wie in Moskau als geopolitische Offensive der EU empfunden wird, zeigen die gewaltsamen Reaktionen Russlands der letzten 10 Jahre in Georgien und der Ukraine. Man kann lange darüber diskutieren, ob der Ukraine-Konflikt durch eine behutsamere Vorgehensweise auch in Brüssel seinerzeit vermeidbar gewesen wäre. Klar ist: Die Gewaltanwendung und die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland sind nicht zu rechtfertigen. Richtig ist aber auch: Der Satz eines damals führenden Brüsseler Repräsentanten, die Ukraine stehe nunmehr vor einer Wahl zwischen der EU und Russland, wurde jedenfalls in Moskau anders rezipiert als er in Brüssel gemeint war.

Dass sich mancherorts die Konkurrenzverhältnisse verschärfen und wir dem Rechnung tragen müssen, zeigt sich auch auf dem Balkan. Es besteht das Risiko, dass wir diese Region, die ja nach wie vor über eine EU-Beitrittsperspektive verfügt, durch innere Destabilisierung, aber auch angesichts zunehmender Aktivitäten anderer Mächte wie Russland, China, der Türkei oder bestimmter Golfstaaten ein Stück weit verlieren. Dabei sollten wir durchaus selbstkritisch reflektieren, ob die europäische Politik von ihrer Seite genug getan hat, damit die seinerzeit in Thessaloniki verkündete Beitrittsperspektive für diese Länder eine realistische Option bleibt.

Just heute findet im Rahmen des sogenannten Berlin-Prozesses ein Gipfel in Triest statt. Worauf es jetzt ankommt, ist eine Politik, die sichtbare Verbesserungen für die Menschen vor Ort bringt. Wir unterstützen die EU-Kommission bei ihren Bemühungen, die wirtschaftlichen Beziehungen unter den Balkanländern zu stärken. Aber darüber hinaus müssen wir jetzt schnell und überzeugend an neuralgischen Punkten politische Stabilisierungsarbeit leisten und mehr Mittel mobilisieren für Schlüsselprojekte, die innerhalb der Region verbindend wirken. Vor allem müssen wir sicherstellen, dass eine weitere EU-Annäherung für die Länder des Westlichen Balkans möglich bleibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was also muss eine zukunftsgerichtete europäische Politik vor dem Hintergrund dieser Situationsbeschreibung im Eurasischen Raum leisten? Die Antwort ist klar:

Wir müssen dafür eintreten, dass Eurasien nicht nur Brennpunkt der Interessen ist und nicht nur in den Kategorien wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Konkurrenz begriffen wird. Vielmehr geht es darum, Eurasien als Raum der Kooperation zu gestalten, so wie es auch Leitmotiv der von uns letztes Jahr ausgerichteten OSZE-Konferenz zur Konnektivität war.

Dafür müssen wir daran arbeiten, das Denken in Scheinalternativen zu überwinden. Heute ist es doch so, dass die Länder Zentralasiens sich häufig vor die Wahl gestellt sehen, sich zwischen China und Russland zu entscheiden. Manche in Russland wiederum meinen, zwischen dem traditionellen Partner Europa und einem Pivot nach Asien wählen zu müssen. Und ein Land wie Serbien wird von interessierter Seite zunehmend auf die Probe gestellt - zwischen slawischer und orthodoxer Identität einerseits und seinem Weg in die EU andererseits.

Wir dürfen diese Scheinalternativen niemals zum Teil unserer Politik machen. Alle genannten Länder, aber auch wir selbst, verfügen über historische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Bindungen in mehrere Richtungen. Dieser Umstand verbietet es, dass Länder vor binäre Entscheidungen gestellt werden. Wichtig bleibt, dass alle Staaten auf unserem Kontinent die Freiheit der Wahl ihrer Integrationsmodelle oder Bündnisse haben, dies aber nicht für den Preis einer ungewollten Beeinträchtigung oder gar eines Abbruchs ihrer Beziehungen zu anderen.

Wir brauchen dazu einen strategischeren Blick nach vorne für die Dynamiken im Osten unseres Kontinents, die Potenziale und Verwundbarkeiten unserer Partner dort. Das gilt auch für die Wirtschaft. Auch die Unternehmen müssen strategisch denken und mit uns einen gemeinsamen Kompass entwickeln. Gemeinsam müssen wir stärker die Vorteile herausstellen, die eine Zusammenarbeit mit Deutschland und der EU bedeutet, indem wir für faire Vergaberegeln und Kreditbedingungen, für vernünftige internationale Standards und für rechtstaatliche Mindeststandards eintreten.

Dabei gibt es aus meiner Sicht fünf wesentliche Bausteine für die EU-Politik auf dem Eurasischen Kontinent:

Erstens muss unser Ziel die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Resilienz schwächerer Staaten auf dem Eurasischen Kontinent sein. Dabei geht es darum, dass kleinere Länder ausreichend Autonomie in ihrer Entscheidungsfreiheit für eine multi-vektorielle Außen- und Außenwirtschaftspolitik erlangen. Dies schließt die Möglichkeit einer europäischen Wahl ein, aber nicht als Ergebnis eines "Us or Them".

Zweitens müssen wir Strategien seitens der EU entwickeln, die für die Länder im Eurasischen Raum attraktivere Angebote enthalten und ihnen vor allem Optionen bieten. So wurde bei einer kürzlichen Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt die Idee entwickelt, die EU-China-Konnektivitätsplattform mit einem eigenen Fonds für die Projektfinanzierung zu versehen. Visaliberalisierung ist ein anderes Angebot, auch wenn dadurch gerade nicht neue Abschottung entstehen darf, wie derzeit im Fall der Ukraine gegenüber Russland.

Drittens geht es um weiteren Marktzugang der europäischen und deutschen Wirtschaft durch Freihandelsabkommen, das Schaffen von Investitionsperspektiven für unsere Unternehmen und die langfristige Förderung von Rechtssicherheit und guter Regierungsführung.

Viertens müssen wir wie bisher die regionale Kooperation in Eurasien stärken. In Zentralasien sehe ich hier derzeit eine positive Tendenz, nicht zuletzt wegen der vorsichtigen Öffnung Usbekistans unter seinem neuen Präsidenten. Für die Östliche Partnerschaft bedeutet dies, dass wir sie nicht, wie einige das wollen, als gegen Russland gerichtet konzipieren, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarn unserer Nachbarn in den Blick nehmen.

Fünftens schließlich müssen wir das Konzept der Konnektivität für die Überwindung der wirtschaftlichen und politischen Fragmentierung unseres Kontinents im kooperativen Sinne fruchtbar machen. Es geht nicht nur um technische Infrastruktur, sondern im politischen Sinne darum, die unterschiedlichen Ordnungsmodelle zu verbinden oder zu überwölben, durch grenzüberschreitende Projekte, die für die Staaten in Eurasien keine entweder-oder Entscheidungen bedeuten sondern zur Vernetzung und win-win Situationen für alle Beteiligten führen.

Vielleicht kennen einige von Ihnen den Fall eines deutschen Unternehmers, der gemeinsam mit einem russischen Unternehmen aus Mitteln des chinesischen Seidenstraßenfonds derzeit in Tadschikistan ein Solarkraftwerk errichtet. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Beispiele wirtschaftlicher Kooperation mit europäischer, russischer und chinesischer Beteiligung zum Wohle der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region, aber auch zur Förderung politischer Gemeinsamkeiten Schule machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Michael Harms hat mir deutlich gemacht, dass ich hier nicht ohne einige Worte zu unserem Verhältnis zu Russland enden kann.

Um es unumwunden zu sagen: Auch wenn es einige positive Zeichen gibt, sind unsere Beziehungen derzeit leider immer noch auf einem Tiefpunkt. Seit den hoffnungsvollen Jahren nach Ende des Kalten Krieges ist viel Vertrauen verloren gegangen, auf beiden Seiten. Dafür ist weder alleine Russland noch alleine die EU bzw. der Westen als Ganzes verantwortlich. Beide Seiten sprechen ungern über die eigenen Fehler. Fest steht aber, dass unser Verhältnis in einem Antagonismus gemündet ist. Ein Antagonismus, der von unterschiedlichen Narrativen geprägt ist, von gegenseitigen Vorwürfen angeblicher Farbrevolutionen und hybrider Konfliktführung,

Desinformationskampagnen, zunehmenden militärischen Drohgebärden und einem heißen von Russland verantworteten Konflikt in der Ukraine.

Wir sollten diese Qualität in unserem Verhältnis weder als natürlichen noch als Dauerzustand akzeptieren. Mittel- und langfristig muss unser Ziel die Rückkehr zu gut nachbarlicher Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland sein. Diese Forderung richtet sich natürlich an beide Seiten. And it takes two to tango.

Ich komme gerade aus Washington zurück. Viele Gesprächspartner bezeichneten das Thema Russland dort in vieler Hinsicht als "toxisch". Dies wird bis auf Weiteres eine klar definierte Russland-Politik der USA erschweren.

Für die Politik der EU gegenüber Russland hingegen gilt die Linie der von der EU-Außenbeauftragten Mogherini formulierten und vom Außenministerrat angenommenen fünf Prinzipien. Ein wichtiger Schlüssel für die Verbesserung des Verhältnisses zu Russland und den Abbau der Sanktionen bleibt dabei die Umsetzung des Minsker Protokolls.

Als weitere wichtige Grundlage für eine gleichzeitig prinzipienfeste und kooperative Politik gegenüber Russland ist dort auch die Stärkung von Resilienzen genannt, gegen Desinformationskampagnen und Cyberattacken, gegen mögliche Einflussnahme auf unseren politischen Prozess und gegen Spaltungsversuche gegenüber der Europäischen Union.

Gleichzeitig muss es um den Wiederaufbau von Vertrauen gehen, im Bereich der bilateralen Beziehungen, bei der Gestaltung der Europäischen Sicherheitsordnung, der Rüstungskontrolle und im Bereich unserer Wirtschaftsbeziehungen. Mit der vertragswidrigen Verbringung der Siemens-Turbinen auf die Krim durch ein russisches Staatsunternehmen hat Russland hier in den letzten Tagen negative Signale gesendet.

Trotz - oder wegen - aller Defizite besteht Gesprächsbedarf in den Beziehungen zwischen der EU und Russland, vor allem in Fragen, bei denen die EU eigene Interessen verfolgt. Dies betrifft Bereiche der internationalen Politik wie den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, die Zusammenarbeit zur Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens, bei der Entschärfung der Krise um Nordkorea oder bei Klima- und Migrationsfragen. Potentiale bieten sich ebenso bei der Zusammenarbeit im Arktischen Rat, im Ostseerat oder bei der Nördlichen Dimension. Und im bilateralen Verhältnis spricht nichts gegen die Intensivierung unserer Dialoge in den Bereichen von Kultur, Bildung und Wissenschaft, Gesundheit oder Umwelt.

Dabei ist eine Rückkehr zum Status quo ante, also vor dem Ukrainekonflikt, in den bilateralen Beziehungen schwer vorstellbar. Eine interessengeleitete und auf Interessenausgleich ausgerichtete Politik der EU gegenüber Russland hingegen ist gleichzeitig realistisch und heute notwendiger denn je.

Dies beinhaltet auch, dass die Europäische Union ein Verhältnis zu den von Russland initiierten Integrationsprojekten im Eurasischen Raum findet, insbesondere zur Eurasischen Wirtschaftsunion und ihren Mitgliedsstaaten. So hat die Bundesregierung regelmäßig technische Kontakte zwischen der Europäischen Kommission und der Kommission der EaWU befürwortet, vor allem im Interesse unserer Wirtschaft. Wir müssen ein genuines Interesse daran haben, dass sich die Normen und Standards in der EaWU an europäischen Normen orientieren und nicht an chinesischen. Auch wenn es Vorbehalte in manchen europäischen Hauptstädten gegen solche Gespräche gibt, wären solche Gespräche ein Beitrag für das immer noch bestehende Fernziel eines integrierten Handelsraums von Lissabon bis Wladiwostok, eine Vision, zu der sich auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor einiger Zeit erneut bekannt hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

unser Kurs gegenüber China, Russland und auf dem Eurasischen Kontinent bleibt jedenfalls klar:

Wir wollen keine abgeschotteten Räume, sondern Öffnung und Vernetzung, wir wollen keine Klientel- oder Vasallen-Verhältnisse, sondern Austausch unter Gleichwertigen. Wir wollen mit Blick auf Standards keinen Unterbietungswettbewerb, sondern die Einhaltung klarer und fairer Regeln. Dies gilt für die Ordnungspolitik, die Sicherheitspolitik und auch für die Wirtschaftspolitik!

Hier wissen wir den Ostausschuss auch in Zukunft an unserer Seite.

Ich danke Ihnen.