Redner(in): Günter Gloser
Datum: 27.09.2007
Untertitel: Einführungsrede von Staatsminister Gloser anlässlich der Tagung des Instituts für Europäische Politik zur Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/070927-GloserEuropa.html
Man sollte nicht zu viel Zeit darauf verwenden, den Erfolgen eines halben Jahres nachzuhängen. Wenn ich mir dennoch einen kurzen Rückblick gestatte, dann aus dem Grund, dass es natürlich nun unser Anliegen ist, die Impulse die in der Zeit des deutschen EU-Ratsvorsitzes ausgegangen sind zu verstetigen und die begonnenen Vorhaben erfolgreich weiterzuführen.
In diesem Sinne bleiben die Schwerpunkte unserer Präsidentschaft auch die Schwerpunkte unserer zukünftigen Europapolitik. Die Tatsache, dass wir erstmals im Rahmen einer Trio-Präsidentschaft mit Portugal und Slowenien eine langfristige EU-Agenda entwickeln konnten, bietet Gewähr, dass unsere Initiativen auch weiterhin auf der Tagesordnung bleiben.
Es sind viele Bilanzen gezogen worden. Mit dem Abstand von nun beinahe zwei Monaten ist vor allem eines wichtig: Gemeinsam haben wir es geschafft, Europa neuen Schwung zu verleihen. Das wird besonders deutlich, wenn wir uns noch einmal die Situation vor Augen führen, vor der wir vor einem Jahr standen. Europa galt als die "kranke Dame der Globalisierung".
Natürlich sind wir auch heute noch weit entfernt von einer Europa-Euphorie. Dennoch: wir spüren mehr Vertrauen in den Gedanken Europa, eine neue Zuversicht. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, die für den Aufbruch stehen, den wir gemeinsam zu Wege gebracht haben.
Erstens: Es ist uns gelungen, die Weichen zu stellen für erneuerte Arbeitsgrundlagen der EU, für eine Reform der Verträge, die uns zukunftsfähig macht.
Am Ende des deutschen Ratsvorsitzes hatten wir neben einem exakten Fahrplan, auch die genaue inhaltliche Festlegung, wie die erneuerten Arbeitsgrundlagen aussehen sollen. Es ist uns gelungen, im Mandat für die Regierungskonferenz die wesentliche Substanz des Verfassungsvertrags zu erhalten.
Zweitens haben wir gezeigt, dass die EU auch zu 27 noch handlungsfähig ist und dass sie in der Lage ist, geschlossen zu handeln.
Beispiel 1: Nahost.
Wir haben die EU als ernstzunehmenden Akteur in den Nahostfriedensprozess zurückgebracht. Wir haben demonstriert, was möglich ist, wenn wir verantwortungsvoll und geschlossen agieren. Es ist vor allem unserem europäischen Bemühen zu danken, dass das Nahost-Quartett wieder aktiv ist.
Beispiel 2: Kosovo.
Es hat viel Mühe gekostet, die Einigkeit der EU zum Thema Kosovo zu halten. Dass dies bisher gelungen ist, halte ich für einen großen Erfolg.
Neben diesen wichtigen aussenpolitischen Themen möchte ich aber auch einige Beschlüsse nennen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger ganz unmittelbar berühren, so zum Beispiel die Einigung zur Senkung der Roaming-Gebühren oder Verbesserungen auf dem Gebiet der Verbraucherrechte.
Drittens: Wir haben gezeigt, dass die Europäische Union bei wichtigen Themen eine Vorreiterrolle in der Welt übernehmen kann.
Ich meine hier vor allem die wegweisenden Klima- und Energiebeschlüsse beim Frühjahrsgipfel. Sie werden sich, ebenso wie ich, an die Skepsis im Vorfeld erinnern: Es werde sowieso nicht gelingen, sich auf feste Ziele zu verständigen, das war der Tenor. Am Ende standen nicht nur feste, sondern auch verbindliche Reduktionsziele.
Eines steht fest: ohne das beispielhafte Vorangehen der EU wäre es nicht möglich gewesen, sich beim G8 -Gipfel darauf zu verständigen, dass eine Folgevereinbarung zum Kyoto-Protokoll unter dem Dach der Vereinten Nationen anzustreben ist.
Im Rahmen des deutsch-französischen Ministerrats im Herbst 2006 haben sich Frankreich und Deutschland zur Energie- und Klimapolitik abgestimmt. Sie haben damit einen wichtigen Beitrag zur Energie- und Klimadiskussion im Rahmen der Europäischen Union geleistet. Weiter haben Deutschland und Frankreich gemeinsam das Thema "Integration" ganz oben auf ihre Agenda gesetzt und Impulse für die Integrationsdiskussion in der EU gegeben.
Der Regierungswechsel in Frankreich bedeutet einen gewissen Paradigmenwechsel in der französischen Europapolitik. Nach dem "Europa der Projekte" ist Frankreich wieder im Zentrum der europapolitischen Gestaltung in allen Politikbereichen. Signal hierfür war sicherlich die Einigung über den Reformvertrag im Juni.
Deutschland und Frankreich stimmen sich eng ab. Dies gilt im EU-Rahmen ebenso, wie in der Außenpolitik und in anderen Politikfeldern. Lassen Sie mich als eines der jüngsten Beispiele die deutsch-französischen Initiativen des letzten Blaesheim-Treffens herausgreifen. Die in Meseberg verabschiedete deutsch-französische Erklärung zur außenwirtschaftlichen Flankierung der Lissabon-Strategie zielt unter anderem darauf ab, größere Transparenz bei Hedge-Fonds und bei Rating-Agenturen herzustellen.
Enge Abstimmung heißt aber nicht immer und nicht notwendigerweise, dass Deutschland und Frankreich in allem vollkommen übereinstimmen. Wir setzen unterschiedliche Akzente: zur Türkei, zum Mehrwert einer Mittelmeerunion, zur europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik. Diese unterschiedlichen Akzente erfordern vertiefte Diskussion auf allen notwendigen Ebenen.
Darüber hinaus wird die bilaterale europapolitische Agenda in den kommenden Monaten mehr und mehr von den Vorbereitungen auf die französische EU-Präsidentschaft im Zweiten Halbjahr 2008 bestimmt werden. Das liegt in der Natur der Sache.
Was nun die weitere europapolitische Agenda betrifft, so steht an vorderster Stelle natürlich der Abschluss der Regierungskonferenz noch in diesem Jahr und die Ratifizierung des neuen Reformvertrages rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009. Die außenpolitische Agenda wird sehr stark von der Entwicklung im Kosovo geprägt sein. Die Umsetzung der Beschlüsse zu einer integrierten Klimaschutz und Energiepolitik vom März 2007 sind zentral für die Glaubwürdigkeit der EU in den internationalen Verhandlungen. Hinzu kommt die Revision der Finanziellen Vorausschau.
Zum Reformvertrag scheinen die wichtigsten politischen Probleme auf dem Europäischen Rat im Juni 2007 in der Tat gelöst worden zu sein. Alle Mitgliedstaaten sind sich mit ganz wenigen Ausnahmen darin einig, die Regierungskonferenz auf die rein technische Umsetzung des Mandats zu beschränken.
Die Regierungskonferenz ist auf Expertenebene bereits fast beendet. Wir können sagen, wir sind fast, aber noch nicht ganz, am Ziel.
Die Einhaltung des ehrgeizigen Zeitplans erscheint heute realistisch: Politische Einigung beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am 18. / 19. Oktober. Unterzeichnung im Dezember 2007. Damit Beginn der Ratifizierungsphase im Januar mit dem Ziel, diese noch 2008 abzuschließen.
Neben dem Reformvertrag ist die Kosovo Statusfrage das wohl wichtigste Thema der portugiesischen Ratspräsidentschaft. Es ist im unmittelbaren deutschen und europäischen Interesse, möglichst bald zu einer dauerhaften Lösung zu gelangen.
Anfang August begann unter Ägide der Kosovo-Troika, das heißt EU-US-Russland, eine neue Phase der Statusverhandlungen. Als Vertreter der EU ist Botschafter Ischinger tätig. Die Troika wird im Sinne Guter Dienste die Kontakte zwischen Belgrad und Pristina herstellen, begleiten und wo nötig, Hilfestellung geben. Eine direkte Vermittler-Rolle entsprechend derjenigen Ahtisaaris hat sie nicht, Lösungsvorschläge müssen von den Parteien kommen. Wir sind bereit, jede Lösung zu akzeptieren, auf die sich Belgrad und Pristina einvernehmlich einigen können.
Wenn die Verhandlungen scheitern und nach erneuter Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen auch weiterhin keine Lösung in Sicht ist, werden wir gemeinsam mit unseren Partnern in EU und NATO schwierige Entscheidungen zu treffen haben im Interesse der Stabilität.
In der Erweiterungsdiskussion war es ganz wichtig, die Türkei-Beitrittsverhandlungen aus dem schwierigen Fahrwasser des letzten Jahres herauszuführen. Die Beschlusslage vom Dezember 2006 hat hierzu die Vorgaben gemacht, und wir haben als Vorsitz die Verhandlungen mit der Türkei und auch Kroatien erfolgreich fortsetzen können.
Im Ergebnis wurden sieben Verhandlungskapitel bei Kroatien und drei bei der Türkei geöffnet, wobei die Eröffnung eines vierten Kapitels, das der Wirtschafts- und Währungsunion, an französischen Einwänden scheiterte.
Diese geschäftsmäßige Linie wollen wir auch unter portugiesischer Präsidentschaft weiterverfolgen. Dies gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen innenpolitischen Entwicklung in der Türkei, die viel Grund für Optimismus gibt.
Neben diesen außenpolitischen Themen richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Zukunft der Europäischen Union. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die wichtigen Anstöße auf dem Gebiet der Klimaschutz- und Energiepolitik.
Im Energieaktionsplan hat sich die EU auf ein ambitioniertes EU-Gesamtziel von 20 % für den Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix geeinigt. Nun müssen ebenso ambitionierte nationale Ziele im Rahmen der EU-Lastenteilung festgelegt werden. Das ist wichtig für die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz erneuerbarer Energien, auch zur Förderung des Technologievorsprungs Europas.
Daher müssen wir die EU-Kommission bei der schwierigen Aufgabe unterstützen, einvernehmlich Ziele festzulegen. Die Verhandlungen über die nun anstehenden Vorschläge zur Lastenteilung in der EU, bei der Erreichung der Energie- Effizienz- Ziele sowie bei der Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien, werden sicherlich schwierig. Die EU muss sich hier aber bewähren, wenn sie auch international glaubwürdig ihre Vorreiterrolle weiter spielen möchte.
Energieaußenpolitik wird in der EU immer wichtiger. Während unserer Präsidentschaft haben wir Akzente gesetzt mit der Technologie-Initiative mit den USA, mit der Zentralasienstrategie, mit der Einleitung einer EU-Afrika-Energiepartnerschaft und mit dem Aufbau eines Netzwerks von Energie-Sicherheits- Korrespondenten. Unter der jetzigen Präsidentschaft stehen die Energiebeziehungen zu Brasilien und zu Afrika im Vordergrund. Ungeachtet aller Schwierigkeiten dürfen wir aber die Beziehungen zu unserem wichtigen Partner Russland nicht vernachlässigen.
Besonderes Momentum wird im kommenden Jahr das Thema der Halbzeit-Evaluierung der Finanziellen Vorausschau erhalten.
Wir nehmen die Chance, die der Revisionsprozess bietet, sehr ernst. Wir müssen offen in die Debatte eintreten und uns auf die Frage einlassen, wie das künftige Budget der Union strukturiert sein soll und wo wir unsere Prioritäten setzen.
Für uns prioritär: Beitrags-Gerechtigkeit und ein zukunftsorientiertes Ausgabenprofil bei Wahrung der Haushaltsdisziplin.
Es gibt natürlich viele Themen, die ich jetzt nicht behandelt oder nur angerissen habe: so unser gemeinsames Engagement in Afghanistan, die Beziehungen der EU zu Russland, der Ausbau der europäischen Nachbarschaftspolitik, die Beziehungen zu Zentralasien um nur einige zu nennen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie das eine oder andere besonders interessiert, und biete an, dass wir es im Gespräch vertiefen.