Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 10.10.2007
Untertitel: Bundesaußenminister Steinmeier anlässlich des Workshops zur Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufes, 8. Oktober 2007
Anrede: Liebe Frau Ministerin Plassnik,liebe Frau Zapf,meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/071010-BM-Brennstoffkreislauf.html
Lassen Sie mich mein herzliches Willkommen mit dem Dank verbinden, nicht einfach fürs Kommen, sondern für den Mut und die Bereitschaft, mit uns zu einem brisanten, aber politisch unübersichtlichen Thema zu diskutieren. Die Brisanz muss nicht erläutert werden. Dazu reichen die allzu bekannten Stichworte Iran, Indien und viele mehr. Aber: Warum "politisch unübersichtlich" ?
Weil Interessen und Positionen häufig genug quer zu klassischen Bündnisstrukturen ( stehen ) . Weil das Thema Nuklearwaffen immer noch geeignet ist, aus Freunden Gegner in der Sache zu machen. Und es manchmal Positionen zusammenführt, die ganz unterschiedlichen politischen Lagern entstammen. Dafür gibt es Beispiele außen- wie innenpolitisch!
Außenpolitisch haben wir die gemeinsame Gegnerschaft Russlands und der USA zur atomaren Bewaffnung im mittleren Osten. Geeint sind beide auch in ihrer Zögerung, ernsthaft an den Abbau eigener Potentiale zu gehen. Innenpolitisch gibt es ähnlich überraschende politische Konstellationen: Als Barack Obama kürzlich erklärte, er wolle sich mit seiner Politik für eine atomwaffenfrei Welt einsetzen und neue Denkansätze in der US-Nuklearpolitik einforderte, die sich aus der Mentalität des kalten Krieges befreit, da kam die öffentliche Unterstützung weniger aus den eigenen Reihen, sondern ausgerechnet von zwei republikanischen Schlachtrössern und Säulenheiligen, den ehemaligen Außenministern Henry Kissinger und George Shultz, die Obama ausdrücklich unterstützten.
Kissinger, Shultz, Sam Nunn und andere waren es auch, die im Januar dieses Jahres mit einem gemeinsamen dramatischen Alarmruf auf die wachsende Gefahr der Weiterverbreitung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen hingewiesen haben. Zu Zeiten des Kalten Krieges hätten sich im Wesentlichen nur zwei Atommächte gegenüber gestanden, ein vergleichsweise überschaubarer Konflikt, so ihr Argument. Aber was, wenn Nuklearwaffen im 21. Jahrhundert in viele Hände - und irgendwann sogar von unkontrollierbaren Potentaten - geraten? Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis irgendwer auf den roten Knopf drückt und die Katastrophe auslöse. So Kissinger, Shultz und Nunn.
Wir wissen: Die atomare Gefahr ist nicht nur weiter vorhanden, sie wächst! Noch immer befinden sich mehr als 30.000 atomare Sprengköpfe irgendwo auf dieser Welt in streng abgeschirmten Raketensilos und Depots. Immer mehr Staaten sind technologisch in der Lage und bereit, Atomwaffen zu bauen Beispiele sind Iran und war Nordkorea. Jeder Fall löst die Gefahr eines regionalen Rüstungswettlaufs aus. Auch internationale Terrororganisationen versuchen, sich Massenvernichtungswaffen und nukleares Material zu beschaffen.
Darum arbeiten wir daran, Abrüstung und Rüstungskontrolle auf der politischen Tagesordnung wieder weit nach vorne zu rücken. Darum arbeiten wir auch daran, dass die Überprüfungskonferenz für den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, die 2010 stattfindet, ein Erfolg wird. Dieser Vertrag ist der Eckstein der nuklearen Nichtverbreitung und der atomaren Abrüstung. Er darf in seinem Kern nicht gefährdet werden.
Ein Vorschlag zur Debatte ist das Thema unserer heutigen Konferenz. Wir stellen fest, dass immer mehr Staaten über eigene Anreicherungsaktivitäten nachdenken. Wenn wir verhindern wollen, dass solche sensitiven Anreicherungstechnologien auch zum Bau von Atomwaffen missbraucht werden können, dann kommen wir nicht umhin, über eine Multilateralisierung nachzudenken.
Ich danke Ihnen sehr, dass Sie dies gemeinsam mit uns hier in Berlin tun wollen, und ich freue mich ganz besonders, dass Du, liebe Ursula, heute nach Berlin gekommen bist. Wir sind beide du in Österreich, ich in Deutschland Vertreter von Ländern, die die Zukunft der Energieversorgung nicht in der Atomkraft sehen. Und gerade deshalb meinen wir beide, dass wir die Frage des Brennstoffkreislaufes nicht allein den Vertretern der Kernenergie überlassen dürfen. Eine Vogel-Strauß-Politik wäre falsch.
An alle diejenigen gerichtet, die für ihre Länder einen Aufbau oder Ausbau der Nuklearindustrie vorsehen, möchte ich hinzufügen: Wir erkennen das Interesse an einer sicheren Energieversorgung an auch wenn wir dabei einen anderen Weg vorziehen. Es gibt respektable Gründe für die Nutzung der Atomkraft: mehr Unabhängigkeit von Lieferantenketten angesichts knapper werdender Energieressourcen, aber auch die Notwendigkeit des Klimaschutzes.
Wir wissen aber alle: Auch hier sind die Rohstoffe endlich. Und die Frage der Beseitigung und Lagerung der Abfallprodukte ist weit weniger geklärt als das CO2 -Problem. Und: Die Technologie zur Herstellung des nuklearen Brennstoffs öffnet auch den Weg zur Bombe.
Und deswegen sollten wir uns gemeinsam auf DAS strategische Ziel besinnen, das allen weiteren Zielen - technologischer Fortschritt, Energiesicherheit, Klimaschutz und Unabhängigkeit - erst seinen übergeordneten Sinn gibt: Ich meine das friedliche Zusammenleben in unserer Welt. Für mich folgt aus diesem Ziel, dass wir eine weitere Verbreitung von Kernwaffen verhindern müssen.
Wir können froh sein, denke ich, dass wir dabei zugleich auf zwei Strukturen zurückgreifen können, deren Wert wir manchmal noch unterschätzen:
Erstens die IAEO. Sie blickt auf 50 erfolgreiche Jahre zurück. Sie hat sich im Bereich der Safeguards und der Nichtverbreitung außerordentlich verdient gemacht. Zweitens der Nichtverbreitungsvertrag. Er ist nahezu universal und konnte bisher die Verbreitung von Kernwaffen wirksam eindämmen.
Was können wir also in und mit diesen Strukturen tun, um eine gerechte, wirtschaftliche und vor allem politisch sichere Versorgung mit nuklearem Brennstoff zu organisieren? Und was können wir tun, um damit gleichzeitig die Nichtverbreitung zu stärken? Ich sage mit Frau Plassnik und vielen anderen: Dies geht nur in einem kooperativen und multilateralen Ansatz.
Bestrebungen zu einer Teilung der Welt in Staaten mit und ohne Brennstoffkreislauf sind zum Scheitern verurteilt. Mit technischen Lösungen können wir die Geister der Verbreitung von Atomwaffen nicht wieder in die Flasche verbannen. Wir benötigen vielmehr politisch-institutionelle Lösungsansätze. Die Diskussion hierzu ist in vollem Gange. Zahlreiche Vorschläge liegen auf dem Tisch.
Die EU hat einen Kriterienkatalog zur Beurteilung der verschiedenen Vorschläge entwickelt. Neue Konzepte sollen demnach: erstens keine neuen Verbreitungsrisiken schaffen, zweitens Versorgungssicherheit gewährleisten, drittens keine Rechte beschränken und viertens marktkonform sein. Das bedeutet im Klartext auch: Bei den Lösungsvorschlägen sollte Kernenergie nicht subventioniert werden. Und es wird anerkannt, dass man auf den Aufbau von Brennstoffkreisläufen nur freiwillig verzichtet, wenn es dafür im Gegenzug eine sichere Versorgung gibt.
Die von Deutschland vorgeschlagene Antwort auf diese Herausforderung ist: Die IAEO erhält ein Sondergebiet, in dem eine zusätzliche, kommerziell betriebene Urananreicherungsanlage frei von nationalstaatlichem Zugriff errichtet werden kann. Der Vorschlag erfüllt die EU-Kriterien. Er wurde allgemein als ausgewogen beurteilt, und das war unser Ziel. Skeptisch ist eingewandt worden, dass er wegen seiner komplexen Erfordernisse nur schwer umsetzbar sei. Hier sind noch juristische Anregungen und Ratschläge gefragt. Aber was für das deutsche Konzept gilt, betrifft alle Vorschläge, die wir bisher kennen. Auch die vorgeschlagenen Reservelager und Garantieerklärungen werfen komplexe rechtliche Fragen bei der Umsetzung auf.
Ich wünsche mir, dass wir uns davon jedoch nicht abschrecken lassen, sondern an die Arbeit gehen und Antworten suchen. Das ist der Sinn und der Zweck dieses Workshops.
Ich wünsche mir vom heutigen Tag zwei Dinge. Erstens: dass die Kritiker und Befürworter der Kernenergie beim Ziel der nuklearen Nichtverbreitung an einem Strang ziehen. Und zweitens: dass wir heute wichtige Fortschritte machen, damit unsere Pläne auch umgesetzt werden können und dadurch helfen, die Nichtverbreitung langfristig zu sichern.
Herzlichen Dank.