Redner(in): Gernot Erler
Datum: 07.03.2008
Untertitel: Eröffnungsrede von Staatsminister Gernot Erler anlässlich der Fachtagung "Die UN-Kommission für Friedenskonsolidierung Erste Bilanz und künftige Rolle Deutschlands und der EU" am 7. März 2008 im Europasaal des Auswärtigen Amts
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2008/080307-vn-peacebuilding-erler.html
Anrede )
Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Fachtagung, die der Kommission der Vereinten Nationen für Friedenskonsolidierung, der UN Peacebuilding Commission, gewidmet ist. Zwei Jahre nach Gründung der Kommission wollen wir heute gemeinsam eine Bilanz ihrer Arbeit ziehen und dabei ganz besonders auch einen Blick auf die Rolle Deutschlands und der EU werfen. Ich freue mich, dass die Einladung zu dieser Veranstaltung auf ein großes Interesse gestoßen ist und heiße Sie im Europasaal des Auswärtigen Amts willkommen.
Ganz besonders herzlich möchte ich Frau Carolyn McAskie begrüßen, die Leiterin des Unterstützungsbüros der Kommission. Vielen Dank, Frau McAskie, dass Sie unserer Einladung gefolgt und heute aus New York zu uns gekommen sind. Ihre Erfahrungen aus der praktischen Arbeit vor Ort und Ihre Sicht auf die Peacebuilding Commission im Gefüge der Vereinten Nationen werden unsere Debatte bereichern. Vor allem sind wir natürlich neugierig zu erfahren, wie Sie die Rolle Deutschlands als Mitglied der Kommission sehen und welche Rolle Deutschland - nicht zuletzt auch im Kontext der EU - aus Ihrer Sicht künftig spielen kann und spielen sollte.
Mit der heutigen Konferenz setzten wir eine Praxis fort, die, wie ich finde, in den letzten Jahren zu einer guten Tradition geworden ist: Nämlich die eines engen und offenen Dialogs zwischen der Bundesregierung und der Zivilgesellschaft zu Fragen der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung, für die sich der Ressortkreis Zivile Krisenprävention immer mehr zu einem Scharnier entwickelt hat. Mein besonderer Dank gilt dem Ressortkreis Zivile Krisenprävention und ihrem Partner bei dieser Veranstaltung, der Stiftung Entwicklung und Frieden, deren Vorstandsvorsitzende Frau Professor Sabine von Schorlemer ich ebenfalls sehr herzlich begrüße. Ihnen und Ihren Mitarbeitern Dank für die Planung, Organisation und Mitwirkung an dieser Veranstaltung,
Meine Damen und Herren,
eine viel zitierte Aussage lautet, dass es fast genauso schwierig ist, Frieden zu gewinnen wie einen Krieg. 18 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges steht die Internationale Gemeinschaft immer noch vor großen Herausforderungen für Frieden und Sicherheit weltweit, nicht nur durch Konflikte zwischen Staaten, sondern auch durch eine zunehmende Anzahl innerstaatlicher Konflikte. Deren Ursachen liegen häufig in interethnischen Problemen, Verteilungskämpfen, schlechter Regierungsführung oder dem Ausschluss von Teilen der Bevölkerung von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen im Land. Das monatlich erscheinende Bulletin "Crisis Watch" der International Crisis Group, verzeichnete im Februar 2004 rd. 70 Krisenregionen weltweit -vier Jahre später ist die Zahl fast unverändert.
Im Zeitalter der Globalisierung und zunehmenden internationalen Verflechtungen bleiben diese Konflikte nicht auf ein Land oder eine Region beschränkt. Flüchtlingsströme, illegale Migration, aber auch Terrorismus und organisierte Kriminalität, für die fragile Staatlichkeit breite Aktionsräume bietet, wirken sich auch auf die internationale Gemeinschaft als Ganzes und damit auch auf uns aus.
Mehr denn je daher ist die internationale Gemeinschaft heute gefordert, dort, wo Konflikte ausbrechen, durch friedensschaffende Maßnahme zu ihrer schnellstmöglichen Beendigung beizutragen, und das betroffene Land darin zu unterstützen, wieder zu dauerhaftem Frieden und zu Stabilität zurückzufinden. Die Vereinten Nationen als einziger globaler Akteur nehmen dabei eine herausragende Rolle ein. Die Zahlen sprechen für sich: Derzeit sind die VN mit 17 friedensschaffenden und friedenserhaltenden Mission weltweit mit über 110.000 Soldaten, Polizisten und zivilen Experten engagiert mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Organisation.
Die Antwort der Vereinten Nationen auf Krieg kann aber nicht reduziert werden auf eine Vermittlung von Friedensabkommen oder auf Sicherung des Friedens mit militärischen Mitteln. In der Rückschau auf die Friedensmissionen der letzten anderthalb Jahrzehnte wird vielmehr deutlich: Entweder gelingt es, nach einem Konflikt die Grundlagen für nachhaltige Befriedung und Entwicklung zu legen - oder ein Wiederaufleben des Konflikts ist vorprogrammiert. Statistisch brechen in fast der Hälfte aller Staaten Konflikte binnen fünf Jahren nach ihrer Beendigung erneut aus. Dies zeigt: Nachhaltiger und dauerhafter Frieden kann nur dann hergestellt werden, wenn die Ursachen des Konflikts umfassend und nachhaltig bekämpft, der Konflikt an seinen Wurzeln behandelt wird.
Man kann sagen: Peacekeeping bekämpft die Symptome, Peacebuilding die Ursachen. Daher müssen Aktivitäten des Peacebuilding bereits frühzeitig- wo immer möglich schon während der akuten Krisenbewältigung - Hand in Hand mit den Aktivitäten des Peacekeeping einhergehen.
Kofi Annan hat es kürzlich zutreffend formuliert: Beim Peacebuilding geht es nicht nur "um Ziegelsteine und Mörtel". Weit über den physischen Wiederaufbau hinaus geht es darum, eine solide Grundlage zu schaffen für nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Eine Blaupause hierfür gibt es nicht und kann es nicht geben; Friedenskonsolidierung muss vielmehr in jedem Einzelfall die Charakteristika des Konflikts, seiner Akteure und Hintergründe berücksichtigen. Sie muss einen umfassenden, gleichzeitig einen gezielten Ansatz verfolgen. Dies kann wiederum nur gelingen, wenn alle Akteure nationale und internationale - in einen umfassenden Prozess einbezogen werden, ihre Kräfte bündeln und ihre Maßnahmen zu einem kohärenten Ganzen zusammenführen. Nur dann kann Friedenskonsolidierung letztlich erfolgreich sein.
Meine Damen und Herren,
die Schaffung der VN-Kommission für Friedenskonsolidierung ist vor diesem Hintergrund ein großer Erfolg. Die Staats- und Regierungschefs beim Weltgipfel 2005 erkannten, dass den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft bei der Friedenskonsolidierung ein strategischer Gesamtansatz und Kohärenz fehlten. Ende 2005 wurde daher die Kommission als neues und einzigartiges Forum geschaffen, in dem Vertreter des VN-Systems, der Truppensteller, die größten bilateralen Geber, der relevanten regionalen Akteure und Organisationen, der internationalen Finanzinstitutionen und der Behörden des betroffenen Landes Informationen über ihre jeweiligen Post-Konflikt- Aktivitäten austauschen und diese auf Grundlage einer Gesamtstrategie aufeinander abstimmen können. Damit ist es nunmehr möglich strategische Prioritäten für den Prozess der Friedenskonsolidierung zu identifizieren und hierüber Konsens unter den beteiligten Akteuren herzustellen sicher zu stellen, dass die internationale Gemeinschaft die nationalen Behörden effizient unterstützt und ihre Maßnahmen den Bedürfnissen des Konfliktlandes Rechnung tragen und: nötige Ressourcen für diesen Prozess zu mobilisieren.
Man kann also sagen: Die Kommission macht nichts qualitativ Neues, sie macht etwas qualitativ Besseres: Sie führt in der wichtigen Phase nach einem Konflikt die Akteure zusammen. Damit ist sie selbst mehr als nur noch ein Akteur in einem ohnehin schon dichten Netz. Mit ihr ist ein längst erforderliches Instrument zur besseren transnationalen Kommunikation und Konsultation von Staaten, internationalen Organisationen und nichtstaatlichen Akteuren geschaffen worden, über das die Vereinten Nationen nun noch effizienter und koordinierter auf Krisen in der Welt einwirken können. Effizient heißt dabei auch; ausgerichtet an den Bedürfnissen und Perspektiven des betroffenen Landes. Nationale "ownership", verbunden mit einer Partnerschaft der internationalen Akteure, sind aus meiner Sicht zwei ganz grundlegende Voraussetzungen für ein erfolgreiches Agieren.
Meine Damen und Herren,
zusammen mit ihren Partnern in der EU hat die Bundesregierung von Beginn an die Schaffung der Kommission unterstützt. Als Mitglied des Organsiationskomitees wirkt sie aktiv daran mit, ihre Politik zu gestalten und ihre Arbeit weiterzuentwickeln.
Auch zwei Jahre nach ihrer Gründung ist die Kommission noch eine junge Institution, die in vielen Bereichen erste Erfahrungen sammelt und noch im Begriff ist, ihre Rolle zu finden. Dennoch denke ich, dass wir heute mit einer durchaus positiven Bilanz auf die ersten zwei Jahre zurückblicken können.
Der länderbezogene Ansatz als Kernstück der Kommission hat sich als richtig erwiesen. Es wird jetzt darauf ankommen, seine Wirkungen vor Ort, in den Post-Konflikt-Ländern, zu optimieren. In Sierra Leone und Burundi müssen jetzt die vereinbarten Strategien konsequent und kontinuierlich umgesetzt werden, damit die Wirkungen für die Menschen vor Ort spürbar wird. Dazu wird es erforderlich sein, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf diesen Ländern zu halten und sicherzustellen, dass die erforderlichen Mittel für die Umsetzung der Strategien zur Verfügung stehen, damit der Prozess der Friedenskonsolidierung konsequent fortgeführt werden kann.
Wichtig und notwendig ist es aus meiner Sicht auch, Mechanismen zu entwickeln, um die Umsetzung der Strategien vor Ort zu überwachen und periodisch zu überprüfen, ob die gesetzten Ziele erreicht sind. Nur so können Fehlentwicklungen und Verzögerungen frühzeitig festgestellt und ihnen entgegengesteuert werden. Auch wenn die Hauptverantwortung für die Umsetzung bei den betroffenen Ländern selber liegt, bleibt die Begleitung und Unterstützung der Vereinen Nationen auch in dieser Phase unverzichtbar.
Und letztlich werden wir auch darüber nachdenken müssen, wann das Engagement der Peacebuilding Commission beendet werden soll und wie dann eine lückenlose Fortsetzung der Unterstützung der betroffenen Länder mit regulären Mechanismen der entwicklungspolitischen Unterstützung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewährleistet werden kann. Auf diese Fragen werden noch Antworten gefunden werden müssen.
Dazu wird es auch wichtig sein, die bisherigen Erfahrungen systematisch auszuwerten und die Ergebnisse in die künftige Arbeit einfließen zu lassen. Die in den Friedensprozessen, in der Erstellung der Länderstrategien und bei ihrer Implementierung vor Ort gemachten Erfahrungen müssen genutzt und als "best practices" und "lessons learned" künftigen Post-Konflikt-Situationen zu Gute kommen. Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu "lessons learned" ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, und ich begrüße es sehr, dass diese Arbeitsgruppe ihre Beratungen inzwischen aufgenommen hat und damit erstmals auch länderübergreifende Themen wie Sicherheitssektorreform, Versöhnung und Gerechtigkeit nach Konflikten und andere Querschnittthemen Gegenstand der Beratungen der Kommission sind.
Meine Damen und Herren,
zusammen mit dem Peacebuilding Support Office und dem Peacebuilding Fund ist die Kommission teil einer neuen und umfassenden Architektur der Friedenskonsolidierung in den Vereinten Nationen. Alle drei Bestandteile sind eigenständige Elemente mit klaren Mandaten, die im Zusammenspiel eine früh einsetzende und letztlich umfassende und wirksame Friedenskonsolidierung ermöglichen sollen.
Wirksame Friedenskonsolidierung ist ohne die Bereitstellung ausreichender Mittel nicht möglich. Eine Aufgabe der Peacebuilding Kommission besteht daher auch darin, Ressourcen zu mobilisieren. Um bereits in einer sehr frühen Post-Konfliktphase erste Anstoßfinanzierungen für Schlüsselvorhaben des Wiederaufbaus leisten zu können und Übergangsregierungen zu unterstützen, wurde als Teil der neuen Architektur der Fonds für Friedenskonsolidierung geschaffen. In vielen Ländern darunter Nepal, Liberia, der Elfenbeinküste und der Zentralafrikanischen Republik, um nur einige zu nennen, - hat der Fonds bereits wichtige Initiativen der Friedenskonsolidierung ermöglicht und eine Katalysatorenfunktion hin zu einer mittel- und langfristigen Finanzierung durch nationale und multilaterale Geber übernommen. Mit der Bereitstellung von jeweils rd. 35 Mio. USD für 21 Projekte in Burundi und Sierra Leone hat der Fonds aber auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung der Länderstrategien für diese beiden Länder geleistet. Ein gezielter Einsatz dieser Mittel für die von der Kommission identifizierten prioritären Bereiche wird wesentlich dazu beitragen, eine nachhaltige Konsolidierung des Friedens in Gang zu setzten und so hoffe ich Katalysator sein für weitere Leistungen der Geber.
Über die Europäische Union hat Deutschland von Beginn an zum Fonds für Friedenskonsolidierung beigetragen. Die Europäische Union ist heute größter Beitragszahler zum Fonds.
Es ist mir aber eine besondere Freude, heute ankündigen zu können, dass Deutschland nunmehr auch bilateral den Fonds unterstützen und für dieses Jahr einen Betrag von 10 Millionen Dollar hierfür bereitstellen wird. Für Deutschland als Mitglied der Peacebuilding Commission ist diese Einzahlung ein ganz besonderes Anliegen. Wir sehen uns in einer besonderen Verantwortung, zum Gelingen der Arbeit der Kommission beizutragen und sie zu unterstützen.
Die entsprechende Vereinbarung wird derzeit in New York auf den Weg gebracht, und sehr geehrte Frau McAskie bereits in wenigen Tagen wird unser Beitrag dort eingehen.
Meine Damen und Herren,
auch wenn es zwei Jahre nach Gründung der Kommission noch viel Bedarf für Nachbesserungen und Verbesserungen gibt: Ich bin überzeugt, dass sich die neue Architektur für Friedenskonsolidierung in den Vereinten Nationen zu einer Struktur mit echter Autorität und Handlungskompetenz entwickeln kann. Ein Instrument, das den Herausforderungen und Risiken der globalisierten Welt gewachsen ist. Zusammen mit dem Peacebuilding Support Office und dem Fonds für Friedenskonsolidierung ist die VN-Kommission die internationale Antwort auf die Frage, wie wir langfristig den weltenweiten Bedarf an einer umfassenden, flexiblen und nachhaltigen Friedenskonsolidierung decken können.
Dies wird ihr aber nur gelingen, wenn sie ihren Platz im Gefüge der Vereinten Nationen findet und es ihr gelingt, ihre beratende Funktion noch besser als bisher wahrzunehmen, ihre Spielräume hierzu aktiver zu nutzen. Umgekehrt sollten die Gremien und Institutionen der Vereinten Nationen ihrerseits die Kapazitäten der Kommission besser nutzen, aktiv einfordern und ihre Empfehlungen in ihre Arbeit und ihre operativen Prozesse einbeziehen. In dieser Wechselwirkung, wie sie in der Gründungsresolution vorgesehen ist, wird die Kommission für Friedenskonsolidierung ihre Stellung in den Vereinten Nationen finden können.
Letztlich wird die Peacebuilding Commission daran gemessen werden, dass es gelingt, vor Ort spürbare Ergebnisse für die Menschen zu erzielen. Daher muss auch künftig der länderbezogene Ansatz Kernstück der Arbeit der Peacebuilding Commission bleiben. Dazu muss sie aber auch ihre Rolle, ihre Aufgaben und Ziele noch klarer definieren, nicht zuletzt auch in Abgrenzung zu den anderen Instrumentarien der Vereinten Nationen und insbesondere zu den Instrumenten der klassischen Entwicklungszusammenarbeit. Und: Sie muss diese Rolle noch besser nach außen vermitteln und deutlich machen, wo ihr Mehrwert liegt - sowohl gegenüber den Akteuren, den Zielländern als vor allem auch gegenüber der breiten Öffentlichkeit.
Wie dies gelingen kann und welche Rolle Deutschland und die Europäische Union hierbei spielen können, mit diesen Fragen möchte sich unsere heutige Veranstaltung befassen. Ich wünsche mit hierzu einen wirklichen Dialog, viele verschiedene Sichtweisen und Meinungen. Wir haben heute Vertreter verschiedenster Institutionen eingeladen der Ressorts, von Think Tanks und wissenschaftlichen Einrichtungen, aus Politik und Forschung, von Nichtregierungsorganisationen und privaten Institutionen- Ich erhoffe mir daher ein breites Spektrum von Vorschlägen, Anregungen, Fragen und Antworten.
Ich darf Sie daher einladen, sich aktiv in die Diskussionen einzubringen, mit ihren Anmerkungen, vielleicht ihrer Kritik oder ihren Vorschlägen dazu beizutragen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine anregende und interessante Veranstaltung.