Redner(in): Günter Gloser
Datum: 05.05.2008

Untertitel: Ansprache von Staatsminister Günter Gloser anlässlich des zweiten Deutsch-Türkischen Fachgespräches zur Deutschen Islamkonferenz Berlin
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2008/080505-gloser-deutsch-tuerkisch.html


es ist mir eine große Freude, Sie in der Villa Borsig, zum zweiten Deutsch-Türkischen Fachgespräch zum Thema "Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland und in der Türkei" begrüßen zu dürfen.

Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zu unserem Tagungsort hier am Tegeler See - im Norden von Berlin gelegen - sagen. Diese Villa, die Privatresidenz des Berliner Industriellen Ernst von Borsig aus dem frühen 20. Jahrhundert, hat eine wechselvolle Geschichte: Sie war nach dem 2. Weltkrieg Sitz des Oberkommandierenden der französischen Truppen im französischen Sektor Berlins, kurze Zeit Gästehaus des Berliner Senates, Sitz der Stiftung für Internationale Entwicklung und seit kurzem - nach umfassender Renovierung - Gästehaus des Bundesaußenministers. Sie gehören zu den ersten Gästen, die hier tagen werden!

Auf dem Gelände befindet sich zudem die Akademie des Auswärtigen Amtes, in der junge Diplomaten auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet werden. Vielleicht haben Sie in der Mittagspause Gelegenheit, sich Haus und Gartenanlage ein wenig genauer anzusehen. Ich hoffe jedenfalls, dass Sie in diesem Rahmen eine gute und fruchtbare Tagung haben werden, die an das Fachgespräch im Oktober 2007 im Generalkonsulat in Istanbul nahtlos anknüpfen kann.

Das erste Fachgespräch in Istanbul hat gezeigt, wie wertvoll, ja notwendig der Meinungsaustausch zwischen deutschen und türkischen Experten zum Verhältnis von Staat und Religion in unseren beiden Staaten ist. Es wurden Fragen angesprochen, die der weiteren Diskussion bedürfen. So war es nur folgerichtig, dass das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt jetzt zu einer Fortsetzung dieses Dialogs nach Berlin eingeladen haben. Ich darf Herrn Kollegen Altmaier und Herrn Dr. Kerber und seinem Team sehr für die gute Kooperation danken.

Meine Damen und Herren,

Deutschland und die Türkei haben in viel stärkerem Maße als andere Länder historische Verbindungen und aktuelle Berührungspunkte, es sind allem voran die Menschen, die uns verbinden: etwa 2,5 Mio. Menschen türkischer Herkunft leben in Deutschland, davon sind knapp 700.000 deutsche Staatsbürger. Umgekehrt reisen jedes Jahr etwa 4 Mio. Deutsche als Touristen in die Türkei, viele sind inzwischen dort auch dauerhaft ansässig.

Kulturell sind unsere Verbindungslinien viel zahlreicher, als uns häufig bewusst ist. Ob in den "türkischen Elementen" in der Musik Mozarts und dem West-Östlichen Diwan Goethes oder heute in den international erfolgreichen Filmen von Fatih Akin, der erst Ende April an einem Tag sowohl mit dem Europäischen Medienpreis 2008 sowie in 4 Kategorien des Deutschen Filmpreises 2008 ausgezeichnet wurde: Austausch und gemeinsame künstlerische Arbeit verbinden unsere beiden Kulturen. Wir müssen alle miteinander anerkennen, dass sich durch Migration von Menschen und Ideen, durch ihre Kreativität und Dynamik die traditionelle, und letztlich fragwürdige Vorstellung von abgeschlossenen Kulturkreisen mehr und mehr auflöst.

Zum weiteren Ausbau des Dialogs zwischen unseren Zivilgesellschaften haben Präsident Gül, in seinem früheren Amt als Außenminister, und Bundesminister Steinmeier vor zwei Jahren die Ernst-Reuter-Initiative ins Leben gerufen. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft, Medien, Bildung und Wissenschaft wirbt die Initiative für eine verstärkte zivilgesellschaftliche Vernetzung unserer Länder. Die Gründung der deutsch-türkischen Universität in Istanbul wird in diesem Rahmen ein Meilenstein sein. Im Herbst werden wir die Türkei als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2008 begrüßen.

Neben den zivilgesellschaftlichen Verbindungen spielen die wirtschaftlichen Beziehungen eine ganz wesentliche Rolle: Schon jetzt ist Europa der wichtigste Investor in der Türkei, und deutsche Investitionen sind allein im letzten Jahr um nahezu das Dreifache gestiegen! Unsere Unternehmen fast 3.200 sind es - kommen in Ihr Land, weil sie der politischen und volkswirtschaftlichen Entwicklung der Türkei vertrauen. Umgekehrt tragen türkischstämmige Unternehmer erheblich zum Wirtschaftsleben in Deutschland bei und schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze.

Meine Damen und Herren,

in den letzten Jahren sind wir Zeugen eines bemerkenswerten Wandels im Türkei-Bild der Deutschen geworden. Dieses ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass nach Jahrzehnten eines vom deutschen gesellschaftlichen Leben eher abgeschotteten Lebens vieler Türken die junge Generation selbstbewusst ihren Platz in der deutschen Öffentlichkeit einnimmt, sei es als erfolgreiche Unternehmer, als Politiker, als Künstler, als Publizisten, als bekannte Schauspieler oder Fernsehmoderatoren. Deutschland erlebt in einem sehr positiven Lernprozess, dass die türkischstämmige Bevölkerung ein vielseitiges und interessantes Gesicht hat.

Auch die deutschen Medien widmen dem Verhältnis zwischen Deutschen und Türken immer mehr Aufmerksamkeit. Obgleich viele der in der Öffentlichkeit auftretenden erfolgreichen Persönlichkeiten türkischer Herkunft ihre kulturelle und religiöse Prägung nicht in den Vordergrund stellen, sondern sich als Akteure innerhalb der deutschen Gesellschaft verstehen, so verbreitet sich doch in Deutschland die überfällige Erkenntnis, dass Islam als Religion und Muslime selbstverständlich zum gesellschaftlichen Leben hinzugehören. Hierbei verkenne ich nicht, dass es Fragen gibt, ich nenne nur den Bau von Moscheen, die in schwierigen Debatten ausgetragen werden. Ich verkenne ebenso wenig, dass in den Medien ein gelegentlich stark von Stereotypen und pauschalen Zuschreibungen geprägtes Bild des "Islam" anzutreffen ist. Es gibt also ausreichend Fragen, über die wir sprechen müssen und die Islamkonferenz bietet die Plattform hierfür.

Gerade die Deutsche Islamkonferenz, auf Initiative von Bundesinnenminister Schäuble 2006 ins Leben gerufen, ist das anschaulichste Beispiel dafür, dass die muslimische Glaubenspraxis in Deutschland ein Thema der Politik geworden ist, und zwar in einem kontinuierlicher Dialogprozess zwischen Staat und Muslimen in Deutschland, sowohl verbandlich Organisierten wie Einzelpersönlichkeiten. Zahlreiche Akteure der Islamkonferenz sind heute hier anwesend. Sie wissen natürlich viel besser als ich, dass dies ein Prozess ist, in dem streitig diskutiert und um Positionen gerungen wird: Um das Verständnis des Wertekonsenses in unserem Land, um die Einführung von Religionsunterricht oder um die bereits erwähnten Vorurteile in den Medien.

Seien Sie versichert, in unseren europäischen Nachbarstaaten, gerade auch in der islamisch geprägten Welt, wird dieser Beratungsprozess mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. In unseren Nachbarstaaten wird mit Respekt beobachtet, dass die Islamkonferenz sich zu einem Gesprächsforum entwickelt hat, in dem mit Geduld, mit der nötigen Leidenschaft, gelegentlich auch mit Leidensfähigkeit auf allen Seiten um Einzelfragen der Ausübung des islamischen Glaubens in unserem Land gerungen wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Prozess und die Ernsthaftigkeit aller, die sich daran beteiligen, die öffentliche Wahrnehmung des Themas gravierend und zwar positiv wandelt.

Wie die Europäische Union erlebt auch die Türkei in den letzten Jahren eine Phase bemerkenswerten Wandels. In der Türkei wird gegenwärtig eine kontroverse Debatte über eine neue Verfassung geführt. Ich freue mich sehr, dass Experten aus der Türkei zu dieser Frage an der Konferenz teilnehmen. Wir verstehen, welche Bedeutung für die Türkei die aktuelle Laizismus-Diskussion hat. Wichtig dabei ist, einen Kompromiss zu finden, der alle Bürger zufrieden stellt. Wir hoffen, dass die Türkei ihren Weg dahin finden wird.

Die zurückliegenden Parlamentswahlen haben die breite Unterstützung der türkischen Bevölkerung für den Reformprozess eindrücklich unter Beweis gestellt. Und die entschlossene Reformpolitik der vergangenen Jahre hat der Türkei ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum beschert. Mit all dem rückt die Türkei näher an die Europäische Union heran. Wir teilen die Sicht, die EU-Kommissionspräsident Barroso anlässlich seines Türkeibesuchs vor zwei Wochen zum Ausdruck gebracht hat: Es ist für die Türkei in der jetzigen Situation besonders wichtig, am Reformkurs festzuhalten und sich nicht von diesem Ziel abbringen zu lassen.

Reformen, das wissen wir aus eigener Erfahrung, sind häufig schmerzhaft. Sie bedürfen langen Atems und kontinuierlicher Vermittlung. Wir wünschen der Türkei Kraft und Ausdauer, ihren Reformprozess erfolgreich weiterzuführen. Die jüngsten Initiativen zur Förderung der Meinungs- und Religionsfreiheit sind ein Schritt in diese Richtung.

Meine Damen und Herren,

in einer der Regionen der Welt, die wie keine andere der Gefahr der Destabilisierung ausgesetzt ist, stellt die Türkei ein Beispiel für Demokratie und Stabilität dar. Mit ihrer aktiven Außenpolitik wirkt sie außerdem konstruktiv an der Lösung von Konflikten in der Region mit. Wir schätzen dieses Engagement umso mehr, als wir in vielen außenpolitischen Fragen gemeinsame Ziele und Interessen haben.

Unsere Zusammenarbeit in der internationalen Gemeinschaft basiert auf der Einsicht, dass wir wesentliche Fragen der Menschheit nur noch gemeinsam lösen können. Ob wir eine Antwort auf Migrations- und Integrationsprobleme finden - das hängt im Zeitalter der Globalisierung nicht von uns allein ab, sondern vom gemeinsamen Wirken im europäischen und internationalen Rahmen.

Die Diskussion um die Integration von Muslimen in die europäischen Gesellschaften, so auch in Deutschland, wird, das wissen wir sehr genau, in allen islamisch geprägten Ländern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Zur Frage der Gleichstellung des Islam in Deutschland diskutieren wir heute lebhaft und offen. Das muss jetzt auch in den Herkunftsländern der Muslime, 80 % von ihnen stammen aus der Türkei, vermittelt und weitere Schritte unter Einbeziehung von dort vorhandener Expertise vollzogen werden. Ein Beispiel für die gute deutsch-türkische Kooperation in diesem Bereich ist die vom Auswärtigen Amt und dem türkischen Amt für Religiöse Angelegenheiten gemeinsam finanzierte Fortbildung von türkischen Imamen in deutscher Sprach- und Landeskunde vor ihrem Einsatz in Deutschland. Wir wissen, dass dieser positive Schritt weitere Entwicklungen nach sich zieht. Letztlich auch die Frage, wie in Deutschland aufgewachsene junge Menschen türkischer Herkunft, die sich für den Beruf des Theologen interessieren, ihr Studium teilweise in der Türkei absolvieren, um anschließend in Deutschland z. B. als Imam oder in der Lehre an einer Universität tätig werden zu können.

Meine Damen und Herren,

wer Dialog will, braucht Geduld: Wenn Menschen aus verschiedenen Ländern und mit verschiedenem kulturellen Hintergrund zusammenkommen, gelingt es häufig nicht, in allen Punkten eine gemeinsame Meinung zu finden. Fast immer braucht dieses Ziel mehr Zeit, gelegentlich ist es nicht erreichbar. Trotzdem - der beidseitige ernsthafte Versuch, Unterschiede in Traditionen und religiösen Überzeugungen gegenseitig besser zu vermitteln und zu verstehen, bringt einander näher und eröffnet Optionen des Zusammenwirkens. Daran müssen wir weiter arbeiten. Ich bin sicher, dass Ihr Fachgespräch ein weiterer Schritt auf diesem Weg sein wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.