Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 15.06.2009

Untertitel: Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem Tag der Deutschen Industrie "Echte Werte" desBundesverbandes der Deutschen Industrie
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Keitel,sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2009/090615-ErlerBDI.html


ich freue mich sehr, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen!

Für den Bundesaußenminister ist der "Tag der Deutschen Industrie" ja schon fast so etwas wie ein Klassentreffen. Wenn ich hier in den Saal schaue, dann sehe ich Unternehmen, die mich nach Zentralasien, nach China und Indien, in die USA und nach Russland, in die arabischen Staaten, nach Südamerika und Südostasien begleitet haben.

Ich sehe Unternehmer, die ihr bequemes Firmenflugzeug gegen die Holzklasse der Flugbereitschaft eingetauscht haben, gemeinsam mit mir in klapprigen Bussen über staubige Wüstenpisten gefahren sind und bei allem Unbill ein Ziel mit uns geteilt haben: neue Märkte zu erschließen, neue Partnerschaften zu begründen und den Industriestandort Deutschland zu stärken. Ich freue mich sehr, Sie alle hier begrüßen zu dürfen!

Und ich möchte eines hinzufügen: Wir sollten dieses gemeinsame Anliegen den deutschen Industriestandort zu stärken auch mit mehr Ehrgeiz hier bei uns in Deutschland verfolgen.

Wir blicken ja alle derzeit auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch das Prisma der Krise.

Aber je gewaltiger sich die Probleme an den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft darstellen, um so dringender wird auch die Frage nach den langfristigen und grundsätzlichen Konsequenzen.

Krisenmanagement ist wichtig und notwendig. Um Arbeitsplätze zu erhalten, um Brücken über die Krise in eine bessere Zukunft zu schlagen, im Produktion und Standorte zu erhalten.

Das ist aber nur das eine.

Diese Krise ist eine Zeitenwende. Eine Zäsur, ein Punkt, an dem sich eine alte von einer neuen Epoche trennt. Und deswegen halte ich es auch für falsch, wenn manche denken oder gar wollen, dass es nach der Krise wieder so werden soll wie zuvor.

Ich sage: lassen Sie uns ehrgeiziger sein!

Wir wollen mehr für unser Land erreichen!

Und wir müssen deswegen auch mehr für unser Land tun!

Drei Themenbereiche will ich kurz benennen.

Erstens: Lassen Sie uns ehrgeiziger und anspruchsvoller sein im Bereich der Bildung! Technologischer Fortschritt, moderne Produkte und Produktion lebt von hochqualifizierten und motivierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Unternehmerinnen und Unternehmern.

Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, das bei uns über 300.000 Kinder jährlich ohne eine vernünftigen Abschluss die Schule verlassen. Wir müssen gewährleisten, dass Bildung gerade auch die Hochschulbildung nicht vom Geldbeutel der Eltern oder der sozialen Herkunft abhängt.

Wie drängend dieses Problem ist, mag ein Beispiel zeigen. Ich war vor ein paar Monaten bei Siemens in Mühlheim an der Ruhr. Dort entsteht eine neue Halle für ein Turbinenwerk. Ich habe bei meinem Rundgang dort erfahren, dass allein an diesem Standort Hunderte Ingenieursstellen unbesetzt sind. Weil es einfach keinen Nachwuchs gibt. Sie alle kennen das Problem. Schlechte Ausbildung wird bei uns zu einem Hemmschuh für technologischen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum. Das müssen wir ändern. Gerade in den technischen Berufen. Wir brauchen hier eine gemeinsame Offensive von Industrie, Bildungseinrichtungen und Politik. Und genau dazu rufe ich auf!

Zweitens: Wir wollen ehrgeiziger und anspruchsvoller sein beim Thema der Gleichstellung! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist das Stichwort. Es ist gerade zu eine Skandal für unser Land, dass das immer noch nicht gewährleistet ist. Dass Frauen für die gleiche Arbeit oft weniger verdienen als Männer. Das ist das eine. Das andere sind Aufstiegschancen in Betrieben und Unternehmen.

Und auch hier müssen wir uns doch die Frage stellen: Wie kann diese Ungerechtigkeit sein?

Und über den Gerechtigkeitsaspekt hinaus: Warum nutzen wir die Ressourcen unseres Landes so schlecht?

Und ich glaube, wir sollten dieses Problem sozusagen von oben, über die Aufsichtsräte angehen. Norwegen hat es uns vor gemacht. Aktuell leisten sich die Kapitalgeber in Deutschland noch den Luxus, auf Frauen in Aufsichtsräten zu verzichten. Das müssen wir ändern.

Ich schlage deswegen vor, dass wir eine Verpflichtung schaffen: mindestens 40 % Frauen in die Aufsichtsräte.

Drittens und abschließend: Wir wollen ehrgeiziger und anspruchsvoller sein für eine nachhaltige, eine gestaltende Industriepolitik!

Deutschland ist der viertgrößte Industriestandort der Welt. Rund 25 % unseres gesellschaftlichen Wohlstandes wird durch industrielle Wertschöpfung erarbeitet. Und anders als andere Staaten in Europa haben wir in den letzten gut 10 Jahren Deutschland als industriellen Standort erhalten. Durch die Reformen des Arbeitsmarktes. Durch die Unterstützung der Industrie gegen die Apologeten der Dienstleistungsgesellschaft. Aber auch durch bewusste staatliche Anreize und Regelungen. Genau das meine ich mit gestaltender Industriepolitik.

Ein Zitat mag das belegen: Angetrieben von rigiden Gesetzen, gepäppelt mit üppigen staatlichen Subventionen und umgesetzt mit deutschen Ingenieurtugenden ist hierzulande eine Industrie herangewachsen, die ihresgleichen sucht ". Ende des Zitats.

Das stammt nicht etwa aus einem sozialdemokratischen Papier oder dem Vorwärts. Sondern das hat die Wirtschaftswoche über die Umwelttechnologie geschrieben.

Und wenn wir uns die Umwelttechnologie in Deutschland anschauen, dann sehen wir 1,2 Millionen Arbeitsplätze, Weltmarktanteilen bis zu 20 - 30 % , einen Umsatz, der schon heute höher ist als der des Maschinenbaus.

Und dann können wir sagen: hier ist es uns gelungen, eine neue Leitindustrie aufzubauen. Weil es eine vernünftige Mischung aus staatlichen Anreizen und Unterstützungen gepaart mit unternehmerischem Ehrgeiz und technologischen Fähigkeiten gab und gibt.

Warum betone ich das?

Weil ich denke, dass wir die notwendige Umgestaltung der Industrie, von der Herr Keitel kürzlich gesprochen hat, am besten gemeinsam hin bekommen. Weil ich denke, dass wir nur gemeinsam die Wege aus der Krise finden und Brücken in die Zukunft schlagen werden. Und weil ich weiß, dass die Politik dabei nicht der Gegner der Wirtschaft und schon gar nicht der Feind wirtschaftlichen Handelns ist. Sondern gleichberechtigter Partner in einem verantwortlichen Dialog sein will, sein kann und nach meiner Meinung auch sein soll.

Deswegen wehre ich mich auch gegen die weit verbreitete ordnungspolitische Orthodoxie. Ich sage: Gemeinsam sollten wir daran arbeiten, dass wir hier in Deutschland die besten Bedingungen für Forschung, Investition und Produktion industrieller Produkte schaffen. Gesellschaftliche Akzeptanz, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, verantwortungsbewusste Unternehmer und vernünftige politische Rahmenbedingungen, Regelungen und Anreize gehören dazu.

Das alles kann keiner allein schaffen. Sondern Politik, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen sich gegenseitig. Und ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen an diesen Zielen zu arbeiten!

Vielen Dank!