Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 22.02.2010
Untertitel: Grußwort des Bundesaußenministers, Guido Westerwelle,anlässlich derInformationsreise einer Delegationder Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen in Europa,am 22. Februar 2010,im Auswärtigen Amt in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Frau Ulloa,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2010/100222-BM-UNASUR.html
Exzellenzen,
meine Damen und Herren!
Herzlich willkommen in Berlin. Es ist mir eine außerordentlich große Freude, dass Sie Deutschland besuchen.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Staaten Südamerikas haben eine lange Tradition. Sie haben nicht nur eine politische und ökonomische Seite, sondern auch eine historische und kulturelle Seite. Unsere Kontinente teilen grundlegende gemeinsame Werte. Dazu gehören Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Notwendigkeit internationaler Kooperation und das Primat des Völkerrechts. Unsere Vorstellungen über den Wert individueller Freiheit und das Wohlergehen des Einzelnen liegen sehr eng beieinander.
Was gut ist, kann aber noch besser werden. Für die Bundesregierung ist Lateinamerika eine zentrale Partnerregion der deutschen Außenpolitik. Wir möchten den Dialog besonders mit Ihnen intensivieren. Deshalb führt mich meine erste große Reise als Außenminister im März nach Lateinamerika. Das ist kein Zufall, das ist eine bewusste Entscheidung. Deutschland und Europa können und wollen mit den Staaten Lateinamerikas gemeinsame Lösungen für globale Probleme finden. Gerade weil wir so viele Gemeinsamkeiten haben, sollten wir sie in einen gemeinsamen Ehrgeiz übersetzen, damit uns die Lösung der Probleme gemeinsam gelingt.
Schwierigkeiten in einer Weltregion sind in anderen Weltregionen spürbar. Dass es zwischen den Kontinenten Berührungspunkte gibt, ist daran nicht neu. Schon seit Menschengedenken standen menschliche Gemeinschaften mit ihren Nachbarn in Kontakt, suchten Handel und Austausch. Das war oft kriegerisch, gelang aber oft auch friedlich. Das Neue ist der Faktor Zeit. Ihn spüren wir alle. Noch im 19. Jahrhundert brauchten bedeutende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft oft 50 Jahre. Heute ist in 20 Jahren der Abstieg oder der Aufstieg ganzer Länder und Regionen möglich. Gerade in Teilen Südamerikas werden in letzter Zeit beeindruckende Erfolgsgeschichten geschrieben.
Vielleicht wissen manche Bürger unseres Landes nicht ganz genau, wo ein Land Südamerikas liegt, wenn der Name in den Nachrichten genannt wird. Aber die Erkenntnis wächst, dass unsere Probleme auch Ihre sind und Ihre Probleme unsere.
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt, wie eng unsere Volkswirtschaften miteinander verflochten sind. Wenn einer erkrankt ist und schweres Fieber hat, steckt er auch andere an, die weit entfernt sind.
Die globale Verflechtung macht es so wichtig, dass wir statt eines Konfrontationsmodells ein internationales Kooperationsmodell verfolgen. Dass Kooperation, auch wenn sie manchmal mühselig sein mag, immer besser ist als Konfrontation, ist nicht zuletzt eine Lehre aus der eigenen, auch dunklen Geschichte unseres Landes und der gemeinsamen Geschichte unseres Kontinents.
Wir müssen lernen, die globale Verflechtung positiv zu nutzen. Südamerika hat eine Schlüsselrolle, beispielsweise im Kampf gegen globale Erwärmung. Wenn wir gemeinsam den Tropenwald schützen und das enorme Potential der erneuerbaren Energien entwickeln, nützt diese Zusammenarbeit beiden Seiten. Die Länder des Südens und des Nordens profitieren gemeinsam von positiven Effekten auf das Weltklima. Wachstum und Innovation an einem Ort werden auch auf der anderen Seite der Erde Entwicklung fördern.
Ich vertrete einen umfassenden Ansatz der Kooperation, der über die Zusammenarbeit in Politik und Wirtschaft weit hinaus geht. Lassen Sie uns deshalb auch über Kulturpolitik und über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit sprechen. Wir wollen uns über Ihre Erfahrungen und Ideen austauschen. Und wir wollen gemeinsam mit Lateinamerika globale Verantwortung übernehmen.
Mit großem Interesse sehe ich, wie sich in Südamerika regionale Organisationen entwickeln, von der Andengemeinschaft über MERCOSUR zu UNASUR, der Union der Staaten Südamerikas. In Europa haben wir die Erfahrung gemacht, wie regionale Zusammenarbeit das friedliche Zusammenleben fördert. Die Entwicklung einer regionalen Sicherheitsarchitektur ist auch in Südamerika die beste Garantie für dauerhaften Frieden in der Region. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diese Ansicht hier am Tisch als gemeinsame Erkenntnis teilen.
Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gemeinsam, als UNASUR, gefolgt sind, um in Deutschland über europäische Erfahrungen mit kollektiver Sicherheit zu diskutieren.
Verehrte Gäste,
wir haben in Europa eine bemerkenswerte Geschichte erlebt. Dieser Kontinent, dessen Geschichte so lange von Krieg und Zerstörung geprägt war, hat zu einer unvergleichlich langen Friedensphase gefunden.
Das war nicht selbstverständlich. Die Nachkriegszeit war geprägt vondem Systemgegensatz zwischen Ost und West. Es gibt vermutlich keinen Ort, der für diesen Gegensatz symbolträchtiger ist als Berlin.
Mein Geburtsjahr ist 1961, das Jahr, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Viele Jahre später, ich war damals vielleicht vierzehn oder fünfzehn, brachte mich mein Vater aus dem Rheinland, aus der ehemaligen Bundeshauptstadt, nach Berlin. An der Mauer standen damals in West-Berlin Holzpodeste, von denen man über die Mauer auf Sandstreifen, Minenfelder und Wachtürme schauen konnte. Ich erinnere mich an die Holzkreuze derer, die bei dem Versuch, der DDR zu entfliehen, erschossen wurden.
Ich war noch keine dreißig, als die Mauer gestürzt wurde. Denn die Mauer ist nicht gefallen. Sie wurde von mutigen Menschen von Ost nach West eingestürzt. In Berlin hat sich gezeigt, dass nicht diejenigen Phantasten sind, die Frieden und Kooperation anstreben, sondern diejenigen, die glauben, mit Konfrontation und Zwang auf Dauer Erfolg zu haben.
Mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der KSZE, ist es uns gelungen, die Teilung Europas zu überwinden. Der Ende der Blockkonfrontation in Europa war zugleich der Schlüssel zur Einheit Deutschlands. Wir können Ihnen aus unserer eigenen historischen Erfahrungviel über diesen Prozess erzählen. Die Fortentwicklung der KSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz OSZE, werden Sie in Wien aus der Nähe kennen lernen.
Sicherheit auf dem eigenen Kontinent ist der erste Schritt, damit man sich gemeinschaftlich globalen Sicherheitsherausforderungen stellen kann. In Zukunft entstehen Konflikte nicht mehr allein zwischen Nachbarn. Sicherheitsherausforderungen sind nicht mehr regional eingrenzbar. In der Frage globaler Sicherheit sind unsere Interessen eng verwoben. Eine unkontrollierte Weiterverbreitung atomarer Waffen würde die Sicherheit in Südamerika ebenso gefährden wie in Europa. Deswegen ist unsere Kooperation auch in Sicherheitsfragen so wichtig. Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Die Frage, vor der wir stehen, ist, ob wir das kommende Jahrzehnt zu einem Jahrzehnt der Aufrüstung oder einem Jahrzehnt der Abrüstung machen. Meine Antwort ist eindeutig: Gemeinsam müssen wir das kommende Jahrzehnt zu einem Jahrzehnt der Abrüstung machen.
Die Begriffe Abrüstung, Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen sind keine Begriffe von gestern. Sie sind heute so aktuell wie damals. Die KSZE war erfolgreich, weil es gelang, die Einhaltung der Abreden überprüfbar zu machen. Vertrauensbildung und Nachprüfbarkeit sind für den Erfolg jedes Systems regionaler Sicherheit unverzichtbar.
Die Instrumente des Dialogs und der Verständigung, die wir in Europa entwickelt haben, sind keine Musterlösung. Aber ich bin überzeugt, dass erfolgreiche Ideen und Konzepte zu eigenen Lösungen inspirieren. Denn genau das ist der Beitrag, den wir aus Deutschland und Europa zu Ihrer aktuellen Diskussion leisten können.