Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 03.03.2010

Untertitel: Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf
Anrede: Herr Präsident,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2010/100303-BM-MRR.html


Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre, hier zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Die Vereinten Nationen sind das Herzstück einer Weltpolitik, die auf Kooperation setzt. Um den Frieden zu sichern und die Menschenrechte zu schützen, brauchen wir starke und handlungsfähige Vereinte Nationen. Wir brauchen sie für eine Politik, die dem Wohl der Menschheit verpflichtet ist. Und die anerkennt, dass die Menschheit aus einer Vielzahl von Individuen besteht. Der Mensch war auf der Welt, bevor es Staaten gab. Nicht der Mensch ist für den Staat da, sondern der Staat für den Menschen.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Konventionen enthalten den klaren Auftrag zum Schutz und zur Förderung der universellen und unteilbaren Menschenrechte. Hinschauen ist Teil des Auftrags. Angesichts von Menschenrechtsverletzungen dürfen wir nicht schweigen. Auch in Zukunft werden wir hier im Menschenrechtsrat Kritik üben, wenn Staaten ihren menschenrechtlichen Pflichten nicht nachkommen.

Die universell anerkannten Werte wie der Respekt vor der Würde des Menschen sind jene Grenze, ab der aus dem Prinzip der Nichteinmischung gemeinsame Verantwortung wird. Der Träger des Literaturnobelpreises 1972, Heinrich Böll, hat uns ins Stammbuch geschrieben: Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die Angelegenheit der Menschenrechte.

Das beharrliche Engagement der deutschen Bundesregierung für die Menschenrechte ist die Lehre aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Deswegen beginnt unsere Verfassung, das deutsche Grundgesetz, mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und dem Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Wir verpflichten uns zum Schutz der Grundrechte innerhalb unseres Landes. Wir streiten für die Einhaltung von Menschenrechten außerhalb unseres Landes.

Meine Damen und Herren,

Deutsche Außenpolitik ist werteorientiert und interessengeleitet. Unser Einsatz für Menschenrechte liegt in unserem ureigenen Interesse. Mit Staaten, die die Menschenrechte achten, die Rechtsstaatlichkeit entwickeln, können wir politisch wie wirtschaftlich verlässlich zusammenarbeiten. Interessen und Werte sind kein Gegensatz, sondern verantwortungsvolle Außenpolitik. Das ist beste Tradition unseres Landes.

Wir verfolgen keine Politik des erhobenen Zeigefingers. Reiche und entwickelte Staaten haben die Wahrung der Menschenrechte nicht gepachtet. Auch unsere Gesellschaften müssen Antworten finden auf die Fragen, die eine komplexe globalisierte Welt aufwirft. Wir müssen entscheiden, in welchem Maße der Staat Daten über seine Bürger sammeln und speichern darf. Wir müssen das schwierige Spannungsverhältnis zwischen Bürgerfreiheit und Bürgersicherheit vernünftig auflösen. Wir müssen uns weltweit den neuen Herausforderungen im Umgang mit Migranten stellen. Unserer Rolle und unserem Anspruch werden wir nur gerecht, wenn wir die Wahrung der Menschenrechte bei uns selbst als tägliche Aufgabe begreifen.

Meine verehrten Damen und Herren,

Denjenigen, die den Schutz von Menschenrechten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, gebührt unser uneingeschränkter Respekt. Diese Menschen setzen sich nicht selten durch ihre Arbeit Gefahren für Leib und Leben aus. Mein Dank und meine besondere Hochachtung gilt den vielen mutigen Frauen und Männern, die Menschenrechte verteidigen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

In welchem Maß Menschenrechte respektiert und geschützt werden, ist Maßstab für Stabilität und nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft. Nur wer den Menschen in den Mittelpunkt stellt, macht Friedenspolitik. Das friedliche Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft und der Völker untereinander wird nur gelingen, wenn wir die Religionsfreiheit und den Glauben als untrennbaren Teil unserer Identität anerkennen. Jeder Mensch muss den Glauben leben dürfen, den er für sich als wahr erkannt hat. Das gilt für Angehörige christlicher Minderheiten ebenso wie für Anhänger jeder anderen Religion. Jeder Mensch muss seine Religion ungehindert wechseln können. Wahre Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit, keinen Glauben zu haben.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte sind integraler Bestandteil einer umfassenden Menschenrechtspolitik. Das Recht des Einzelnen auf sicheres Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung, die derzeit Milliarden von Menschen verwehrt sind, haben wir gemeinsam mit unserem Partner Spanien auf die Tagesordnung des Rates gebracht. Das muss weiter gehen. Wir brauchen auch die Unterstützung des Privatsektors, um das Recht auf Wasser für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind zu verwirklichen.

Auch bei den spezifischen Kinderrechten müssen wir mehr tun als bisher. Wir brauchen ein Individualbeschwerdeverfahren zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Ich rufe alle Staaten auf, sich für ein entsprechendes Fakultativprotokoll einzusetzen.

Herr Präsident,

mit wachsender Sorge verfolgt mein Land die Entwicklungen der letzten Monate in Iran. Dieser Rat ist nicht der Ort, um das iranische Nuklearprogramm zu erörtern. Dieser Rat ist aber sehr wohl der Ort, an dem ich die Menschenrechtsverletzungen im Iran verurteile. Die blutige Niederschlagung von Demonstrationen, die Unterdrückung von Meinungen und die unerträgliche Missachtung weiterer elementarer Menschenrechte kann und darf dieser Rat nicht ignorieren. Die verfolgten Menschenrechtsverteidiger, die Journalisten, Frauen und Gewerkschaftler, die Angehörigen religiöser Minderheiten und viele andere einfache Bürger fordern lediglich diejenigen Rechte ein, die Ihnen die iranische Verfassung garantiert. Sie fordern die Einhaltung von Pflichten, die der Iran selbst rechtlich bindend in internationalen Abkommen übernommen hat. Sie alle sollen wissen: Wir sind fest an ihrer Seite.

Vor wenigen Tagen hat die iranische Regierung hier in Genf gezeigt, dass sie internationale Menschenrechtsstandards nicht einhalten will. Ich bedaure diese Entwicklung sehr. Vor allem, weil die Islamische Republik Iran in ihrer 31jährigen Geschichte beim Menschenrechtsschutz schon deutlich weiter war. Wenn der Iran internationale Menschenrechtsstandards ablehnt und sich anschließend um eine Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat bemüht, ist das ein Affront gegen alle Werte, auf die der Rat sich gründet.

Meine Damen und Herren,

der Menschenrechtsrat ist zentral für den internationalen Menschenrechtsschutz. Deutschland will einen starken, effizienten und glaubwürdigen Rat. Das Erreichte darf nicht geschmälert oder unter den Vorbehalt unterschiedlicher Traditionen oder Kulturen gestellt werden. Ideologische Debatten, die den Menschenrechtsschutz schwächen sollen, haben in diesem Rat keinen Platz.

Wir müssen die Chance ergreifen, die die Überprüfung des Menschenrechtsrats im nächsten Jahr bietet. Der Rat muss Fehlentwicklungen schneller und konsequenter verurteilen und die internationale öffentliche Wahrnehmung schärfen. Um seine Wächterfunktion zu erfüllen, braucht der Rat unabhängige und umfassende Informationen. Wir sollten darüber nachdenken das Staatenüberprüfungsverfahren zu ergänzen. Wenn man dabei für jedes Land der Welt einen unabhängigen Länderexperten ernennt, würde das die Glaubwürdigkeit und Effizienz des Rats erhöhen. Auch kann der Rat mehr als bisher ein Ort der Kooperation werden, an dem sich die Mitglieder mit Beratung und Erfahrungsaustausch gegenseitig unterstützen.

Ich verstehe die Mitgliedschaft im Rat als ein Privileg. Nur derjenige sollte Mitglied des Rates werden, der bereit ist, objektiv feststellbare Mindestanforderungen zu erfüllen.

Deutschland ist bereit, an der Reform des Rates mit eigenen Ideen mitzuwirken. Bei der Verbesserung der Arbeit des Rates darf es keine Denkverbote geben. Vorschläge werden danach beurteilt, ob sie den Zielen des Rats dienen. Wir wollen den partnerschaftlichen Dialog. Sie können auch in Zukunft auf das Engagement und die Beharrlichkeit Deutschlands für den Schutz der Menschenrechte zählen.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident.