Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 07.09.2010

Untertitel: Rede von Bundesminister Guido Westerwelle zur Eröffnung des Wirtschaftstages im Rahmen der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen am 7. September 2010 in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2010/100907-BM-BoKo-Wirtschaftstag.html


ich freue mich außerordentlich, dass ich Sie alle hier im Weltsaal des Auswärtigen Amtes so zahlreich begrüßen darf. Mir ist berichtet worden, noch nie hätte es auf dem Wirtschaftstag der Botschafterkonferenz ein so großes Interesse gegeben wie in diesem Jahr. Das freut mich sehr, lässt es doch optimistische Vorzeichen erkennen auf Ihre Erwartungen im Hinblick auf die Chancen und die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes.

Ich begrüße sehr herzlich den Präsidenten des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, Herrn Anton Börner. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie heute unseren Wirtschaftstag mit Ihrer Ansprache bereichern. Herzlich Willkommen Herr Börner!

Ich begrüße zum ersten Mal gewissermaßen als gemeinsamen Gastgeber mit dem Auswärtigen Amt den ersten Mann des Bundeswirtschaftsministeriums, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Es ist das erste Mal, dass wir gemeinsam als Wirtschaftsminister und Außenminister diesen Wirtschaftstag eröffnen. Und ich freue mich außerordentlich, dass Du, lieber Rainer, hier heute auch zu unseren so zahlreichen Gästen sprechen wirst. Herzlich Willkommen, Rainer Brüderle.

Auch das ist sicherlich ein Ausdruck auch von Kooperation und Zusammenarbeit. Ich begrüße die zahlreichen Ehrengäste, insbesondere natürlich auch die Damen und Herren Abgeordneten der Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag. Ich begrüße die Würdenträger. Natürlich müssten alle namentlich an sich protokollarisch begrüßt werden, aber im Interesse der Zeit erlaube ich mir stellvertretend für alle Ehrengäste, die heute anwesend sind, den Bundeswirtschaftsminister a. D. Professor Helmut Haussmann hier als Ehrengast zu begrüßen.

Dieser Wirtschaftstag findet statt in einem Umfeld, in dem sich Deutschland ganz augenscheinlich wirtschaftlich erholt, aufholt, zu alter Stärke zurückgewinnt. Die Stärke Deutschlands in der Welt, sie hängt nämlich nicht zuerst von unseren militärischen Fähigkeiten ab oder der Stärke unserer Streitkräfte. Das alles ist auch wichtig. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ist das wesentliche Fundament unseres Einflusses und unserer Möglichkeiten in der Welt. Die Stärke und das Ansehen Deutschlands in der Welt beruht eben nicht zuerst auf militärischen Kapazitäten, sondern zu aller erst auf diplomatischer Klugheit, auf mitmenschlicher Verantwortung und auf unserer wirtschaftlichen Kraft. Das zusammengenommen macht unsere politische und moralische Autorität in der Welt aus. Und deswegen ist es mir auch ein sehr persönliches Anliegen, dass auch die Außenpolitik ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes leistet. Wenn die Außenpolitik in Deutschland erklärt, sie wolle auch die Wirtschaftschancen von Wirtschaftsunternehmen in der Welt stärken, so ist das vielen zunächst einmal verdächtig. In anderen Ländern würden Botschafter und Politiker, auch Außenminister, eher dafür kritisiert, wenn sie nicht der heimischen Wirtschaft dabei helfen würden erfolgreich zu sein. Bei uns geht es gelegentlich genau in umgekehrter Richtung. Und das ist in meinen Augen wichtig zu überwinden. So wie es in unseren europäischen bestens befreundeten Nachbarländern selbstverständlich ist, dass auch die Politik Türen öffnet für Wirtschaftsunternehmen des eigenen Landes in der Welt, so muss das auch in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein. Und manche dieser Debatten, die wir führen, und damit meine ich nicht nur die Debatten der letzten Wochen, sondern auch der letzten Monate, als ob die Politik Büttel der Wirtschaft sei, wenn sie sich bemüht Wirtschaftschancen zu vergrößern, solche Debatten sind in anderen, ganz gewiss nicht weniger souveränen und demokratisch rechtsstaatlich orientierten und strukturierten Ländern in Europa geradezu undenkbar.

Es ist eben Realität, dass sich die Gewichte auf der Welt und in der Welt verschieben. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Und zwar in einer globalen Zeit des Umbruchs. Das, was uns beschäftigt intern in Deutschland, zum Beispiel die Debatten über die demographische Entwicklung. Das muss man jenseits der nationalen Fragen vor allem global besprechen: Die demographische Entwicklung, sprich die veränderten Altersstrukturen unserer Gesellschaften in Deutschland, in Europa, verglichen zu anderen jungen Kontinenten. Diese demographische Entwicklung ist eben nicht nur eine Herausforderung für uns, für unsere nationalen sozialen Sicherungssysteme. Es ist auch eine Herausforderung für die Außenpolitik, denn es ist eine Frage der Zeit bis die jungen Gesellschaften, die boomenden, dynamischen Gesellschaften, die man vor 20 Jahren noch lässig als Entwicklungsländer bezeichnet hat, den Anspruch erheben als große, aufsteigende Nationen eben auch politische, kulturelle, geistige Zentren zu sein. Diese Länder, diese Regionen werden sich nicht damit zufrieden geben, dass sie uns Rohstoffe verkaufen können und wir ihnen Produkte. Sondern diese Länder wollen mitreden auch in der sogenannten "großen Politik". Deswegen ist G8 sicherlich ein wichtiges Format, aber wir alle wissen, dass G20 als Format zur Gestaltung der Globalisierung immer wichtiger wird. Länder, die vor zwanzig Jahren oder zu meiner Studentenzeit noch wirkliche Entwicklungsländer gewesen sind, das sind Länder, die uns heute am runden Tisch oder am Verhandlungstisch auf internationaler Bühne auf gleicher Augenhöhe gegenüber sitzen. Und zwar nicht nur in den Bereichen, die Rainer Brüderle zu verantworten hat, also der Wirtschaftspolitik, sondern selbstverständlich auch, wenn es um die Frage von Nahost geht oder um die Frage von Krisenregionen, oder um globale Fragen, wo wir uns sortieren. Ein Land wie die Türkei beispielsweise erhebt aus der enormen wirtschaftlichen Entwicklung auch den Anspruch, in anderen Fragen mitzureden. Das ist es, was wir derzeit erleben, auch an strategischer Orientierungsdiskussion in der Türkei. Ein Land wie Brasilien beispielsweise erhebt aus seiner enormen Erfolgsgeschichte in den letzten Jahren nicht nur den Anspruch wirtschaftlich mit uns bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen zuletzt in München zu sprechen, sondern wenn Präsident Lula und demnächst sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin in der Welt auftreten, dann mit der Autorität der eigenen Wirtschaft, der eigenen Gesellschaft im Rücken. Er bereist zum Beispiel den Nahen Osten und bemüht sich dort im Friedensprozess sein Wort zu machen.

Brasilien, Argentinien, China, all diese aufstrebenden Länder sind natürlich in einem gewissen Sinne auch neue Konkurrenten für uns. Aber es sind zunächst einmal enorme Chancen. Es sind Absatzmärkte für deutsche Produkte. Und wir arbeiten fest daran, dass diese Länder auch Deutschlands Partner sind, wenn es um Frieden, Sicherheit und Wohlstand auf der Welt geht.

Die Exportnation Deutschland ist darauf angewiesen, die Entwicklungen auf der Welt genau im Blick zu behalten. Und dazu wird ganz gewiss Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister und als jemand, der international seit vielen Jahren - man muss es leider sagen, weil es sich so ungalant anhört, seit Jahrzehnten erfahren - in der Politik ist, sprechen über die Märkte, über die Kooperationsmöglichkeiten. Aber es geht mir eben auch um die Partnerschaften jenseits der Wirtschaft, um Partnerschaften, die aus der wirtschaftlich kräftigen Entwicklung entstehen für Stabilität, Wohlstand und für Frieden.

Mit seinen 229 Vertretungen im Ausland bietet der Auswärtige Dienst ein weltumspannendes Netzwerk. Und jede Leiterin und jeder Leiter dieser Vertretungen, die heute ja hier mit Ihnen auch im Gespräch sein können und Ihnen auch Rede und Antwort stehen, sie verfügen über ein feinmaschiges Netzwerk im Gastland. Sie wissen, wen man vor Ort ansprechen muss und können helfen, so manche Tür zu öffnen.

Das mag für ein ganz großes, global operierendes Unternehmen mit zehntausenden, vielleicht hunderttausenden von Mitarbeitern, nicht das Wichtigste sein. Solche großen Unternehmen sind in der Lage, sich überall auf Welt auch eigene Repräsentanten zur Eroberung von Märkten zu leisten. Aber die vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen, sie sind dringlich darauf angewiesen, dass sie bei den Außenhandelskammern, aber eben auch bei unseren diplomatischen Vertretungen offene Türen haben, damit ihrerseits unsere diplomatischen Vertretungen diesen mittelständischen Unternehmen die Türen öffnen. Sie sind nicht in der Lage, ein enges Netzwerk von Repräsentanten und Büros in der Welt zu unterhalten. Deswegen ist eine vernünftige Außenwirtschaftspolitik zu aller erst auch im Interesse des Mittelstandes der kleinen und mittleren Unternehmen und damit übrigens zu aller erst auch im Interesse der Beschäftigten und der Arbeitsplätze, die dort entstehen.

Die Bedingungen für Exporte und Investitionen, sie sind im Ausland gewiss nicht einfacher geworden. Es ist sogar so, dass sie in einigen Ländern viel komplizierter geworden sind.

Deutsche Wirtschaftspartner und deutsche Produkte genießen im Ausland ein hohes Ansehen."Made in Germany" war einst gedacht als ein Makel auf deutsche Produkte."Made in Germany" ist längst ein Gütesiegel für deutsche Unternehmen. Und was steckt hinter "Made in Germany" ? Was ist es, was man mit uns verbindet? Man verbindet zuerst mit "Made in Germany" Qualität und Verlässlichkeit. Und diese Verlässlichkeit, die deutsche Produkte in der Welt zurecht als Ruf genießen, diese Verlässlichkeit muss auch deutsche Politik im Ausland genießen, denn beides gehört zusammen. Das ist unsere hervorragende Visitenkarte.

Das Thema Wirtschaft ist damit also eine große Chance für unser Land, ausdrücklich auch eine außenpolitische Chance. Außenpolitik ist Globalisierungspolitik. Dabei geht es nicht nur um die Globalisierung von Märkten, sondern ich werbe für ein umfassendes Verständnis von Globalisierung. Es geht auch um die Globalisierung von Werten.

Wenn in Deutschland über Globalisierung gesprochen wird, kommt gelegentlich das abschätzige Wort des Globalismus. Ein Ismus wird aus einem realen Prozess gemacht. Das heißt aus einem realen Prozess wird eine Ideologie, ein Ismus. Als ob man die Augen verschließen könnte und der Rest der Welt wird dann natürlich Rücksicht nehmen auf uns und den mitteleuropäischen Kontinent. Dass das nicht so ist, das wissen Sie und eigentlich spüren es wir alle in diesem Land und trotzdem haben wir es noch nicht wirklich umgesetzt. Zur Globalisierung zählt nicht nur der Austausch von Handel, von Gütern, Wirtschaftsbeziehungen, sondern Globalisierung ist auch die Verbreitung von Werten, von Rechtsstaatlichkeit. Und die Unternehmerinnen und Unternehmer, die hier versammelt sind, die wissen genau, dass Rechtsstaatlichkeit nicht nur ein menschenrechtliches, bürgerrechtliches Ziel ist, das uns im Herzen bewegt, sondern es ist natürlich auch eine Frage für Verlässlichkeit. Die Staaten, die keine rechtsstaatlichen Strukturen für ihre eigenen Bürger vorweisen, werden auch von uns als Investitionsstandort nicht als verlässlich betrachtet. Auch da gibt es einen Zusammenhang. Das ist nicht die Ökonomisierung von Menschen- und Bürgerrechten, sondern es ist die Idee, den Ländern, denen es an Rechtsstaatlichkeit mangelt, klar zu machen: Auch für euch, für eure Eigenentwicklung ist es richtig, sich rechtsstaatlich zu verändern und Menschenrechte in vollem Umfang zu akzeptieren und zu leben.

Natürlich geht es auch um moderne Infrastruktur. In Entwicklungs- und Schwellenländern oder die Erleichterung des Zugangs zu Wasser und Strom. Das ist aber auch nicht nur ein Akt der Mitmenschlichkeit. Das ist nicht nur Altruismus, Solidarität des Menschen zum Menschen, Solidarität zwischen Nationen und Ländern, sondern es ist natürlich auch eine Chance für Aufträge für deutsche Unternehmen im Energiebereich, im Infrastrukturbereich. Deutschland genießt, das kann ich Ihnen nach dem Besuch von vielen Ländern in den ersten Monaten meiner Amtszeit berichten, einen Ruf aller erster Güte.

Entwicklung und dieser Wohlstand vor Ort führen wiederum zu Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Welt. Wirtschaftliche Entwicklung stabilisiert Gesellschaften. Wohlstandssteigerung, gerade in den ärmeren Ländern, stabilisiert Gesellschaften, orientiert sie auch friedlicher. Überall da, wo die Menschen keine Chance haben, aus ihrem Leben irgendetwas zu machen, wo sie verzweifeln, sind sie natürlich auch anfällig für Extremismus und damit wiederum auch für Fundamentalismus und Terrorismus. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns im Auswärtigen Amt so um Krisenregionen bemühen. Es ist eben nicht nur gewissermaßen der Menschlichkeit geschuldet, sondern es liegt auch in unserem eigenen Interesse, dass wir den Zusammenhang von Stabilisierung und wirtschaftlicher sowie sozialer Chancen der Länder betrachten und damit auch die Friedlichkeit der Welt insgesamt.

Lateinamerika ist Partnerregion Deutschlands. Vor vier Wochen hat die Bundesregierung ein umfassendes Lateinamerika-Konzept verabschiedet. Wir wollen unsere Beziehungen zu diesem Kontinent auf eine neue qualitative Ebene heben. Lateinamerika ist das Schwerpunktthema dieser Botschafterkonferenz. Mit vielen Ländern dieses Kontinents teilen wir gemeinsame Werte. Das ist die feste Basis für mehr Kooperation. Deutschland soll teilhaben an der Aufbruchstimmung und der großartigen Dynamik. Die Chancen und Potentiale einer verstärkten Zusammenarbeit mit Lateinamerika sind längst noch nicht vollständig genutzt. Ich schlage ein jährliches Zusammentreffen von Wirtschaft und Diplomatie ähnlich der Jahreskonferenz des Asien-Pazifik-Ausschusses vor. So können wir konkrete Initiativen in Richtung mehr Kooperation mit Lateinamerika entwickeln. Wir sind dazu bereit.

Wir denken hinaus über große Rohstoffvorkommen. Wir wissen, dass zum Beispiel ein Land wie Brasilien enorm auf erneuerbare Energien setzt. Deutsche Spitzentechnologien sind das, was wir dazu beitragen können. Das sind bedeutende Kooperationsprojekte, von denen alle, vor allem auch die Partner, profitieren können.

Lateinamerika, das sage ich Ihnen voraus, wird in den nächsten Monaten und Jahren immer stärker in den Blickpunkt rücken. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und zu den Olympischen Spielen 2016 wird die Welt nach Brasilien schauen. Und wie sich die Betrachtung eines Landes ändern kann durch solche Sportereignisse, das haben wir mit unserem Sommermärchen selbst erlebt. Plötzlich bekam die Welt mit, dass wir auch fröhlich sein können, unbefangen, was wir alle schon immer wussten über uns selbst, dass wir auch gutes Wetter haben können, was wir auch natürlich gar nicht anders kennen, aber mit einem Mal änderte sich das Deutschlandbild in der Welt in einem Maße, wie es viele von Ihnen erlebt haben. Dasselbe hat übrigens gerade Südafrika erlebt. Erinnern Sie sich mal daran, was vorher alles geschrieben worden ist von geschätzten Damen und Herren Beobachtern und Kritikern. Es ist geschrieben worden, eine Fußballweltmeisterschaft in Südafrika: "Na, wenn da mal nicht das Ganze mit Kriminalität, Mord und Totschlag endet. Die sind doch gar nicht in der Lage". Und sie waren fabelhafte Gastgeber und sie haben auch die Blickrichtung auf das Land und auf den gesamten afrikanischen Kontinent verändert, wie ich gerade beim Gipfel der afrikanischen Union auch in deren Selbsteinschätzung erleben konnte. Diese Großereignisse, sie werden mit Sicherheit uns hier bewegen. Und nicht nur des Sports Willen, sondern es sind auch enorme Chancen, z. B. auch für Investitionen vom Stadionbau bis zur touristischen Vermarktung.

Auf globaler Ebene setzt sich die deutsche Außenpolitik für faire Rahmenbedingungen ein. Wir brauchen umfassend akzeptierte, handlungsfähige globale Institutionen. Das betrifft die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank ebenso wie die Welthandelsorganisation. Die notwendigen Reformen gehen wir entschlossen an. Gerade in der internationalen Handelspolitik müssen wir unser gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen, um Gefahren für die Weltwirtschaft durch ein Aufflackern von Protektionismus zu verhindern. Nur freie und offene Märkte führen zu Entwicklung und Wachstum. Es ist sehr wohltuend, dass der Bundeswirtschaftsminister dieses auch ganz oben auf seine eigene Agenda geschrieben hat.

Das sage ich auch mit Blick auf ein Land, das zu Recht unsere volle Aufmerksamkeit hat. Die Flut der letzten Wochen hat in Pakistan, das wissen wir alle, unvorstellbare Zerstörungen und menschliches Leid verursacht. Wir haben als Deutsche schnell und effektiv geholfen. Übrigens nicht nur die Regierung und staatlichen Institutionen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger, was immer unterschätzt wird. Das bedeutet viel für unser Ansehen in der Welt, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger in solchen Situationen wirklich so mit Herz und tatkräftig auch engagieren. Aber es kommt dann auch eine Zeit danach. Dann geht es nach der humanitären Hilfe darum, was wir für ein Land wie Pakistan tun können, damit es stabil bleibt. Damit es wirtschaftlich nicht in sich zusammenstürzt, nicht kollabiert. Da geht es auch wiederum um Außenpolitik und Wirtschaftspolitik, z. B. um eine Initiative, die ich gerade in Europa gestartet habe, dass wir auch für pakistanische Produkte entsprechende Handelswege öffnen nach Europa. Nicht unumstritten in Europa, wie sie alle wissen, aber nachhaltiger mutmaßlich, als das, was im Augenblick kurzfristig nötig, aber natürlich nicht langfristig tragend sein kann.

Dabei ziehen das Bundeswirtschaftsministerium und das Auswärtiges Amt an einem Strang. Rainer Brüderle und ich sind uns da seit vielen Jahren vollständig einig. Es ist Ihnen ja aufgefallen, dass wir uns nicht erst im Kabinett kennen gelernt haben.

Wir wollen neue Chancen für Deutschland weltweit nutzen. Aber wir übersehen nicht unsere Partner direkt vor der Haustür. Und das ist der letzte Gedanke, den ich erwähnen möchte.

Natürlich exportieren wir sehr viel in ostasiatische Länder und jeder diskutiert über China und welchen inneren Wandel dieses Land nehmen muss, damit es noch stärker für uns auch von ökonomischer Bedeutung und Attraktivität sein kann. Aber ich überrasche vielleicht den Einen oder Anderen: Wir Deutsche exportieren immer noch mehr in die Niederlande als nach China. Und deswegen sage ich nur eins: Wir sollten Europa schätzen. Nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allen Dingen natürlich als großes Friedens- und Freiheits- und Wohlstandsprojekt auf unserem Kontinent. Ich sage das, weil sehr oft über Europa leichtfertig geredet wird und ich kann genauso wie Rainer Brüderle und andere Kolleginnen und Kollegen darüber berichten. Natürlich ist es unglaublich anstrengend, gelegentlich stunden- und nächtelang über Dinge zu reden und zu verhandeln mit Ländern, wo man sich fragt, warum die sich jetzt da mit einem Veto zu Wort melden und was das eigene Interesse da sein könnte. Natürlich ist es anstrengend, nächtelang zu verhandeln, aber dass das europäische Kooperationsmodell, das Konfrontationsmodell abgelöst hat, das es bis dahin auf dem europäischen Kontinent gab, das ist eine enorme historische Leistung derer, die auch vor uns Verantwortung getragen haben. Lieber verhandelt man nächtelang, als dass man sich unversöhnlich gegenüber tritt auf dem eigenen Kontinent. Noch vor mehr als einem Jahrzehnt hatten wir in Europa Kriege. Wenn Europa nicht mehr gebracht hätte als jahrzehntelangen Frieden auf unserem Kontinent, es hätte sich schon gelohnt.

Das kommt, meiner Meinung nach, vor der Frage eines Binnenmarktes von fast fünfhundert Millionen Menschen und den Chancen, die mit der gemeinsamen Währung verbunden sind. Aber ich sage auch, Europäische Einheit, der Binnenmarkt und die gemeinsame Währung, das war eine Erfolgsgeschichte insbesondere für Deutschland, und gerade auch für die deutsche Wirtschaft. Darum ist es unsere gemeinsame Aufgabe, für diese europäische Idee auch zu werben. Europa ist nur dann stark, wenn es von den Menschen in Europa aus Überzeugung getragen wird und das ist nicht nur ein Auftrag an die Politik.

Verlässlichkeit muss das Markenzeichen auch europäischer Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Das bedeutet strenge Regeln für zügigen Schuldenabbau und Neuverschuldung. Diese Regeln müssen dann auch durchgesetzt werden. Wer gegen die gemeinsame Verantwortung verstößt, wer dauerhaft falsche Zahlen abliefert, Statistiken manipuliert, sich selbst überschuldet, nicht seriös und solide haushaltet, der darf damit in Europa nicht einfach durchkommen. Das gilt für die kleinen wie für die großen Staaten. Das gilt für andere und auch für uns. Der Wirtschafts- und Stabilitätspakt, er braucht auch ein automatisches Sanktionsregime, damit, wenn jemand gegen die Verantwortung verstößt, das auch unmittelbar Konsequenzen hat. Davon bin ich fest überzeugt und darüber muss auch zurzeit verhandelt werden. Das liegt im eigenen Interesse für alle Eurostaaten, die für einen gesunden Euro einstehen, und wer sich nicht an die Regeln hält, der darf dann auch kein Geld mehr aus den EU-Strukturfonds erhalten. Diese Sanktionen müssen für jeden gelten, gleich wie groß und mächtig ein Land in Europa auch sein mag. Wir wollen eine Europäische Union der Verantwortung und wir sind begeisterte Europäer, aber was wir nicht wollen, ist eine Transferunion in Europa, wo im Grunde genommen jeder folgenlos sich verantwortungslos verhalten kann. Das geht nicht. Wer Europa schützen will, muss hier die Regeln ändern.

Sie alle wissen, dass Außen- und Innenpolitik immer stärker vernetzt sind. Sie sehen das am Beispiel der Klimadebatte und beispielsweise bei dem, was wir gestern besprochen haben mit der Außenministerin von Mexiko.

Ich freue mich und gratuliere dem Bundeswirtschaftsminister für die erfolgreichen Verhandlungen in der Energiepolitik und natürlich dafür, dass hier ein rationaler Energiemix vereinbart worden ist. Das ist übrigens auch von großer außenpolitischer Bedeutung und damit will ich dann schließen. Natürlich diskutieren wir Energiepolitik unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes, des Klimawandels, der uns demnächst in Cancún in Mexiko beschäftigen wird. Aber Energiepolitik ist eben nicht nur die Frage von Ökologie, von Ökonomie oder von der Bezahlbarkeit von Energie, sondern es ist eben auch eine Frage unserer außenpolitischen Souveränität. Wenn wir uns zu einseitig abhängig machen von einem Energielieferanten, dann machen wir uns nicht nur wirtschaftlich abhängig, sondern wir machen uns auch politisch beeindruckbar. Und das ist etwas, was wir immer mit kalkulieren müssen. Wenn wir außenpolitisch souverän sein wollen, dann geht es eben auch darum, dass wir erkennen, dass unsere Wirtschaft am Besten auf einem Energiemix basiert. Dementsprechend ist gestern und vorgestern so entschieden worden. Ich halte das für richtig und an kaum einem Beispiel wie der Energiepolitik kann man erkennen, wie sehr Außenpolitik und Wirtschaftspolitik miteinander vernetzt sind.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich jetzt auf die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers.