Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 19.05.2011
Untertitel: Rede von Außenminister Westerwelle auf dem Swiss Economic Forum "Discover Potentials" in Interlaken
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundesrat Schneider-Ammann,sehr geehrter Herr Linder,sehr geehrter Herr Stähli,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2011/110519-BM-SwissEconomic.html
wir treffen uns zu einer Zeit, in der unsere Volkswirtschaften gut da stehen. Die Schweiz wie auch Deutschland erleben einen Wirtschaftsaufschwung: Das Wirtschaftswachstum steigt und die Arbeitslosigkeit in unseren Ländern sinkt. Das sind nicht nur gute Nachrichten für jedes einzelne Land allein. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Schweiz und die Schweiz gehört zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Wenn zwei Volkswirtschaften so eng miteinander verbunden sind, dann profitiert jeder auch vom Erfolg des anderen.
Gute wirtschaftliche Daten erfreuen nicht nur Unternehmer, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Wirtschaftlicher Erfolg ist immer auch eine gute Nachricht für die Außenpolitik. Denn das Ansehen eines Landes in der Welt beruht nicht zuerst auf seinen militärischen Kapazitäten, sondern zuerst auf seiner diplomatischen Klugheit, seiner mitmenschlichen Verantwortung und nicht zuletzt seiner wirtschaftlichen Kraft. Neue Potenziale entdecken, Chancen nutzen, Vorsprung sichern ", der Titel dieser Konferenz ist klug gewählt. Er beschreibt genau die Herausforderungen, vor denen die Schweiz und Deutschland in der Globalisierung stehen.
In der Globalisierung geht es nicht nur um die Globalisierung von Märkten, sondern es geht auch um die Globalisierung von Werten: Von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Das ist es, was wir derzeit in Nordafrika und der arabischen Welt erleben. Diese Entwicklungen stellen eine historische Zäsur dar. Es eröffnet sich neues Potential für eine engere Zusammenarbeit.
Leider wird die große Hoffnung, mit der ich in die arabische Welt blicke, von großer Sorge begleitet. Viele Regierungen in der Region verkennen die Zeichen der Zeit und beantworten die zutiefst menschliche Sehnsucht nach Freiheit mit brutaler Gewalt.
In Libyen muss Oberst Gaddafi den Krieg gegen das eigene Volk endlich beenden und Platz für einen Neuanfang machen.
Gegen die Führung in Syrien hat die EU Sanktionen beschlossen, damit Präsident Assad die Angriffe auf friedliche Demonstranten sofort einstellt und grundlegende politische Reformen einleitet.
Im Jemen sollten alle Seiten Eskalation vermeiden und dem Vorschlag des Golfkooperationsrats für einen friedlichen Wandel zustimmen.
Von der Regierung in Bahrain fordern wir die Achtung der Menschenrechte und erhoffen einen echten Dialog mit der Opposition.
All diese Krisen können nur politisch gelöst werden. Ein Zurück in die Vergangenheit wird es nicht geben.
Wir wollen die Regierungen unterstützen, die einen demokratischen Wandel vorantreiben. Das gilt vor allem für Ägypten, Tunesien und Marokko. Die Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Teilhabe in den Ländern der Region liegt in unserem eigenen Sicherheits- und auch Wirtschaftsinteresse.
Wir wollen die Region auf dem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft unterstützen. Deutschland ist mit eigenen Transformations-Programmen vorangegangen. Handfeste Projekte sollen den Menschen, der Zivilgesellschaft insgesamt und den Institutionen des Staates beim demokratischen Wandel helfen.
Politik ist mehr als staatliches Handeln. Und so sind wir auf die Hilfe und die Investitionen von Unternehmen in der Region angewiesen, um diese ehrgeizigen Programme mit Leben zu füllen. Besonders wichtig ist mir dabei die betriebliche Berufsausbildung vor Ort. Die Demokratisierung in Nordafrika wird nur dann gelingen, wenn sie für die Menschen spürbar wird, durch mehr Freiheit und mehr Chancen auf persönlichen Wohlstand.
Wir im Westen glauben noch immer, den Taktstock fest in unseren Händen zu halten. Jahrhunderte mag das so gewesen sein. Heute aber wird die Musik zunehmend auch woanders gespielt. Die Gewichte in der Welt verschieben sich.
Derzeit leben gut 6,9 Milliarden Menschen auf der Erde. Das sind rund 80 Millionen Menschen mehr als vor einem Jahr. Anders ausgedrückt: Die Weltbevölkerung wächst jedes Jahr ungefähr um die Einwohnerzahl Deutschlands. Noch in diesem Jahr wird die Weltbevölkerung die Sieben-Milliarden-Marke überschreiten.
In China leben rund 1,4 Milliarden und in Indien rund 1,2 Milliarden Menschen, Tendenz steigend. Oder nehmen Sie den lateinamerikanischen Kontinent. Da sind junge und dynamische Gesellschaften. Sie haben Lust auf Veränderung, weil sie in der Veränderung die Chance auf Verbesserung sehen.
Früher waren die Schwellenländer abhängig von der Konjunktur der Industrieländer, heute ist die Konjunktur der Industrieländer abhängig von der Wirtschaftsdynamik der Schwellenländer. Das ist nicht verkehrte Welt. Das ist unsere Welt.
Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt anpacken, unseren Wohlstand ausbauen und den nachfolgenden Generationen gute Bildungschancen hinterlassen. Denn in der Globalisierung entscheidet langfristig nichts mehr über den Aufstieg und den Fall einer Nation als das Bildungssystem. Wissen ist die entscheidende Ressource der heutigen Welt. Zum Glück: Nicht mehr Bodenschätze als geologischer Zufall entscheiden über den Wohlstand einer Nation, sondern der Wettbewerb der Ideen.
Bildung ist auch eine Frage der Haltung. Nehmen Sie moderne Technologien oder Infrastrukturinvestitionen. Wir müssen auf die Chancen des Fortschritts setzen. Nur wer Veränderung als Mut zum Fortschritt begreift, wird die Globalisierung für sich entscheiden können.
Die Globalisierung fordert uns alle. Die Geschwindigkeit der Veränderung ist rasant. Manche reagieren darauf mit einer Renationalisierung von Politik.
Das Gegenteil ist richtig. Die beste Antwort auf die Globalisierung ist Europa. Europa ist die Wohlstandsversicherung der Deutschen in der Globalisierung. Fast drei Viertel unserer Exporte gehen nach Europa.
Auch mehr als die Hälfte des gesamten Außenhandels der Schweiz findet mit EU-Ländern statt. Unsere Länder leben von ihrer europäischen und internationalen Vernetzung. Darum muss unsere Politik stets Anwalt von Offenheit sein und darf nicht den Irrweg der Renationalisierung weisen.
Europa hat die Schlagbäume geöffnet, für die Bürgerinnen und Bürger genauso wie für Handel und Wirtschaft. Zuallererst ist Europa eine einzigartige Freiheitsidee.
Deutschland ist sehr an einer engen Anbindung der Schweiz an die EU interessiert. Unser Wunsch ist, dass die Schweiz möglichst stark in den Europäischen Binnenmarkt integriert ist. Wir hoffen daher, dass die Gespräche über institutionelle Fragen weiter gut vorankommen.
Europa steht am Scheideweg: Die Offenheit der Grenzen ist gefährdet. Die Einheit der Währung wird in Frage gestellt. Darauf muss Europa gemeinsam reagieren, Europa hat manchmal einen Preis, aber immer einen Wert.
Die Stabilität unserer Währung ist zuallererst in unserem nationalen, deutschen Interesse. Die Stabilität des Euro ist auch für Nicht-Euro-Länder entscheidend. Eine im Verhältnis zum Euro stark aufgewertete eigene Währung kann für exportorientierte Volkswirtschaften eine Belastung sein.
Im Interesse aller müssen wir eine neue Architektur für einen stabilen Euro aufbauen. Die Fehler der Vergangenheit müssen wir vermeiden und neues Vertrauen für die Zukunft schaffen. Was wir brauchen ist ein grundsätzliches Gesundungsprogramm für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Bei der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa orientieren wir uns nicht an den Schwächsten, sondern an den Besten. Eine gesetzliche Schuldenbremse beispielsweise, mit der auch die Schweiz gute Erfahrungen gemacht hat, kann eine sinnvolle Maßnahme sein. Wir helfen europäischen Nachbarn in Not. Aber europäische Solidarität gibt es nur gegen finanzpolitische Solidität.
Die Schweiz und Deutschland stehen gut da. Beide Volkswirtschaften können in der globalisierten Welt auch in Zukunft ganz vorne mit dabei sein, wenn wir "neue Potenziale entdecken, Chancen nutzen, um unseren Vorsprung zu sichern". Denn nichts ist so schnell weg wie Vorsprung. Dafür sorgen schon die anderen.