Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 19.10.2006

Untertitel: Rede von Bundesaußenminister Steinmeiervor dem Deutschen BundestagzumBeitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2006/061019-RumaenienBulgarien-Bundestag.html


anläßlich der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs zum Vertrag über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU )

Sehr geehrter Her Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

In Stunden wie diesen erinnern wir uns an die Vorbereitung der letzten großen Erweiterungsrunde 2004. Im Kern eine Osterweiterung der EU, endlich eine sichtbare Dividende aus der Liquidation des kalten Krieges - die baltischen Staaten, Polen, Slowakei, Tschechien, Slowenien, Ungarn waren Dokument der wiedergefundenen Einheit Europas. Feuerwerke und Festveranstaltungen waren während der Ratifikationsphase in Vorbereitung.

Und wachsende Euphorie war nicht nur in den Beitrittsstaaten, mit Näherrücken des Beitrittsdatums ( 01. 05. 2004 ) auch in der alten EU spürbar.

Wenig ist davon heute spürbar, wenn wir über den bevorstehenden Beitritt Bulgariens und Rumäniens reden. Selbst die EU-Außenminister beschlossen am 17. Oktober in ungewohnt trockener Sprache: "Der Rat nimmt zur Kenntnis, dass der laufende Prozess der Ratifizierung des Beitrittsvertrages weit gediehen ist, und freut sich darauf Bulgarien und Rumänien als Mitglieder der Europäischen Union begrüßen zu dürfen." Nun habe ich nichts gegen Nüchternheit, wie Sie wissen. Aber diese Sprache bettet sich ein in eine öffentliche Stimmung, die weder den historischen Ausgangspunkt der Beitritte Bulgariens und Rumäniens in Erinnerung hat, noch die Chancen einer solchen Erweiterung und erst recht nicht die Nachteile des anderen Wegs, dessen der Zurückweisung, für Europa.

Deshalb lassen Sie mich noch einmal in Erinnerung rufen: Bei dem großen Projekt der Wiederherstellung der europäischen Einheit waren Bulgarien und Rumänien nicht außerhalb unseres europäischen Bemühens. Von Anfang an gehörten sie zu jenen zentral- und osteuropäischen Ländern, die nicht nur - wie die anderen - durch den Eisernen Vorhang vom Rest Europas getrennt waren. Nein, deren Orientierung - wirtschaftlich und kulturell - fest auf Europa und die Europäischen Union gerichtet war. Und wir alle haben sie - nicht erst mit Eröffnung der Beitrittsverhandlungen - eingeladen, sich auf diesen Weg zu begeben - wohl wissend, dass der Weg für sie weiter sein würde als für Polen, Tschechien und andere.

Die historische Wiederherstellung der Einheit Europas als großes friedenssicherndes Projekt, aber auch die Wiederherstellung der kulturellen Verbindungen und die Schaffung des größten einheitlichen Wirtschaftsraums der Welt hieß das große Ziel, das der Fall der Mauer in Berlin und alle Folgeereignisse erst möglich gemacht haben. Diesen Prozess haben alle deutschen Bundesregierungen seit 1990 von Anfang an aktiv unterstützt. Natürlich auch, weil wir als Deutsche aus eigener Erfahrung wussten, was Teilung bedeutet.

Alle Regierungen haben deshalb zu ihrer Verantwortung gestanden, zur Überwindung der Teilung auch in Europa beizutragen.

Skepsis war auch in der Erweiterungsrunde 2004 zu überwinden. Aber heute können wir sagen: Nicht nur die Erweiterungsländer haben und hatten Vorteile vom Beitritt. Bei allen gewachsenen Schwierigkeiten im inneren Abstimmungprozess der EU ( deshalb brauchen wir die Verfassung ) : auch die alten Mitgliedsländer - auch Deutschland - profitierten davon.

Nicht nur, weil Deutschland erstmals in seiner Geschichte nur von Staaten umgeben ist, mit denen es freundschaftlich verbunden ist. Nein, auch weil handfeste politische und wirtschaftliche Vorteile sind sichtbar geworden sind. Wenn wir uns am Jahresende wieder darüber freuen, dass wir Exportweltmeister geworden sind, dann sollte uns bewusst sein, dass zwei Drittel unserer Exporte nicht nach Indien, China und USA gehen, sondern in die EU - und wachsend in die neuen Mitgliedsländer der EU. Die Schlangen deutscherLKWs in Richtung Polen und Tschechien belegen das täglich.

Wenn Bulgarien und Rumänien beitreten, so ist dies auch nicht nur ein weiterer Schritt zu mehr Sicherheit in der Region des östlichen Balkans und am Schwarzen Meer. Auch hier sind deutsche Unternehmen seit längerem dabei, sich diese neue Märkte zu erschließen. Der Beitritt sichert den rechtlichen Rahmen, der für die wirtschaftliche Aktivitäten erforderlich ist.

Bulgarien und Rumänien haben seit den Wendejahren 1989/90 große Anstrengungen unternommen, um ihr politisches System, ihre Wirtschaft und ihr Rechtssystem an die Standards der Europäischen Union anzupassen. Seit sie 1995 die Anträge auf Beitritt zur Europäischen Union stellten, haben beide Länder einen langen Weg zurückgelegt, der auch mit Entbehrungen und Rückschlägen verbunden war.

Wir alle haben am 26. September mit Spannung den letzten Monitoringbericht der Europäischen Kommission erwartet und deren Einschätzung, ob der Beitrittstermin zum 1. Januar 2007 aus Sicht der Kommission gehalten werden kann. Aus meiner Sicht hat die Kommission eine objektive und ehrliche Bestandsaufnahme vorgelegt.

Ich teile im Ergebnis die Einschätzung, dass die Fortschritte, die beide Länder im Reformprozess in den letzten 15 Jahren erreicht haben, es rechtfertigen, ihnen die Rechte, aber auch die Pflichten eines EU-Mitglieds zu übertragen.

Dennoch: Es ist kein Geheimnis und die Kommission spricht es in ihrem Bericht offen an - beide Länder haben noch Defizite. So ist in beiden Ländern der Aufbau einer unabhängigen, effizienten und transparenten Justiz noch nicht abgeschlossen. Die Bekämpfung der Korruption muss weiter verbessert werden. In Bulgarien haben die Verfolgung und Ahndung von Geldwäsche und organisierter Kriminalität noch zu wenig vorzeigbare Ergebnisse erzielt. Ich nenne die Defizite, weil es keinen Sinn hat, etwas schönzureden. Wir alle müssen wissen, worauf wir uns einlassen - und die entsprechenden Vorkehrungen treffen.

Ich begrüße deshalb ausdrücklich die von der Kommission angekündigten Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass der Reformprozess auch nach dem Beitritt weitergeht. So ist im besonders sensiblen Bereich Justiz und Inneres ein "Kooperations- und Überprüfungsmechanismus" vorgesehen, der Bulgarien und Rumänien auch nach dem 1. 1. 2007 konkrete Reformziele setzt. Dazu gehören Verfassungs- und Gesetzesänderungen und weitere Schritte im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität.

Und was das Entscheidende ist: Die Fortschritte beider Länder werden weiterhin überwacht. Die Kommission wird dazu regelmäßig berichten. Sollten Zielvorgaben nicht erreicht werden, wird die Kommission entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. So kann die EU-weite Anerkennung von Haftbefehlen und Strafurteilen beider Länder ausgesetzt werden. Die Auszahlung von Geldern aus den Agrar- und Strukturfonds wird gesperrt, wenn ihre Verwendung nicht ordnungsgemäß kontrolliert wird. In anderen Bereichen kann es Ausfuhrverbote und Beschränkungen des Binnenmarkts geben, wenn Defizite nicht beseitigt werden.

Meine Damen und Herren, ich halte den von der Europäischen Kommission aufgezeigten Weg für richtig.

Bisher haben 23 Mitgliedstaaten den Beitrittsvertrag ratifiziert. Dänemark und Deutschland fehlen noch. Im dänischen Parlament hat am 10. Oktober die erste Lesung bereits stattgefunden.

Lassen Sie uns auch in Deutschland das Unsrige dazu beitragen, dass die EU ihr historisches Versprechen gegenüber Bulgarien und Rumänien einlösen kann. Dazu hat die Bundesregierung am 5. April das Ratifikationsverfahren des Beitrittsvertrages eingeleitet. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.