Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 05.07.2011
Untertitel: Rede von Außenminister Westerwelle anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung des Goethe-Instituts in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident,sehr geehrter Herr Generalsekretär,sehr geehrter Herr Jaibi,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2011/110705_BM_60Jahre_Goethe.html
Exzellenzen,
letztes Jahr im April hat mich Volker Schlöndorff auf meine erste Reise nach Afrika begleitet. Gemeinsam haben wir das Goethe-Institut in Daressalam in Tansania offiziell eingeweiht. Das Goethe-Institut wird angenommen, weil es nicht die Vorstellungswelt einer Kulturbürokratie abbildet, sondern die Ideenwelt und die gesamte Vielfalt des deutschen Kulturlebens. Das Goethe-Institut ist erfolgreich, weil es gerade kein Ministerium für Repräsentation ist, sondern Freiräume schafft.
Im Goethe-Institut ist die Neugier echt. Das ist auch Ausdruck von Respekt.
Deutschland genießt über alle Kontinente hinweg Ansehen, weil wir unsere Partner, ob klein oder groß, ob direkt in unserer Nachbarschaft oder weit entfernt, mit Respekt behandeln. Mit diesem Respekt gegenüber all unseren Partnern haben wir uns das Vertrauen erworben, das heute Arbeitsgrundlage für unsere Außenpolitik ist.
In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat sich Deutschland dramatisch verändert. Nach dem völligen Kulturbruch der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie ist Deutschland wieder als Kulturnation anerkannt. Nach der Überwindung der europäischen Teilung konnten wir die durch Krieg und die Teilung Europas abgerissenen Bindungen zu den Ländern Mittel- und Osteuropas neu knüpfen. Dass Deutschland heute überall in der Welt geschätzt wird, ist ein Erfolg, der viele Väter und Mütter hat. Ohne den überragenden Beitrag des Goethe-Instituts wäre all das nicht gelungen.
Heute steht das Goethe-Institut gemeinsam mit der deutschen Diplomatie vor der Herausforderung einer neuen Standortbestimmung Deutschlands in der Globalisierung.
Der Aufbruch in Wirtschaft und Technik, der vor fünfzig Jahren noch klar im Westen verortet war, findet heute überall auf der Welt seine Fortsetzung. Mit der Kultur unseres Wirtschaftens ist aber nicht automatisch zugleich die Kultur unserer Werte verbunden.
Aufschwung und mehr Konsummöglichkeiten gibt es auch in Diktaturen. Echte Freiheit gibt es nur in der Demokratie. Auch Diktaturen können sich mit Wachstumszahlen schmücken. Die Kultur der Freiheit lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Sie ist die notwendige Geisteshaltung, damit der Mensch selbstbestimmtes Individuum sein kann.
Der Erfolg unserer Wirtschafts- und Sozialordnung ist untrennbar verbunden mit dem Erfolg der Wertordnung unseres Grundgesetzes.
Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung, effektiver Rechtsschutz vor unabhängigen Gerichten, eine dem Gemeinwohl verpflichtete mitmenschliche Verantwortung, freie Medien und eine freie und vielgestaltige Kultur, das sind die Grundlagen für den Erfolg unseres Landes.
Zu unserem Kulturdialog gehört der Dialog über den Begriff der Freiheit. Ein Mensch ist nicht schon deswegen frei, weil er nicht im Gefängnis sitzt. Wir sehen das an Ai Wei Wei, Aung San Suu Kyi und vielen anderen.
Wie frei ist, wer zwar überall ungehindert reden kann, aber in ständiger Unsicherheit lebt, wann er für ein falsches Wort ins Gefängnis geworfen wird? In vielen Ländern macht sich schon verdächtig, wer beim Pförtner eines Goethe-Instituts nur nach dem Weg fragt. Wie groß die Kraft von Ideen ist, lässt sich auch ablesen an dem immensen Aufwand, mit dem Autokratien Ideen zu unterdrücken versuchen.
Wenn ein Film wie "Das Leben der Anderen" einen Oscar erhält und dann über die Goethe-Institute in der gesamten Welt ungeschnitten verbreitet wird, sagt das viel über den aktuellen Zustand der deutschen Gesellschaft aus. Es ist ein Zustand, auf den man durchaus stolz sein kann. Denn für uns ist die kritische Reflexion über die eigene Geschichte Teil unseres kulturellen Identität. Das Goethe-Institut ist mit Recht stolz auf ein Kulturverständnis, das die Brüche in der Geschichte unseres Landes nicht verschweigt.
Mit der demographischen Entwicklung in Deutschland werden neue Aufgaben für das Goethe-Institut entstehen. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann wir auf Zuwanderung angewiesen sind, damit wir den Wohlstand unseres Landes halten können.
Das kreative Potenzial der Globalisierung findet sich auch, aber nicht nur bei uns. Das gilt für Kunst und Kultur, aber genauso für Ingenieure und Techniker, für Produktentwickler, Tüftler und Erfinder. Das alles sind Menschen, die wir neugierig machen wollen auf unser Land. Die Bedeutung der Auswärtigen Kulturpolitik wird im Wettbewerb um die hellen Köpfe noch zunehmen.
Fachkräfte, die wir brauchen, werden auch anderswo gebraucht. Und denen, die wir wollen, stehen auch anderswo die Türen weit offen. Vor einigen Jahren kamen trotz neuer Green-Card nur wenige indische Ingenieure nach Deutschland. Die Hürden waren zu groß, das Angebot nicht attraktiv genug.
Die Lehre ist eindeutig. Wir müssen neugierig machen auf Deutschland. Wir müssen für Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen anziehend werden. Wer zu uns kommt, muss darauf vertrauen können, dass er und seine Familie sich in unserer Gesellschaft wohl fühlen kann. Nur derjenige nimmt die Mühe auf sich, deutsch zu lernen, der auch die Chance sieht, im Kontakt mit Deutschland seinem Leben eine positive Wendung zu geben.
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist natürlich viel mehr als Standortwerbung. Und die Anziehungskraft einer Gesellschaft entsteht in der Gesellschaft selbst, man kann sie nicht künstlich herbeireden und schon gar nicht obrigkeitsstaatlich verordnen. Aber es ist unbestreitbar, dass ein echtes und gewachsenes Kulturleben enorm wichtig ist für die Attraktivität einer Gesellschaft. Musiker, Schriftsteller, Maler kommen mit Freude nach Berlin. Weil Berlin vieles von dem verkörpert, wie Deutschland ist und auch sein will. Ein Land, in dem sich ganz unterschiedliche Lebensmodelle verwirklichen lassen.
Um die Globalisierung politisch zu gestalten, muss man alte Freundschaften pflegen und neue Partnerschaften begründen. Gerade in Zeiten, in denen Misstöne und vielleicht sogar Misstrauen in die Beziehungen zwischen europäischen Partnern geraten, brauchen wir neben Botschaften und Konsulaten die Goethe-Institute in Europa und für Europa. Denn eine europäische Identität ist kein Gegensatz zu einer deutschen oder einer italienischen oder polnischen Identität, sondern eine notwendige Ergänzung.
Alte Freundschaften und neue Partnerschaften stehen auch im Zentrum unseres Dialogs mit dem Islam. Auch für islamisch geprägte Gesellschaften gilt, dass sie ihren eigenen Weg in die Moderne finden müssen. Es gibt keinen strukturellen Gegensatz zwischen Islam und Demokratie. Eine aufgeklärte islamische Gesellschaft wird nicht auf Glaubensinhalte verzichten wollen. Aber die Menschen wollen eben auch nicht auf Rechtsstaat und Demokratie verzichten.
Ohne die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wäre Deutschland im arabischen Frühling kaum die Sympathie und die Anerkennung entgegengebracht worden, die ich in Tunis und Kairo erlebt habe.
Vor wenigen Monaten galt der spontane Jubel auf dem Tahrir-Platz nicht vor allem dem deutschen Außenminister als Person. Aus dem Jubel sprachen Hoffnung und Vertrauen in langfristige Unterstützung und Partnerschaft durch Deutschland. Und wo hat das ganze seinen Ausdruck gefunden? Unter anderem in der Goethe-Lounge direkt am Tahrir-Platz.
Dort entstehen unter dem Namen Goethe neue Ideen für eine bessere und demokratische Zukunft für die Ägypterinnen und Ägypter.
Der Aufbruch in Teilen der arabischen Welt ist auch eine Chance für uns Europäer. Der Neuanfang muss auch im Kulturaustausch spürbar werden, damit er erfolgreich ist. Unverständnis für die Kultur des Gegenübers birgt die Gefahr von Missverständnissen. Das kann ganz schnell gehen. Schon wenn man gleiche Begriffe nutzt, aber Unterschiedliches meint. Die Begriffe "Wahlen" und "Freiheit" haben heute in Ägypten einen anderen Klang als zu Zeiten Präsident Mubaraks.
Und die größten Missverständnisse entstehen, wenn man den kulturellen Kontext verkennt und deshalb nicht versteht, warum andere die Dinge anders machen, als wir sie machen würden. Hier liegt eine große Vermittlungs-Aufgabe und Vermittlungs-Chance für das Goethe-Institut.
Damit die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auch in Zukunft erfolgreich sein kann, muss sie sich in Strukturen und Instrumenten an die Realitäten des 21. Jahrhunderts anpassen. Die Veränderungen der Welt erfordern von der deutschen Außenpolitik einen Prozess ständiger Erneuerung. Das gilt für die klassische Außenpolitik im Auswärtigen Amt genauso wie für die Kulturaußenpolitik. Klar ist, dass unsere internationale Präsenz den Zielen unserer Außenpolitik folgen muss, nicht umgekehrt. Nur mit Ideenreichtum können wir neue Aufgaben erfüllen, die wir realistischerweise ohne zusätzliche Mittel leisten müssen. Globale Veränderungsprozesse erfordern im Auswärtigen Amt wie im Goethe-Institut neue Ideen und neue Konzepte. Das hinterlässt inhaltliche und strukturelle Spuren.
In der Vergangenheit hat das Goethe-Institut immer wieder bewiesen, wie flexibel es auf politische Entwicklung reagieren kann. Das Goethe-Institut hat politischen Instinkt. Und das brauchen wir. Offene Gesellschaften, freiheitliche Demokratien entstehen nicht über Nacht. Aber mit wachsendem Wohlstand entstehen vor allem in Schwellenländern neue Mittelschichten, die mehr politische Partizipation zuerst im eigenen Land, bald auch mehr politisches und kulturelles Gewicht auf globaler Ebene beanspruchen werden.
Langgepflegte Grenzen zwischen Politik, Wirtschaft und Kultur als drei abgegrenzter Säulen der Außenpolitik verwischen. Die Vorbereitung des Deutschland-Jahres in Brasilien findet zum Beispiel in enger Partnerschaft des Goethe-Instituts mit dem Brazil Board des Bundesverbands der Deutschen Industrie statt. Alte Feindbilder schwinden. Das ist gut, wir brauchen eine neue Verflechtung im Auftritt nach außen. Denn Wirtschaft und Kultur sind auch politisch, und Politik ist kulturell bedingt und ohne wirtschaftliches Fundament undenkbar. Ich freue mich sehr auf die weitere Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und gratuliere zu 60 Jahren erfolgreicher Arbeit für unser Land.