Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 08.09.2011
Untertitel: Rede Außenminister Guido Westerwelles zur Vorstellung der Neukonzeption der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
Anrede: Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2011/110908_BM_Kulturpolitik.html
Exzellenzen,
ich möchte mich zunächst einmal dafür bedanken, dass Sie heute über die Arbeit der Auslandsschulen gesprochen und sich über unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ausgetauscht haben. Ich heiße Sie alle recht herzlich willkommen und verbinde diesen Gruß vor allem mit einem herzlichen Dank, auch im Namen der Bundesregierung, an all diejenigen, die weltweit unterwegs sind. Ich denke, es ist keine Amtsanmaßung, wenn ich dies auch im Namen aller anwesenden Abgeordneten des Deutschen Bundestages formuliere: Ich möchte mich herzlich bedanken für Ihre Arbeit. Es ist genauso, wie es eben bei der Einführung auch gesagt worden ist: Sie sind für das Bild unseres Landes von ganz herausragender Bedeutung. Ihre Arbeit wird sehr geschätzt. Das möchte ich vorab zunächst einmal zum Ausdruck bringen. Mein herzliches Dankeschön an Sie.
Bildung ist ein erklärter Schwerpunkt der Bundesregierung. Und dieser Schwerpunkt der Bundesregierung drückt sich nicht nur in Haushaltszahlen aus, sondern er drückt sich auch darin aus, dass wir der Bildung Nachdruck und Gewicht verleihen, im Inland wie im Ausland. National wie international ist dies für uns die Schlüsselfrage überhaupt. Ich glaube, dass in Zeiten der Globalisierung jeder von uns erkennt: In Zeiten, in denen neue Kraftzentren in der Welt sich auf den Weg machen, in die erste Liga aufzusteigen, muss ein Land wie Deutschland, das ja über keine nennenswerten Rohstoffe verfügt, vor allen Dingen einen Rohstoff fördern, und das ist Bildung. Der Rohstoff der Deutschen ist nicht unter unseren Füßen, er sitzt zwischen unseren Ohren. Und deswegen ist es unsere Aufgabe, diesen Rohstoff der Deutschen nicht nur im eigenen Land zu pflegen, sondern auch weltweit dafür zu sorgen, dass Bildung und Ausbildung, dass Forschung und Wissenschaft entsprechend gefördert werden und Chancen haben. Es ist also nicht nur Schöngeisterei, die uns zusammenführt und das allein wäre für einen musischen Menschen, zu denen ich mich zähle, schon etwas Wunderbares. Sondern es ist sehr wohl auch in unmittelbarem, ursprünglichstem Nutzen unseres eigenen Landes. Natürlich ist Bildung mehr als Broterwerb. Natürlich ist Bildung weit mehr als die Grundlage einer guten Volkswirtschaft. Bildung ist auch Selbstzweck. Bildung, und gerade kulturelle Vielfalt, beflügelt den Menschen, macht ihn in meinen Augen erst zu der Persönlichkeit, die wir gerade herausbilden wollen. Der Nutzen von Bildung, von Wissenschaft und von Ausbildung darf nicht unterschätzt werden. Keine Regierung vor uns hat mehr Geld in Bildung, Ausbildung und Forschung investiert. Und das in Zeiten knapper Kassen, in Zeiten, in denen überall haushaltspolitische Solidität nicht nur eingefordert, sondern auch durchgesetzt werden muss. Ich denke, das ist bemerkenswert. Sie können daran erkennen, dass wir das Thema Bildung eben nicht nur auf den Lippen führen, sondern dass wir auch nach besten Kräften versuchen, es praktisch in Politik umzusetzen.
Bildung ist eine persönliche Aufstiegsfrage für jeden Einzelnen. Ich selbst habe das auf meinem eigenen Lebensweg erleben dürfen. Ich selbst war erst auf einer Realschule und bin dann später nach der Mittleren Reife aufs Gymnasium gegangen. Das war in den Siebziger Jahren keine Selbstverständlichkeit. Sie wissen, dass Bildung als Bürgerrecht damals gerade erst frisch erfunden wurde. Und für mich ist dieses ein entscheidendes, prägendes Erlebnis gewesen, dass eben Bildung der Schlüssel zu vielem ist, sogar zu dem allermeisten in meinem eigenen Leben. Und heute kann ich mit bald 50 Jahren sagen, rückblickend auch für nahezu alle meine Freunde aus meiner damaligen Schulzeit: Die wichtigste Ressource in Zeiten der Globalisierung ist Bildung. Und insofern ist dann auch die Globalisierung etwas sehr Gerechtes. Denn der Aufstieg und die Chancen eines Landes bemessen sich immer weniger danach, ob man dort zufällig Rohstoffe und Ablagerungen aus den Urzeiten der Erdentstehung finden kann, sondern mehr und mehr wird es jetzt in unsere eigenen Hände gelegt, als Nationen etwas aus uns zu machen. Geologische Gegebenheiten verlieren an Bedeutung. Sie sind immer noch wichtig, ohne Frage, aber die eigentliche Entwicklungschance haben wir mehr und mehr in unseren Händen. Nämlich Bildung und das, was wir daraus machen können.
Bildung ist ein Teil der Kultur. Und Kunst und Kultur spiegeln den Stand einer Gesellschaft wider, Kunst und Kultur gehen hier regelmäßig geradezu voran. Ich glaube sogar, dass Kunst und Kultur die Entwicklung einer Gesellschaft antreiben. Es gibt Untersuchungen darüber, dass angeblich mehr Arbeitsplätze in der Kultur, in der sogenannten Kulturwirtschaft, angesiedelt sind, als in der Automobilwirtschaft. Und wenn man das sagt, dann erfährt man natürlich von denen, die in diesem anderen Industriesektor unterwegs sind, sofort heftigen Widerspruch. Und deswegen lasse ich das hier, obwohl ich es schon genieße, es zu sagen.
man muss dies einmal sagen dürfen als jemand, der nicht erst neuerdings in diesem Amt ein besonderes Herz für Kunst und Kultur entdeckt. Ich sammle selber auch, wie der eine oder andere weiß, seit 30 Jahren Kunst, bildende Kunst. Das ist natürlich ein Genuss, auch wenn das immer als ein etwas orchideenhaftes Anliegen betrachtet wird. Ich glaube persönlich, dass Kunst und Kultur eben nicht nur schmückendes Beiwerk einer Gesellschaft sind. Für mich persönlich machen Kunst und Kultur die Lebensqualität eines Landes ganz entscheidend aus. Ich weiß, dass ich hier Verbündete dafür finde.
Wie Regierungen mit Künstlern und Intellektuellen umgehen, ist immer auch ein Gradmesser für Demokratie und Menschenrechte. Ich habe dies anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Peking öffentlich sehr nachdrücklich formuliert und, glaube ich, auch so entschieden formuliert, dass es zu der einen oder anderen nüchternen Reaktion geführt hat. Aber meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibt dabei: Kunst und Kultur ausschließlich im Dienste der Macht ist nicht Kunst und Kultur, sondern Propaganda. Und deswegen kann man an Kunst und Kultur auch erkennen, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Dass Kultur und Bildung keine Nischenthemen sind, sondern für die Außenpolitik im Mittelpunkt stehen, das erkennen Sie vor allem an einer Persönlichkeit, nämlich an Cornelia Pieper, mit der ich nicht nur persönlich seit vielen Jahren befreundet bin und mit der ich einen gemeinsamen langen Weg, auch in der Kunst und Kultur- und Bildungspolitik gegangen bin. Sie erkennen es daran, dass sich mit Cornelia Pieper seit Langem wieder eine Staatsministerin dem erklärten Schwerpunkt der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik widmet. Das drückt sich auch in Zahlen aus: Ein Viertel des Haushaltes des Auswärtigen Amtes investieren wir in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Und ich weiß, dass über alle Grenzen hinweg alle Abgeordneten, die hier sitzen, fest an meiner Seite stehen, wenn es darum geht, dass diese Zahlen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sich auch in Zukunft so günstig und so positiv entwickeln, wie das dieses Jahr der Fall gewesen ist. In Anbetracht der Tatsache, dass gerade die Haushaltswoche des Deutschen Bundestages läuft, können Sie sich lebhaft vorstellen, wie ich darauf komme. Wenn ich die Gelegenheit habe, aus allen Fraktionen Abgeordnete hier zu haben, müsste ich ja töricht sein, dieses Anliegen zu unterschlagen. Ich weiß, es gibt viele hier, die mit mir in gleicher Richtung denken und dies auch sagen werden. Es gibt nämlich ein ganz seltsames Wort in Deutschland: Da spricht man von Kultursubventionen. In meinen Augen ist das ein geradezu absurdes Wort, was wirklich nur von ganz oberflächlichen Leuten verwendet werden kann. Seit wann subventioniert man Geist? In Geist investiert man. Und schon die Begrifflichkeit sagt etwas über die Wertigkeit dieses Anliegens aus.
Deutschland genießt international einen hervorragenden Ruf, und auf Deutschlands guten Ruf können wir mit unserem Angebot in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aufbauen. Über die inzwischen 1.500 Schulen im Partnerschulnetzwerk, über 150 Goethe-Institute und die jährlich über 40.000 geförderten ausländischen Studierenden erreichen wir hunderttausende überwiegend junger Menschen in aller Welt. Wir zielen mit unserer Politik nicht auf einige wenige, sondern auf die breite Mitte der Gesellschaft. Wir bauen Vertrauen auf und schaffen tragfähige Netzwerke. Für Deutschland, das als Exportnation von seiner internationalen Vernetzung lebt, entsteht so wertvolles Kapital.
Dabei gehen wir nicht von einem einschränkenden Kulturbegriff aus, sondern wir vertreten den weiten Kulturbegriff einer Kulturnation. Und was macht eine Kulturnation aus? Bei allem Respekt, nicht eine Leitkultur, der sich alle anderen anzuschließen und unterzuordnen hätten. Eine Kulturnation, wie wir es sind, besteht aus ihrer kulturellen Vielfalt. Es ist die Vielfalt der Kulturen, der geschmacklichen Richtungen, der Kunst, die uns als Kulturnation in der ganzen Welt empfiehlt. Kulturnation Deutschland heißt kulturelle Vielfalt. Wir sehen die Politik nicht an als Zensor von Geschmacks- und Kunstrichtungen. Gute Kulturpolitik zensiert nicht Kunst oder Kultur. Gute Kulturpolitik öffnet Raum dafür, dass kulturelle Vielfalt wirklich entstehen kann. Das gilt national, das gilt auch international. Und wenn man sich in der Kunst ein wenig umsieht, kann man erkennen, dass diese Erweiterung des Kulturbegriffes, sich also ein wenig zu entfernen von dem elitären Kulturbegriff, in der Geschichte immer wieder möglich gewesen ist. Verdi, die italienischen Opern, die viele von uns, ich ganz besonders, gerne hören, das waren Opern, die zum Mitsingen geschrieben waren. Sie können ja heute mal in einer Oper mitsingen, dann haben Sie eine Vorstellung davon, wie in der heutigen Hochkultur über die damalige Populärkultur gedacht wird. Oder nehmen Sie Hermann Hesse, ein Autor, der in seiner Zeit als trivial eingeordnet worden ist. Oder nehmen Sie die Beatles. ( ... )
Ich denke, dass wir als Exportnation ein großes Interesse an unserer Internationalität haben und die Kulturprogramme können ihre Wirkung nur entfalten mit einer Visapolitik, die es den Menschen, die wir für Deutschland begeistern, auch ermöglicht, zu uns zu kommen. Ich glaube, dass wir uns in den letzten Jahren bei der Visapolitik zu prohibitiv aufgestellt haben. Ich habe ein Gespräch mit jungen Schülern in Indien geführt. Für mich ist es eindrucksvoll gewesen, wie sie einen in ihrem zauberhaften Deutsch angesprochen haben und von ihren Träumen erzählten, davon wie sie an der Schule die Sprache lernen und dass sie natürlich auch eines Tages nach Deutschland kommen möchten. Und dann berichteten sie mir von den Schwierigkeiten, die ihnen gemacht werden. Ich sehe hier viele nicken, weil sie genau wissen, worüber ich rede. Ich glaube, ein Land wie Deutschland, das von der internationalen Vernetzung lebt, hat ein fundamentales Interesse daran, dass wir die Jugend, die Intelligenz und natürlich auch den Erfolg der Welt zu uns einladen, damit sie unsere Kultur nicht nur von außen, sondern auch von innen kennenlernen.
Dafür haben wir in den letzten zwei Jahren viel getan, viele praktische Maßnahmen im Bereich der Visaerteilung, um sie zu vereinfachen und zu beschleunigen. Ein Dankeschön an die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die damit befasst gewesen sind. Wir müssen die Lehren aus den Erfahrungen mit dem Nutzen und den Kosten unserer Visaverfahren ziehen. Da muss vieles noch besprochen werden. Es geht gar nicht so sehr um große Politik. Oftmals geht es ganz einfach um ganz praktische Anliegen. Als ich frisch ins Amt kam, musste ich erstmal lernen, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr - der eigentlich ja weltweit so einigermaßen auf dem Vormarsch ist - nur bei uns bei der Entgegennahme von Visaanträgen noch nicht möglich war. Da musste man abgezählt bar in Landeswährung bezahlen. Das sind so viele Fragen: dass ausgelagert wird, dass nicht mehr eine Tagesreise notwendig ist in vielen Ländern. Das hört sich für Mitteleuropa etwas skurril an, aber in vielen Ländern, die vier- , fünf- , zehnmal so groß sind wie Deutschland und die einen Bruchteil unserer Bevölkerungsdichte haben, ist das von großer Bedeutung. So praktisch ist Politik gelegentlich. Und es ist unsere Aufgabe, dass wir den Menschen in der Praxis helfen.
Wir legen heute eine Konzeption für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik vor. Wir halten dabei an Bewährtem fest, beispielsweise an unserem weiten Kulturbegriff. Mit Blick auf unsere kulturellen Auslandsrepräsentanzen, auch strukturell, beispielsweise im Auslandsschulwesen, werden wir Veränderungen vornehmen. Cornelia Pieper hat dazu ja heute Nachmittag schon gesprochen. Wir müssen die Welt wahrnehmen wie sie ist und nicht wie sie war. Für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gilt das in ganz besonderer Weise, weil sie nah dran ist an den Menschen. Nur so kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik die Ziele deutscher Außenpolitik unterstützen. Und die Ziele deutscher Außenpolitik haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes in der Präambel festgeschrieben für alle Zeiten. Dort heißt es, Deutschland soll in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen. Dieser Kompass bestimmt den Kurs unseres Landes. Es geht also darum 1. Europa zu stärken und 2. den Frieden in der Welt zu sichern.
die Europäische Union ist das Fundament deutscher Außenpolitik. In Zeiten, in denen manche Europa leichtfertig in die Kritik ziehen, braucht Europa starke Fürsprecher und gute Freunde. Ich glaube, wenn wir die Europäische Union nicht hätten, gerade in diesen Zeiten, wir müssten sie dringend erfinden. Und zwar nicht nur als eine Antwort auf die schrecklichen Bruderkriege auf unserem Kontinent und die dunkelsten Kapitel, die wir Deutsche leider in der Geschichte eröffnet haben. Sondern auch als Antwort unseres Kontinents auf die Globalisierung, auf die Herausforderungen unserer neuen Zeit. Europa ist unsere Zukunftsgewinnung und Deutschland bleibt Motor der europäischen Integration. Das ist nicht Einheitsbrei, das ist nicht Abschied von patriotischen Gefühlen. Das ist auch nicht Abschied von Vielfalt, sondern das ist die schlichte Erkenntnis, dass es ein europäisches Lebensgefühl gibt, das sich ausdrückt. Es ist ein Lebensgefühl, dass sich nicht verstecken muss hinter dem Lebensgefühl anderer großer Gesellschaften, dem amerikanischen Lebensgefühl oder anderen Lebensgefühlen. Sondern es ist ein Lebensgefühl, bei dem man weiß: In Europa kann man, wenn man sich anstrengt, nicht nur erfolgreich etwas aus seinem Leben machen, sondern man hat auch gleichzeitig Bürgerrechte, Verbraucherrechte. Man lebt hier in einer Welt der Toleranz, wie man sie sonst nur selten findet. Man erlebt eine Gleichberechtigung auch zwischen den Geschlechtern oder verschiedenen Religionen, wie wir sie doch alle so sehr schätzen und auch als Werte an andere Stellen der Welt bringen möchten. Und natürlich kann man auch in Lateinamerika erfolgreich sein und gute Geschäfte machen, aber die Sicherheit, das Gefühl, bei uns einigermaßen behütet und geschützt leben zu können, das ist eben auch Europa. Und natürlich kann man auch in China gute Geschäfte machen, aber in sauberer Luft leben zu können, mit ökologischen und sozialen Standards, das ist eben auch Europa. Und deswegen denke ich, es ist an der Zeit, dass wir Europa nicht nur reduzieren auf einige fiskalische Fragen, sondern, dass wir als Europäer begreifen: Es gibt auch ein europäisches Lebensgefühl und das sollten wir meiner Meinung nach auch zu einem Gegenstand unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik machen.
Und darum möchte ich unterstreichen: Europa ist nicht Westeuropa. Es heißt Europäische Union und nicht Westeuropäische Union. Und bevor jetzt wieder einige schreien, ich sei gerade mal wieder dabei, Deutschland aus dem Bündnis herauszuführen und ähnlichen Unfug, will ich Ihnen nur sagen, es ist einfach das Ergebnis unserer Geschichte. Für mich war die deutsche Wiedervereinigung immer auch die europäische Wiedervereinigung. Und für mich ist Warschau Europa. Und für mich ist Prag Europa, oder Pressburg, oder Budapest. Meine Damen und Herren, das ist alles auch Europa. Und deswegen ist es wichtig, dass sich unsere Blickrichtung in dem Europa der letzten
20 Jahre mehr und mehr auch gesamteuropäisch orientiert. Europa ist natürlich unsere westliche Partnerschaft, natürlich die transatlantische Bindung. Aber Europa in unseren Zeiten heißt eben auch, den Blick fest nach Osteuropa zu richten. Und diejenigen, die aus der früheren DDR kommen, die aus dem östlichen Teil unseres Vaterlandes stammen, die wissen ganz genau, worüber ich rede. Zum Beispiel bei der Nachbarschaft zu Polen. Ich bin jemand, der als Rheinländer die Liebe zu Frankreich mit in die Wiege gelegt bekommen hat. Und trotzdem empfehle ich es uns, dass wir unbedingt auch eine solche innere Zuneigung und intensive Vernetzung mit Polen schaffen, um einen weiteren wichtigen Nachbarn unseres Landes zu nennen. Es ist eben nicht mehr das geteilte Deutschland von 1989, es ist das Deutschland der innereuropäischen Wiedervereinigung. Deswegen beleben wir das Weimarer Dreieck. Deswegen versuchen wir, nicht nur an die Länder südlich des Mittelmeers zu denken, sondern z. B. auch die östliche Nachbarschaft zu berücksichtigen. Und wer zu Recht über die Verletzung von Menschenrechten in der Arabischen Welt redet und sie kritisiert, der sollte mindestens so oft auch darüber reden, dass in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, mitten in Europa, in Belarus Menschen unterdrückt werden, weil sie nichts anderes tun als schweigend auf die Straße zu gehen. Sie demonstrieren nicht einmal, sie schweigen für ihre Freiheit und kommen dafür schon ins Gefängnis. Ich finde, das gehört auch in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.
Wir leben jetzt in einem wiedervereinigten Europa. In Frankreich und Italien gibt es je sieben Goethe-Institute und ich weiß, dass sie Großartiges leisten. In Polen gibt es aber nur zwei und in der Tschechischen Republik sogar nur eines. In Südwesteuropa sind 250 amtlich vermittelte Auslandslehrer an deutschen Auslandsschulen tätig, aber in Mittelost- und Osteuropa nur 57. Ich will nicht irgendwo etwas wegnehmen, ich will nur diese Schieflagen beseitigen. Ich möchte, dass wir das in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellen. Ich weiß, dass es gelegentlich als kleinbürgerlich empfunden wird, wenn man das als Außenminister sagt. Ich habe aber überhaupt kein Problem damit, dass ich mich darüber freue, wenn ich wie vor kurzem in Bratislava mit meinem Außenministerkollegen die Integration einer deutschen Schule in das Schulsystem des Gastlandes feiern darf. Natürlich freue ich mich darüber, wenn man dabei mit Kindern unterschiedlicher Nationalität redet und auf Deutsch begrüßt wird. Warum genieren wir uns eigentlich für die eigene Sprache? Ich finde man muss sich nicht dafür schämen zu sagen, dass wir wollen, dass in Europa Deutsch, die Sprache von Goethe und Schiller, nicht verloren gehen sollte. Wenn ich mit meinem französischen Amtskollegen über die Frage spreche, dass wir wollen, dass unsere eigene Sprache in Europa gelernt wird, sagt der: "Ja klar!". Nur bei uns muss man das erklären und gilt dann schon als gesteigerter Nationalist oder als "in der Schule nicht aufgepasst". Nein, das ist für mich auch eine wichtige Frage, also die Vermittlung unserer Sprache, sie gehört mitten hinein.
Friedenspolitik, das zweite Fundament der deutschen Außenpolitik, ist mehr als unser tatkräftiger Einsatz für Abrüstung. Es geht hier vielmehr auch um das Angehen von neuen Herausforderungen - die weltweite Verknappung natürlicher Ressourcen, steigende Nahrungsmittelpreise, die Veränderung des Klimas die ebenfalls den Frieden in der Welt bedrohen. Diese Ziele zu erreichen, beim Klima und beim Umweltschutz, das ist auch Teil unserer Außenpolitik, das ist auch Teil des Fortschritts und deswegen fördert das Auswärtige Amt beispielsweise Exzellenzzentren für Meereswissenschaften in Kolumbien oder unterstützt Spitzenforschung an fünf Universitäten in Afrika mit dieser Ausrichtung. Es ist auch Konfliktprävention, die sich hiermit zum Ausdruck bringt. Diejenigen unter uns, die außerhalb Europas unterwegs sind, wissen, was solche Herausforderungen an Destabilisierungen und damit auch an Kriegsgefahr in diese Länder bedeuten. Wir kümmern uns insbesondere um die berufliche Ausbildung. Mit der dualen Ausbildung hat Deutschland ein international begehrtes Erfolgsmodell anzubieten. Ich bin hier in einem Kreise, in dem wahrscheinlich 99 Prozent einen akademischen Hintergrund haben. Ich habe auch studiert und bislang ist noch nichts aberkannt worden. Aber wenn ich in der Welt unterwegs bin, dann werde ich immer und immer wieder angesprochen, nicht nur auf die allerbesten Universitäten in Deutschland, nicht nur auf die Schulen, sondern vor allem auch auf die duale Ausbildung. Unsere duale Berufsausbildung ist ein Schatz, mit dem wir heute auf der ganzen Welt gefragt sind.
natürlich geht es um unsere Werte, es geht um die Demokratieförderung, um den interkulturellen Dialog, den wir unterstützen, in Afghanistan oder in der Transformationspartnerschaft mit Nordafrika. Der Instrumentenkasten der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik schafft maßgeschneiderte Angebote beim Institutionenaufbau, der Bildungskooperation sowie beim Aufbau unabhängiger Medien. All das gehört dazu. Wir erleben eine Globalisierung von Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, wie sie nur wenige für möglich gehalten haben. Das, was so frech als unausweichliches Ergebnis unserer Zeit voraus gesagt worden ist, nämlich ein Kampf der Kulturen, das könnte in diesen Tagen widerlegt werden. Es ist deshalb auch unsere Verantwortung, unsere Aufgabe. Nicht nur aus eigenem Interesse, weil es um unsere Nachbarstaaten geht, nicht nur weil es darum geht, Flüchtlingsströme rechtzeitig zu verhindern, indem man für bessere Bedingungen in den Ländern sorgt. Sondern weil es in Wahrheit auch werteorientierte Außenpolitik ist. Wir haben ein Interesse daran, dass sich unsere deutschen und europäischen Werte der Aufklärung vermitteln: Freiheit, Vielfalt, Demokratie, Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit. Und deswegen haben wir das Projekt der Transformationspartnerschaft begonnen, mit jeweils
50 Millionen Euro 2012 und 2013. Ich möchte hier übrigens auch noch mit großem Nachdruck unterstreichen, dass je 20 Millionen Euro davon in Programme der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik fließen. Das sagt etwas aus und ich will den Abgeordneten, an die ich mich eben ironisch schon mit der Bitte um Unterstützung gewandt habe, noch einmal herzlich und mit großem Nachdruck dafür danken, dass sie das tun. Ich kann Ihnen, die Sie vielleicht nicht unmittelbar mit Haushaltsberatungen beschäftigt sind, nur sagen, dass es auch für einen Abgeordneten nicht immer leicht ist, die Mittel für Kultur- und Bildungspolitik durchzusetzen. Und dass die Abgeordneten in so großer Zahl hier sind, das erfüllt mich mit großer Freude und das zeigt eben auch, dass wir weder im Parlament noch in der Gesellschaft alleine sind. Ein herzliches Dankeschön für diese Extramittel, die sie zur Verfügung stellen, meine Damen und Herren.
Hochschulpartnerschaften, Stipendien, all das eröffnet jungen Menschen Chancen, und diesen Weg gehen wir weiter. All das betten wir ein in die europäische Partnerschaft, und selbstverständlich ist die transatlantische Brücke unverändert unser Fundament. Wir pflegen unsere alten Freundschaften und Partnerschaften. ( ... )
Aber der Westen führt eben längst nicht mehr alleine den Taktstock der internationalen Politik. Wir würden einen schweren Fehler machen, wenn wir neben der Aufgabe, alte Freundschaften zu pflegen, nicht auch rechtzeitig beginnen würden, neue Partnerschaften und Freundschaften zu beginnen. Die Welt ist in einem Wandel, und die Welt wird sich in den nächsten zehn Jahren noch einmal so fundamental ändern, wie sie sich seit der Deutschen Einheit in den letzten 20 Jahren verändert hat.
Die Länder, die Schwellenländer geworden sind, haben sich auf den Weg gemacht. Es ist keine Frage, dass sie nicht nur wirtschaftliche Schwergewichte sein wollen, sondern auch politische, geistige, kulturelle Zentren der Welt sein wollen. Und sie werden diesen Anspruch nicht nur vertreten, sondern sie werden ihn auch mehr und mehr in internationalen [Gremien und] Formaten durchsetzen. Das sind nicht nur die berühmten "BRICS-Staaten", Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, sondern es sind auch längst andere Staaten in der zweiten Reihe, über die wir reden müssen. Auch das ist ein Schwerpunkt unserer Kultur- und Bildungspolitik: zu begreifen, was Neues kommt. Vietnam, Kolumbien, Mexiko, um einige Beispiele zu nennen, sind Länder im Aufbruch, die sich längst auf den Weg gemacht haben. Und so wie es kaum einer in meiner Jugend für möglich gehalten hat, dass die Entwicklungsländer meiner Schul- und Studentenzeit heute auf gleicher Augenhöhe bei G20 mit uns am internationalen Tisch sitzen, so sage ich Ihnen, gibt es viele, die es nicht für möglich halten, dass diese Länder, die Türkei und andere, weltweit auf gleicher Augenhöhe mit uns regieren werden und auch global-politische Ansprüche daraus ableiten werden. Das zu spät zu erkennen, wäre ein schwerer Fehler für die deutsche Politik. Freundschaften muss man rechtzeitig begründen. Mit den Freundschaften zwischen Ländern ist es nämlich wie mit Freundschaften zwischen Menschen. Die Freundschaften, die man früh in der Jugend findet, halten am längsten. Deswegen haben wir ein Interesse daran, dass wir jetzt dabei sind und nicht darauf warten, dass andere uns überholen. Diese Diskussion muss in Deutschland geführt werden. Das ist kein Abschied von den Werten, das ist die Öffnung gegenüber neuen Realitäten. Und das ist vor allen Dingen vorausschauende Außenpolitik. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dringend diese Länder als Partner auf gleicher Augenhöhe betrachten müssen. Ein "von oben herab" zu diesen Ländern wird sich keiner gefallen lassen und das ist auch völlig richtig so. Gleiche Augenhöhe, das ist immer das Prinzip deutscher Außenpolitik und deutscher Außenwirtschaftspolitik gewesen. Wir gehen in Länder rein und investieren. Aber dann gehen wir nicht wieder raus und lassen leere Gebäude zurück, sondern wir begründen Partnerschaften, lang anhaltende, nachhaltige Partnerschaften in der Kulturpolitik, in der Kooperation, bei der Wirtschaft und damit vermitteln wir auch soziale Standards, Wertestandards, ökologische Standards. Das ist unsere Aufgabe und das verstehe ich unter einer umfassenden Außenpolitik, zu der auch gerade die Bildungspolitik und die Kulturpolitik zählt.
Wir unterstützen 56 Schulen und Partner alleine in Indien, um ein Beispiel zu nennen. Wir haben dort 1000 Schulen, die jetzt begonnen haben, Deutsch anzubieten. 15 Millionen Menschen weltweit lernen gegenwärtig Deutsch als Fremdsprache. Die neue Unübersichtlichkeit der Welt darf uns nicht dazu verleiten, uns auf bekanntes nationales Terrain zurückzuziehen. Lassen Sie uns vielmehr diese neue Unübersichtlichkeit der Welt zum Anlass nehmen, das Neue, das Kommende mit einem offenen Geist und mit offenem Herzen anzugehen. Das ist der Kurs unserer Neukonzeption der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, und dazu lade ich Sie alle ein, bei der Umsetzung mitzuwirken. Das betrifft das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und ausdrücklich natürlich auch die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages, insbesondere den Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Cornelia Pieper und mich werden Sie bei der Umsetzung dieser Konzeption, bei der Priorität für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an Ihrer Seite wissen. Nicht jedem Anliegen können wir entsprechen. Wir haben auch andere Dinge zu berücksichtigen. Aber Sie sollen wissen, insbesondere für Cornelia Pieper, aber auch für mich ganz persönlich, ist es nicht nur eine politische Pflichtübung, sondern eine Herzensangelegenheit. Sie sind alle Botschafter unseres Landes. Ich bitte Sie, diese Arbeit weltweit fortzusetzen, damit sich das Ansehen unseres Landes mehrt.