Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 13.02.2012
Untertitel: "Der Euro und die Zukunft Europas" - Rede von Außenminister Westerwelle vorm Verband der Brasilianischen Industrie
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Andrade,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2012/120213_BM_Brasilia_Industrieverband.html
ich danke Ihnen sehr für die herzlichen Worte des Willkommens. Muito obrigado!
Ich bin mir der Diskussionen, Fragen und Sorgen über die europäische Schuldenkrise, die Sie auch hier in Brasilien umtreiben, sehr bewusst. Ich weiß, dass auch Ihr Land seine ganz eigenen Erfahrungen mit Schuldenkrisen und Maßnahmen zur Krisenbewältigung hat.
Manche sprechen vereinfacht von einer "Euro‑Krise". Die Bezeichnung "Euro-Krise" ist aber irreführend. Der Euro selbst hat keine Krise. Ganz im Gegenteil: Unsere europäische Gemeinschaftswährung ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Sowohl Wechselkurs wie auch Inflationsrate sind beim Euro so stabil wie bei der D-Mark. Und mittlerweile ist der Euro die zweitwichtigste Reservewährung der Welt.
Im Zuge der Finanzkrise mussten die Staaten das internationale Bankensystem mit Milliarden-Beträgen unterstützen. Um die Wirtschaft zu stimulieren, wurden riesige Konjunkturpakete geschnürt. Allein in Deutschland erfolgten Maßnahmen von über 50 Milliarden Euro und damit 1,6 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts zur Stärkung der Wirtschaft.
Die Staatsschuldenstände, die auch vor der Krise schon hoch waren, schossen weiter in die Höhe. Mit dem Ergebnis, dass die Finanzmärkte schließlich die Fähigkeit einzelner Eurostaaten in Frage stellten, diese Schuldenberge jemals wieder abtragen zu können. Aus der Staatsschuldenkrise wurde eine Vertrauenskrise.
Es gibt auch in Ihrem Land prominente Stimmen, die nach einer großen "Bazooka" rufen.
Bereits beschlossen ist ja ein permanenter Europäischer Stabilitäts-Mechanismus, der schon im Sommer in Kraft treten soll. Damit werden wir auch künftig gewaltige Finanzhilfen und Garantien an Euro-Länder mit Liquiditätsschwierigkeiten geben können. Deutschland trägt mit mehr als einem Viertel den größten Anteil an diesen finanziellen Garantien. Wir stellen Stammkapital in Höhe von 22 Milliarden Euro und finanzielle Garantien in Höhe von mehr als 200 Milliarden Euro. So setzen wir ein klares Zeichen politischer und wirtschaftlicher Solidarität mit unseren Partnern in der Eurozone. Das ist eine starke Botschaft an die Finanzmärkte und leistet einen wichtigen Beitrag dazu, kurzfristigen Zuspitzungen der Krise vorzubauen.
Bei der Bewältigung der Vertrauenskrise geht es aber um mehr als um die kurzfristige Bereitstellung von Liquidität. Wir müssen den Märkten überzeugend darlegen, dass der Euroraum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein wird. Drei Punkte sind zentral: Erstens: Alle Eurostaaten werden in ihr Rechtssystem eine Schuldenbremse auf Verfassungsebene einführen. Deutschland, Polen und Spanien haben dies bereits getan. Zweitens: Wenn Mitgliedstaaten die Maastricht-Haushaltskriterien verletzen, werden künftig Sanktionen automatisch erfolgen. Die Disziplinierung von Defizitsündern ist damit den politischen Opportunitäten soweit möglich entzogen. Drittens: Wir werden die wirtschaftspolitische Koordinierung innerhalb der Eurozone ausweiten. Wir holen jetzt die Schritte in Richtung politische Union nach, die früher noch nicht möglich waren. Wichtige Strukturreformen werden wir auf europäischer Ebene abstimmen.
Unser Fiskalpakt ist keine technische Vereinbarung. Mit ihm legen wir die Grundlage für eine neue Kultur der Stabilität in Europa. Wir beheben den Konstruktionsfehler unserer Währungsunion, indem wir sie durch eine engere haushaltspolitische Abstimmung ergänzen. Wir leiten einen Paradigmenwechsel ein. Der Schuldenstaat ist an seine Grenzen gestoßen.
Brasilien selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Kombination aus haushaltspolitischen Reformen und aktiver Wachstumspolitik zum Erfolg führen kann. Brasilianische Bundesstaaten und Gemeinden dürfen sich nicht überschulden, übergeordnete Institutionen haben ein haushaltspolitisches Kontroll- und Durchsgriffsrecht. Die Strukturreformen des Plano Real sind gewissermaßen einige der Grundsteine für die enormen wirtschaftlichen Erfolge Ihres Landes in den letzten zehn Jahren.
Auch Präsidentin Rouseff hat in den letzten Wochen immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass beeindruckende Rettungsschirme und eine neue Kultur der Haushaltsdisziplin aber allein nicht ausreichen werden, um die Lage in Europa zu meistern.
Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachstum. Und Wachstum ist die Voraussetzung für solide Staatsfinanzen.
Die wichtigsten Voraussetzungen für Wachstum müssen die Mitgliedstaaten selbst schaffen, und zwar durch ehrgeizige Reformen bei der Altersversorgung, der Infrastruktur und auch auf dem Arbeitsmarkt.
In manchen europäischen Ländern haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von über 40 Prozent. Auch auf europäischer Ebene müssen wir umgehend eine Agenda für mehr Wachstum durch Wettbewerbsfähigkeit auf den Weg bringen.
Binnenmarkt: Hier liegen die größten Ressourcen für mehr Wachstum. Die Ausdehnung des Binnenmarkts auf neue Felder birgt große Chancen.
Zukunftshaushalt: "Mehr Wettbewerbsfähigkeit" muss das Leitmotiv der Verhandlungen über den künftigen EU-Haushalt werden.
Freihandel: Die Bedeutung des freien Handels steigt. Europäische Union und Bundesregierung setzen alles daran, weitere Freihandelsabkommen abzuschließen. Deutschland und die Europäische Union wenden sich entschieden gegen protektionistische Tendenzen. Protektionismus mag zu Hause kurzfristig populär sein. Langfristig aber führt freier Handel zu mehr Wohlstand für unsere Bürgerinnen und Bürger.
Wir halten es für außerordentlich wichtig, dass ein Freihandelsabkommen der EU mit dem MERCOSUL zum Abschluss kommt.
Wachstumspotential liegt auch in unseren bilateralen deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen. Ich denke da nur an die Investitionshemmnisse, die es noch aus dem Weg zu räumen gilt. Ich hoffe sehr, dass wir bald wieder ein Doppelbesteuerungsabkommen haben werden.
Die deutsche Rolle bei der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise steht unter genauer Beobachtung. Da gibt es diejenigen, die meinen, wir trügen zu wenig zu Lösung der Krise bei. Andere sind hingegen der Auffassung, wir seien zu dominant und würden unseren Partnern unsere Lösungsansätze aufzwingen. Wir nehmen beide Meinungen ernst. Aber wir glauben auch, dass beide nicht zutreffen.
Für Deutschland gibt es keine gute Zukunft ohne ein vereintes Europa. In Deutschland herrscht breiter Konsens, dass die Antwort auf die Krise nur lauten kann: "nicht weniger, sondern mehr Europa". Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland.
Die europäische Einigung ist die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens der europäischen Völker seit mehr als sechs Jahrzehnten.
Wenn wir neue Partnerschaften begründen, ist das keine Abkehr von alten Freunden. Das Gegenteil ist der Fall: Wir Deutsche wollen unsere Partnerschaften, auch die mit Brasilien, europäisch einbetten. Das ist auch der Kern des Gestaltungmächte-Konzeptes, das die deutsche Bundesregierung gerade erst in der vergangenen Woche verabschiedet hat. Wir machen damit den neuen Gestaltungsmächten ein klares Angebot für mehr Kooperation. Das Konzept ist kein Konzept allein des Auswärtigen Amts, sondern ausdrücklich der gesamten deutschen Regierung.
Dies ist meine zweite Reise nach Brasilien als deutscher Außenminister. Die Dynamik Ihres Landes, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Gesellschaft und Kultur beeindrucken mich wiederum sehr. Ihr Land ist eine Gestaltungsmacht, die über die Weltordnung der Zukunft ein gewichtiges Wort mitzureden hat. An Brasilien führt kein Weg mehr vorbei. Wir Deutsche sehen diese Entwicklung mit Bewunderung und empfinden sie als große Chance für mehr Kooperation. Und zwar bilateral zum gegenseitigen Nutzen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, wie auch multilateral in gemeinsamer Verantwortung für das Ganze.
Brasilien ist für uns natürlicher Partner, wenn es um die Gestaltung der Globalisierung geht. Denn unsere Beziehungen haben eine lange Tradition und fußen auf einem festen Fundament gemeinsamer Werte. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Wertschätzung der Freiheit des Einzelnen und die Ideen der sozialen Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die uns miteinander verbinden.
Gemeinsam wissen wir um die Strahlkraft dieser Werte. Brasilien und Deutschland sollten sich auch in Zukunft als Verbündete sich dafür stark machen, das diese Werte global an Bedeutung gewinnen.