Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 24.04.2012
Untertitel: Rede von Außenminister Westerwelle auf dem Außenwirtschafts-tag Ostseeraum
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2012/120424-BM_Aussenwi_Ostseeraum.html
Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie zum Außenwirtschaftstag Ostseeraum, den wir im Rahmen der deutschen Präsidentschaft des Ostseerates durchführen.
Wenn es Deutschland wirtschaftlich gut geht, dann ist das auch eine gute Nachricht für die deutsche Außenpolitik. Der Einfluss Deutsch-lands in der Welt gründet nicht auf der Größe unserer Armee. Der Einfluss Deutschlands gründet auf unserer diplomatischen Klugheit, auf unserer Mitmenschlichkeit und auf unserer wirtschaftlichen Kraft. Deshalb ist die Außenwirtschaftsförderung ein Kernbereich deutscher Außenpolitik.
Wirtschaftliche Verflechtung ist mehr als sich gegenseitig Produkte zu verkaufen. Deutschland exportiert nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern auch soziale und ökologische Standards. Uns geht es nicht um den schnellen Gewinn, sondern um echte Partnerschaften. Dafür wird die deutsche Wirtschaft weltweit geschätzt. Die deutsche Wirtschaft ist eine hervorragende Visitenkarte für unser Land.
Das Auswärtige Amt mit seinen Vertretungen weltweit steht an der Seite der deutschen Wirtschaft. Das ist nicht die Ökonomisierung der Diplomatie. Das ist die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass wirtschaftliche Verflechtung auch politische Annäherung bewirken und befördern kann und Deutschlands Einfluss in der Welt begünstigt.
Direkt vor unserer Haustür, im Ostseeraum haben wir erlebt, dass das Prinzip Wandel durch Handel funktionieren kann. Heute profitieren wir alle von engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Ostseeanrainerstaaten. Rückblickend wirkt diese enge Kooperation selbstverständlich, aber das war nicht immer so.
Noch bis 1989 war die Ostsee ein durch den "Eisernen Vorhang" geteiltes Meer, eine Region, die durch die Spannungen des Kalten Krieges zunehmend an die politische Peripherie Europas gedrängt wurde. Erst mit der Deutschen Einheit und der europäischen Einigung hat sich die Ostsee von einem Meer der Konfrontation zu einem Meer der Freiheit und der Kooperation gewandelt.
Im Fokus steht derzeit die Bewältigung der sogenannten "Euro-Krise". Die Bezeichnung "Euro-Krise" ist irreführend. Der Euro selbst hat keine Krise. Ganz im Gegenteil: Unsere europäische Gemeinschaftswährung ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Im Zuge der Finanzkrise mussten die Staaten das internationale Bankensystem mit Milliarden-Beträgen unterstützen und riesige Konjunkturpakete schnüren. Die Staatsschuldenstände schossen weiter in die Höhe. Mit dem Ergebnis, dass die Finanzmärkte schließlich die Fähigkeit einzelner Eurostaaten in Frage stellten, diese Schuldenberge jemals wieder abtragen zu können. Aus der Staatsschuldenkrise wurde eine Vertrauenskrise.
Bei der Bewältigung der Krise geht es um mehr als um die kurzfristige Bereitstellung von Liquidität. Wir müssen den Märkten überzeugend darlegen, dass der Euroraum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein wird. Drei Punkte sind zentral:
Erstens: Alle Eurostaaten werden eine Schuldenbremse auf Verfassungsebene einführen. Deutschland, Polen und Spanien haben dies bereits getan. Der Bundesregierung ist es gelungen, die Neuverschuldung in 2011 auf etwa 17 Milliarden Euro zu senken. Die vorherige Regierung hatte noch 72 Milliarden neue Schulden geplant.
Zweitens: Wenn Mitgliedstaaten die Maastricht-Haushaltskriterien verletzen, werden künftig Sanktionen automatisch erfolgen. Die Disziplinierung von Defizitsündern ist damit den politischen Opportunitäten soweit möglich entzogen.
Drittens: Wir werden die wirtschaftspolitische Koordinierung innerhalb der Eurozone ausweiten. Wir holen jetzt die Schritte in Richtung politische Union nach, die früher noch nicht möglich waren.
Wir leiten einen Paradigmenwechsel ein. Der Schuldenstaat ist an seine Grenzen gestoßen.
Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen. Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachstum.
Die wichtigsten Voraussetzungen für Wachstum müssen die Mitgliedstaaten selbst schaffen, und zwar durch ehrgeizige Reformen bei der Altersversorgung, der Infrastruktur und auch auf dem Arbeitsmarkt. In manchen europäischen Ländern haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von über 40 Prozent.
Binnenmarkt: Hier liegen die größten Ressourcen für mehr Wachstum. Die Ausdehnung des Binnenmarkts auf neue Felder birgt große Chancen. Das gilt besonders für die digitalisierte Wirtschaft, den Internethandel und den Energiebereich.
Freihandel: Die Bedeutung des freien Handels steigt. Europäische Union und Bundesregierung setzen alles daran, weitere Freihandelsabkommen abzuschließen.
Wir leben in einer Zeit, in der sich die Gewichte auf der Welt verschieben. China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. Brasilien hat Großbritannien als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt. 2015 werden 90 Prozent des weltweiten Wachstums außerhalb Europas erwirtschaftet. Im Ostseeraum steht Russland eine Phase der Modernisierung bevor. Als Partner im Ostseerat sind wir bereit, uns einzubringen.
Früher waren die Schwellenländer abhängig von der Konjunktur der Industrieländer. Heute ist die Konjunktur der Industrieländer abhängig von der Dynamik dieser Länder.
In einer Welt von etwa sieben Milliarden Menschen lösen wir auch die neuen globalen Herausforderungen nur gemeinsam mit den neuen Schwergewichten etwa in den Bereichen Energie, Rohstoffe oder Klima.
Wir müssen neue Partnerschaften mit den aufsteigenden wirtschaftlichen und politischen Kraftzentren eingehen. Die Zuwendung zu neuen Partnern bedeutet selbstverständlich keine Abkehr von unseren engsten und bewährten Partnern.
In Europa ist Deutschland groß. In der Welt ist Deutschland relativ klein. Selbst das wirtschaftlich starke Deutschland allein wird im Wettbewerb mit den neuen Kraftzentren nicht bestehen können. Dazu brauchen wir ein wirtschaftlich starkes und ein politisch geeintes Europa. Dazu brauchen wir mehr Europa und nicht weniger Europa.