Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 23.10.2012
Untertitel: Außenminister Westerwelle zur Eröffnung des 2. Berliner Forums Außenpolitik
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2012/121023-B__Berl_Forum_Aussenpol.html
für Deutschland ist Europa nicht eine Politik-Option unter mehreren.
Das hat viel mit der deutschen Geschichte zu tun. Es hat aber immer mehr auch mit einer dramatisch sich verändernden Welt zu tun.
In dieser Welt ist Europa eine Kultur- und Schicksalsgemeinschaft.
Die Innovation, den Erfindungsreichtum, die freien Märkte, die offenen Handelswege, von denen unser Wohlstand abhängt, werden wir nur gemeinsam sichern können. Den großen Gestaltungsaufgaben unserer Zeit sind wir nur gemeinsam gewachsen. Wer glaubt, das auch künftig allein leisten zu können, erliegt dem Echo vergangener Tage.
Allein Indien wird bald dreimal so viele Einwohner haben wie die ganze Europäische Union. Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung hingegen wird schon in wenigen Jahren unter ein Prozent sinken. Wir mögen in Europa als Deutschland relativ groß scheinen. In der Welt sind wir allein relativ klein. Das sieht für Großbritannien, Frankreich oder Finnland nicht anders aus. Die europäische Einigung ist deshalb Fundament und Auftrag deutscher Außenpolitik zugleich.
Alle Europäer, nicht nur die in der Eurozone, teilen heute ein überragendes Interesse an einem starken Europa und einem gesunden Euro. Deshalb brauchen wir jetzt ein kluges Krisenmanagement, das an den Wurzeln der Schuldenkrise ansetzt. Mit Fiskalvertrag, dauerhaftem Rettungsschirm und Wachstumspakt haben wir den richtigen Weg eingeschlagen.
Auf diesen Dreiklang aus Solidität, Solidarität und Wachstum in Europa werden wir weiter setzen. Diese Medizin beginnt anzuschlagen. Irland und Portugal sind auf gutem Weg zurück an die Kapitalmärkte.
Mit solchen ermutigenden Nachrichten ist die Krise noch nicht überwunden. Aber wir müssen in Europa auch wieder unsere Ohren öffnen für gute Nachrichten. In diesem Herbst sehen wir einen ersten Silberstreif am Horizont.
Gerade deshalb müssen wir jetzt den Euro für die Zukunft krisenfest machen. Das ist die Botschaft der Zukunftsgruppe europäischer Außenminister.
Es ist auch die Botschaft des Europäischen Rates, der in den kommenden Wochen bis zum Dezembergipfel intensiv an den Weichenstellungen für die nächsten Jahre arbeiten wird.
Die Zeit ist gekommen, das zu tun, was bei Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht möglich war. Wir werden sie durch eine engere Zusammenarbeit in der Finanz- , Fiskal- und Wirtschaftspolitik ergänzen. Das ist der Sprung in eine neue Qualität der europäischen Einigung.
Damit dieser Sprung gelingt, müssen wir den Bürgern Europas Mitsprache geben, wenn wir der europäischen Ebene neue Zuständigkeiten geben. Ein Europa ohne volle demokratische Legitimation wäre auf Sand gebaut.
Es ist ja nicht so, als verstünden unsere Bürger nicht, was sie an Europa haben. Die Zustimmung der Deutschen zum europäischen Projekt ist im letzten Jahr gewachsen und nicht geschrumpft. Aber sie wollen, dass ihre Stimme auch auf europäischer Ebene gehört wird und Gewicht hat.
Es geht uns nicht um ein simples "mehr Europa". Es geht um ein notwendiges "besseres Europa". Dazu gehört auch die konsequente Prüfung des Subsidiaritätsprinzips.
Man kann über die richtigen Instrumente zur Durchsetzung der Gleichberechtigung politisch trefflich streiten. Aber ich persönlich glaube nicht, dass es Aufgabe von Brüssel ist, einem mittelständischen Unternehmen die Besetzung seiner Führungsgremien verbindlich vorzuschreiben.
Hier müssen die europäischen Institutionen im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit Augenmaß bewahren. Genauso müssen die Mitgliedstaaten ihrer eigenen Verantwortung selbst gerecht werden und nicht unnötig auf die Brüsseler Ebene verlagern, was besser zuhause geregelt wird.
Die Welt um uns herum verändert sich in rasantem Tempo. Neue Mächte steigen auf und verlangen nach Mitsprache dort, wo internationale Regeln gesetzt werden. Die Welt wird nicht darauf warten, dass Europa sein Haus in Ordnung bringt. Deshalb dürfen wir unseren Blick nicht nur nach innen richten. Welches Europa brauchen wir, um unseren Werten und unseren Interessen auf der Weltbühne Gehör zu verschaffen?
Der nächste Schritt des europäischen Projekts muss mehr außen- und sicherheitspolitische Kohärenz sein. Wir müssen einen umfassenden Ansatz entwickeln, der alle Facetten europäischer Außenpolitik zu einem schlüssigen und schlagkräftigen Ganzen bündelt. Vier Punkte sind dabei entscheidend:
Erstens müssen wir die Brüsseler Institutionen noch besser auf eine europäische Diplomatie aus einem Guss ausrichten. Die 2013 anstehende Überprüfung des Europäischen Auswärtigen Dienstes sollten wir nutzen, um hier einen großen Schritt voran zu kommen.
Zweitens sollten wir darüber nachdenken, unsere europäische Sicherheitsstrategie zu einer breit angelegten Globalisierungsstrategie weiter zu entwickeln. Zehn Jahre nach der ersten Sicherheitsstrategie der Europäischen Union ist die Zeit reif dafür. Sowohl Europa als auch die Welt haben sich in diesem Jahrzehnt tiefgreifend gewandelt.
Drittens müssen wir auch als Europa eine Antwort geben auf den Aufstieg neuer Kraftzentren. Es gilt, die Strategischen Partnerschaften der EU in der Welt auszubauen und eine kluge Arbeitsteilung mit den Mitgliedstaaten zu entwickeln. Dann wird Europa weit über die Handelspolitik hinaus zu einem echten globalen Akteur werden.
Schließlich wird Europa in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr Verantwortung übernehmen. Unser Bündnispartner, die Vereinigten Staaten von Amerika, sind zu Recht der Auffassung, dass die Zeit gekommen ist, in der Europa selbst stärker für seine Sicherheit sorgen kann. Das ist nicht nur unsere Aufgabe, das ist auch unser ureigenstes Interesse. Das gilt in unserer östlichen Nachbarschaft und im Südkaukasus. Das gilt auf dem Westbalkan und in Moldawien. Das gilt ausdrücklich auch für die Länder südlich des Mittelmeers. Von Mali aus muss man nur eine Staatsgrenze überqueren, um ans Mittelmeer zu gelangen. Hier liegt eine Stabilisierungsaufgabe in unserer Nachbarschaft, die wir gemeinsam angehen müssen.
Am Ende des Weges, den wir jetzt einschlagen, muss eines Tages eine Politische Union stehen. Sie muss die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden. Zugleich sollte sie eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im vollen Wortsinn verwirklichen.
Es wird noch viele Jahre brauchen, dieses Europa der Zukunft zu bauen. Aber schon heute ist das Nachdenken über unsere europäische Zukunft jenseits der Krise weder Luxus noch Träumerei. Es wird im Gegenteil neue Orientierung und neues Vertrauen in Europa entstehen lassen. Europa wird nach der Krise stärker sein als vorher.
Deshalb müssen wir die Debatte über Europas Zukunft zielgerichtet, pragmatisch und ohne ideologische Vorbehalte führen. Alle sind jetzt eingeladen, gemeinsam das Europa der Zukunft zu bauen. Und alle sind willkommen, ihre Ideen einzubringen.
Sollte aber der eine oder andere zunächst nicht mitgehen können oder wollen, dann darf und wird das die anderen nicht davon abhalten voranzugehen. Das galt für die Reisefreiheit im Schengenraum. Das galt für die gemeinsame Währung. Das gilt auch für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Dafür sind diese Gestaltungsaufgaben zu fundamental wichtig für eine starke, handlungsfähige Europäische Union.
Für uns Deutsche gibt es eine gute Zukunft nur im geeinten Europa.
Dieses Europa brauchen wir in der Globalisierung mehr denn je.