Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 02.02.2013

Untertitel: Rede von Außenminister Westerwelle bei der 49. Münchner Sicherheitskonferenz
Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2013/130201_BM_Muesiko.html


Mr. Vice-President, Distinguished guests, Dear colleagues, vor einem Jahr wetteten viele auf das angeblich unausweichliche Zerbrechen der Eurozone. Ebensoviele haben unseren politischen Willen und unsere Fähigkeit unterschätzt, die Schuldenkrise zu überwinden und Wettbewerbsfähigkeit zurück zu gewinnen. Viel mehr an Reformen ist auf den Weg gebracht worden, als die meisten für möglich gehalten hätten. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber ich bin zuversichtlich, dass der "turnaround" in der Europäischen Union mit der richtigen Mischung aus Konsolidierung, Solidarität und wachstumsfördernden Strukturreformen auf gutem Weg ist. Ich sage das zu Beginn unserer sicherheitspolitischen Debatte, weil wir in der Welt nur stark sein können, wenn wir zuhause stark sind. Sicherheitspolitik ist auch Wirtschaftspolitik. Die Zeit ist reif für ein ambitioniertes Projekt, das unsere Stärken beiderseits des Atlantik nutzt. Die Zeit ist reif für einen gemeinsamen transatlantischen Binnenmarkt. Ein solches Projekt verspricht einen starken Impuls für Wachstum und Arbeitsplätze. Es wäre zugleich ein wichtiger Baustein für die Zukunft der liberalen internationalen Ordnung, auf der unsere Sicherheit und unser Wohlstand beruhen. Der Aufstieg neuer Kraftzentren und Gestaltungsmächte hat sich in den letzten Jahren enorm beschleunigt. Ein transatlantisches Abkommen, das nicht nur Handelsfragen, sondern Investitionen, Dienstleistungen, Normen und Standards umfasst, wäre ein überzeugender Beitrag für die Selbstbehauptung Europas und Amerikas in der Globalisierung. Mit diesem Impuls für Wachstum und Arbeit stärken wir auch den Grundpfeiler unserer gemeinsamen Sicherheit, das Nordatlantische Bündnis. In Lissabon und Chicago haben wir der NATO eine neue strategische Orientierung gegeben. Stark wachsende Verteidigungshaushalte wird es in Zeiten knapper Kassen kaum geben. Also müssen wir neue Wege gehen, um die Fähigkeiten vorzuhalten, die wir für die militärische Absicherung politischer Konfliktlösungen brauchen. Wir wollen "smart defense" in der NATO vorantreiben und auch die "pooling and sharing" -Initiative in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Es wäre ein gutes Signal, wenn dazu auch gemeinsame transatlantische Projekte und Industriekooperationen gehören würden. Wer über die euro-atlantische Sicherheit spricht, der muss den ganzen Raum denken, von Vancouver bis Wladiwostok. Wir wollen mit Russland unsere Sicherheit stärken, auch durch enge Zusammenarbeit beim Aufbau einer Raketenabwehr. Wir wollen mit Russland auf die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt hinarbeiten, durch weitere Rüstungskontrollschritte und mehr Transparenz auch bei taktischen Nuklearwaffen und konventionellen Waffen. Wir wollen mit Russland unseren Wohlstand mehren, in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, nicht durch den Aufbau konkurrierender Räume. Wir wollen Russland als Partner. An diesem Ziel festzuhalten ist gerade in Zeiten von Meinungsunterschieden besonders wichtig. Die Globalisierung hat weltweite Wertschöpfungsketten geschaffen, dank derer sich hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreien konnten. Aber mit diesen gegenseitigen Abhängigkeiten sind auch neue Gefährdungen entstanden. Bedrohungen aus dem Cyberraum, durch Klimawandel, Flüchtlingsströme und Terrorismus. Unsere Welt ist bei allem Fortschritt an vielen Stellen fragiler geworden. Wir müssen immer wieder neu hinterfragen, ob unsere sicherheitspolitischen Instrumente diesen vielfach asymmetrischen Konflikten und globalen Problemen angemessen sind. Jeder Konflikt hat seine eigene Dynamik und erfordert einen eigenen Mix aus politischen, völkerrechtlichen, wirtschaftlichen und militärischen Instrumenten. Wir müssen unsere Mittel und Möglichkeiten nüchtern prüfen und unsere Ziele realistisch setzen. Die internationale Gemeinschaft arbeitet seit Jahren intensiv daran, mit der richtigen Kombination von Angeboten und Sanktionsdruck der Verbreitung nuklearer Waffen entgegenzuwirken. Der Iran sollte nicht länger warten, die von Vizepräsident Biden bekräftigte Bereitschaft zu substanziellen Verhandlungen über sein Nuklearprogramm aufzugreifen. Die Ankündigung eines beschleunigten Ausbaus der Urananreicherung ist ein falsches Signal. In Syrien ist unverändert der Einstieg in einen politischen Transformationsprozess die dringendste Aufgabe. Zugleich werden uns die regionalen Auswirkungen des Konflikts und die gefährlichen chemischen Massenvernichtungswaffen auf Jahre hinaus vor eine sicherheits- und abrüstungspolitische Herkulesaufgabe stellen. In Mali geht es nach dem beherzten militärischen Eingreifen Frankreichs darum, jetzt mit afrikanischen Partnern in der Schlüsselverantwortung die schwierige und langwierige Aufgabe der dauerhaften Stabilisierung anzugehen. Der Kampf gegen den internationalen Terror wird uns auf viele Jahre beschäftigen. Strategische Überraschungen und zerfallende Staaten werden unsere Interessen und unsere Werte an Orten herausfordern, die wir heute kaum erahnen. Deutschland engagiert sich stark und umfassend. Viele tausend deutsche Soldaten sind weltweit in gefährlichen Einsätzen, in Afghanistan, auf dem Balkan, am Mittelmeer oder am Horn von Afrika. Ich sehe das europäische Engagement in unserer Nachbarschaft auch als Beitrag zu unserer gemeinsamen transatlantischen Sicherheit. Europa muss in dieser fragiler gewordenen Welt stärkere gemeinsame Instrumente entwickeln. Das gilt für unsere militärischen Fähigkeiten. Das gilt aber ebenso für die Stärkung eines umfassenden, vernetzten Ansatzes. Wir müssen auf das ganze Spektrum unserer zivilen Instrumente zurückgreifen können und politische Lösungen in den Mittelpunkt stellen. Das ist eine der zentralen Lehren der letzten zehn Jahre. Europa wird aus seiner Krise gestärkt hervorgehen durch einen Kurs, der auf mehr Zusammenarbeit und Integration setzt, nicht auf weniger. Das gilt in der Wirtschaftspolitik. Das gilt auch für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Nur mit gebündelten Kräften werden wir unsere Werte und Interessen in dieser neuen Welt bewahren können. Die strategische Partnerschaft mit den USA ist dafür unser stärkster Trumpf.