Redner(in): Michael Georg Link
Datum: 07.03.2013
Untertitel: Fachübergreifender Dialog zur Osteuropaforschung
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2013/130307-StM-Link-DGO.html
Am 07. März 2013 beging die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde ( DGO ) in einem Festakt in Berlin ihr 100-jähriges Bestehen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Georg Link, hielt aus diesem Anlass das folgende Grußwort.
Staatsminister Link dankt der scheidenden Vorsitzenden der DGO, Prof. Rita Süssmuth
Liebe Frau Professor Süssmuth,
lieber Herr Genscher,
lieber Kollege Polenz,
lieber Herr Professor Eichwede,
liebe Frau Dörrenbächer,
Exzellenzen,
liebe Kollegen aus dem Bundestag,
meine Damen und Herren,
zu Beginn meines Grußwortes gilt es zunächst drei Gratulationen und einen Dank auszusprechen:
Zunächst gratuliere ich der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde selbst, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird der Grund, dass wir alle hier sind.
Zum Zweiten gratuliere ich ganz herzlich meinem MdB-Kollegen Rupprecht Polenz zu seiner Wahl zum neuen Präsidenten der DGO.
Zum dritten haben wir einen weiteren Jubilar unter uns: Herr Professor Schlögel, der später den Festvortrag halten wird, feiert heute seinen 65. Geburtstag Ihnen an dieser Stelle alles Gute und herzlichen Glückwunsch. Danke, dass Sie uns an diesem Tag ein Geschenk machen werden mit Ihrem Vortrag.
Und nun der Dank: Dieser gilt natürlich Ihnen, liebe Frau Prof. Süssmuth! Sie haben die die DGO in den letzten Jahren entscheidend geprägt und haben sie zu Ihrem 100. Geburtstag geführt und heute beim Jubiläum den Staffelstab übergeben. Von Seiten des Auswärtigen Amts und persönlich danke ich Ihnen für Ihren Einsatz für die DGO. Nirgendwo sonst hat sich der Knoten der deutsch-russischen Beziehungen so deutlich zusammengezogen wie in Berlin "schreibt unser Festredner Karl Schlögel in seinem wunderbaren Buch" Berlin. Ostbahnhof Europas ".
Und deswegen ist es auch kein Zufall, dass die Geburtstagsfeier der DGO hier stattfindet.
Nicht nur gehört Osteuropaforschung seit 100 Jahren zu Berlin. Auch Osteuropaforschung und Osteuropapolitik sind untrennbar miteinander verbunden.
Denn die Erkenntnisse der Osteuropaforschung sind das Fundament, auf dem solide Osteuropapolitik aufbaut.
Die Verbindung zwischen Osteuropaforschung und Osteuropapolitk hat in Deutschland eine lange Tradition. Auch wenn die Anfänge dieser Beziehung nicht immer einfach waren. Zunächst war es für das Auswärtige Amt ungewohnt, dass Anfang des 20. Jahrhunderts der Historiker Otto Hoetzsch mit seiner "Deutschen Gesellschaft zum Studium Russlands" als nicht-staatlicher Akteur eigenständige Beziehungen zu Russland aufnahm.
Nach dem Ersten Weltkrieg dehnte Hoetzsch den Wirkungskreis der Gesellschaft auf ganz Osteuropa aus. Auch im Auswärtigen Amt erkannte man:
Wissenschaftliche Analyse kann der Politik wichtige Impulse geben für die Ausgestaltung eigener Handlungsoptionen. Und:
enger zwischengesellschaftlicher Austausch fördert das gegenseitige Kennen- und Verstehenlernen und lässt das Interesse aneinander wachsen der Bürger wie der handelnden Politiker.
Aus dieser Zeit stammt auch der Entschluss, die Gesellschaft durch das Auswärtige Amt und verschiedene andere Ministerien finanziell zu unterstützen.
Otto Hoetzsch machte in den folgenden Jahren die Gesellschaft zu einer der wichtigsten kulturellen und wissenschaftlichen Vermittlungsorganisation zwischen Deutschland und den Ländern Osteuropas.
In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts war Berlin Zentrum der "Russlandkunde" und Magnet für alle Osteuropainteressierten.
Deshalb kam auch der große amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan zum Studium an die Humboldt-Universität. Hier bereitete er sich auf seinen diplomatischen Dienst an der amerikanischen Botschaft in der Sowjetunion vor.
Mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg folgte die einschneidende Zäsur im Verhältnis zu den Ländern Osteuropas.
Wir haben im Februar dieses Jahres des 70. Jahrestages der Kapitulation der von der Sowjetarmee bei Stalingrad eingekesselten Truppen der Wehrmacht gedacht. Es war der Anfang vom Ende Hitlerdeutschlands. Stalingrad steht heute als Symbol für das Grauen des von Nazideutschland entfachten Kriegs. Ein Krieg, der Leid, Tod und Verwüstung über ganz Europa gebracht hat.
Dass aus der Asche des Zweiten Weltkriegs ein neues, versöhntes Europa erstehen konnte, ist eine epochale Errungenschaft für die heutige Generation in Europa.
Dabei schien es jahrzehntelang undenkbar, dass jemals Deutsche und Osteuropäer in Freiheit und Frieden miteinander leben könnten. Die Konfrontation des Kalten Krieges teilte Europa in Ost und West.
Dies spiegelte sich auch in der Osteuropaforschung wider, die sich in den 60er und 70er Jahren vor allem dem Systemvergleich widmete.
Die nach dem Krieg neu gegründete DGO wurde zu einer fächerübergreifenden wissenschaftlichen Mitgliedergesellschaft. Sie führt seither Wissenschaftler und "Praktiker" zu einem fachübergreifenden Dialog zusammen. Ein Dialog, den auch das Auswärtige Amt sehr zu schätzen weiß!
In dieser Zeit ist die Osteuropaforschung stark ausgebaut worden. Die Bundesregierung förderte sie unter anderem mit der Gründung des Bundesinstituts für internationale und ostwissenschaftliche Studien. Auch andere Institute wie das Osteuropa-Institut in Berlin und das Südostinstitut in München wurden gegründet.
Die Politik der Entspannung in den 70iger Jahren, die Öffnung der Berliner-Mauer im Jahre 1989 und die Revolutionen in Osteuropa sowie die deutsche Wiedervereinigung 1990 waren Ausgangspunkt für eine neue Ära in unseren Beziehungen zu Osteuropa.
Für die Forschung bedeutete dies: die Idee vom "gemeinsamen europäischen Haus" löste den Ost-West-Konflikt ab.
Plötzlich hatten Wissenschaftler Zugang zu Archiven und Bibliotheken und die Möglichkeit, in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern selbst zu forschen und ihre Kollegen dort zu treffen.
Der Politik ging es zunächst vor allem darum, alte Antagonismen zu überwinden und eine neue Basis für eine vertrauensvolle Partnerschaft aufzubauen.
Entscheidende Voraussetzung dafür war und ist der Austausch der Bürger unserer Gesellschaften. In den letzten Jahrzehnten ist ein tragfähiges Netz zivilgesellschaftlicher Kontakte gewachsen. Am Aufbau dieses Netzes hat die DGO wesentlich mitgewirkt.
Aus einer Vielzahl direkter Kontakte hat sich ein intensiver und kontinuierlicher Dialog entwickelt: zwischen Ländern, Städten und Kommunen, zwischen Nichtregierungs-organisationen, Kirchen und Verbänden. Auch schwierige Themen bleiben hier nicht ausgespart.
Damit persönliches Kennenlernen gerade der jungen Leute möglich wird, unterstützen wir den Jugendaustausch sowie die Hochschul- und Wissenschaftskooperation.
Nur durch ungehinderten, freien Austausch von Jugendlichen, Wissenschaftlern, Unternehmern kann sich das Modell einer offenen, demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft weiter ausbreiten. Nur durch Öffnung und Austausch können wir die Chancen der Globalisierung effektiv nutzen.
Deshalb benötigen wir die DGO mindestens für ein zweites Jahrhundert.
Deutschland hat die Transformationsprozesse in seinen östlichen Nachbarländern von Beginn an unterstützt. Insbesondere der Handel entwickelt sich trotz oftmals schwieriger Rahmenbedingungen seither dynamisch. Deutschland gehört seit Jahren zur den wichtigsten Wirtschaftspartnern der Länder in Osteuropa.
Mit der Gründung der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union haben wir im Jahr 2009 unseren Partnerländern Ukraine, der Republik Moldau, Belarus, Armenien, Aserbaidschan und Georgien ein attraktives Angebot gemacht.
Grundgedanke dieser reformorientierten Partnerschaft ist die Schaffung von Anreizen, um die Annäherung der Partnerländer an die Europäische Union zu unterstützen. Hierzu gehört auch, dass wir gemeinsam mit den europäischen Partnern mit Nachdruck an einer Visaliberalisierung für Russland und die Länder der Östlichen Partnerschaft arbeiten.
Das Angebot der Östlichen Partnerschaft bedeutet Unterstützung und auch eine teilweise Einbeziehung in europäische Strukturen. Aber es ist untrennbar verbunden mit der Erwartung an politische und wirtschaftliche Reformen. Dies sind zwei Seiten derselben Medaille. Länder wie die Ukraine oder auch die Republik Moldau und Georgien im Kaukasus sind auf diesem Weg weit vorangeschritten.
Eins bleibt klar: Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Menschenrechten, Demokratie und berechenbares und zuverlässiges Verwaltungshandeln werden Gradmesser sein für die EU-Annäherungsfähigkeit aller unserer Partnerländer.
Lassen Sie mich zu einem wichtigen großen Partner etwas mehr sagen:
Russland und Deutschland, Russland und Europa verbindet eine strategische Partnerschaft. Angesichts der wachsenden globalen Herausforderungen müssen wir zusammenarbeiten, um gemeinsame Interessen zu sichern und Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Dies gilt für unsere unmittelbare gemeinsame Nachbarschaft. Und es gilt auch für die Fragen nach dem weiteren Umgang der internationalen Gemeinschaft mit Syrien oder dem Iran oder Fragen nach den Folgen von Klimawandel und globaler Erwärmung.
Wir haben mit Russland dichte und vielseitige Beziehungen. Dies ermöglicht es uns, auch Meinungsverschiedenheiten offen anzusprechen.
Mit der Intensivierung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Ländern Osteuropas nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" ging eine Entwicklung einher, die viele "alte Osteuropakenner" heute beklagen:
Bei den nachwachsenden Generationen in Politik und Wissenschaft schlich sich das Gefühl ein, dass in der neuen Zeit intensive Beschäftigung mit Osteuropa und osteuropäische Sprachkenntnisse nicht mehr unbedingt nötig seien, um mit der Region erfolgreich zusammenzuarbeiten.
Als jemand, der Osteuropa seit vielen Jahren gut kennt, weiß ich: das ist ein Trugschluss! Deshalb stimme ich Frau Prof. Süssmuth zu: wir brauchen auch weiterhin bundesgeförderte Osteuropaforschung.
Denn: Die Osteuropaforschung liefert das Hintergrundwissen, das die Politik braucht, um diese wichtige Nachbarregion wirklich zu verstehen. Nur so können wir die richtigen Antworten auf die Frage nach dem "Wie" unserer künftigen Zusammenarbeit formulieren.
Und sie bietet eine Plattform für den Austausch zwischen Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaften zwischen Deutschland und den Ländern Osteuropas. Insbesondere in Situationen, wo der Dialog zwischen Regierungen schwierig oder gar eingeschränkt ist, ist dies von unschätzbarem Wert.
Für mich selbst und viele meiner Kollegen sind die Zeitschrift "Osteuropa" und die Länder-Analysen der DGO und der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen eine unverzichtbare Informationsquelle über aktuelle Entwicklungen in Osteuropa. Deswegen wollen wir gemeinsam nach Wegen suchen, um die weitere Finanzierung sicherzustellen.
Ich meine weiter:
Wir brauchen wieder eine verstärkte Ausbildung von Nachwuchs mit Osteuropa-Profil.
Wir brauchen Spezialisten, die uns die Entwicklungen in Osteuropa erklären.
Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen all derjenigen, die Bedarf an Osteuropa-Expertise haben. Dazu gehört die Bundesregierung. Aber dazu gehört auch die in Osteuropa engagierte deutsche Wirtschaft.
Und möglicherweise wäre es ja auch denkbar, osteuropäische Partner zu gewinnen, die sich hieran beteiligen wollen.
Berlin war einmal das weltweit anerkannte Zentrum für Osteuropa-Studien.
Um nochmal an Professor Schlögels Bild vom deutsch-russischen Knoten vom Beginn der Rede anzuknüpfen: Ich wünsche mir und ich wünsche der DGO, dass Berlin auch in den kommenden Jahrzehnten ein Knotenpunkt der Osteuropaforschung und im Geflecht der politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Netzwerke bleibt.
Ich danke allen in der DGO, die an diesem Knoten in der Vergangenheit genknüpft haben. Es liegt nun an uns dem neuen Präsidenten Herrn Polenz sowie uns Osteuropainteressierten diesen Faden aufzunehmen und ihn fortzuspinnen.
In diesem Sinne gratuliere ich der DGO noch einmal herzlich zu ihrem Jubiläum. Ich freue mich darauf, auch in Zukunft kluge, kritische und auch mal gegen den Strich gebürstete Informationen von Ihnen zu bekommen.