Redner(in): Guido Westerwelle
Datum: 10.12.2013

Untertitel: Rede von Außenminister Westerwelle vor dem Nueva Economía Forum am 10. Dezember 2013 in Madrid
Anrede: Lieber Javier Solana,Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2013/131210_BM_Madrid.html


herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Forum.

Noch vor einigen Monaten hat die Welt mit Sorge auf die Finanzkrise in Europa geschaut. Mittlerweile legt der Euro gegenüber den Währungen der Schwellenländer wieder zu. Wirtschaftsprognosen zufolge wird die europäische Wirtschaft 2014 ein Plus von 1,4 Prozent erreichen. Die Anzeichen mehren sich, dass wir in Europa die Talsohle durchschritten haben. Aber über den Berg sind wir noch nicht.

Diese Entwicklung wäre ohne erhebliche Anstrengungen auf nationaler Ebene nicht denkbar. Spanien ist dafür ein herausragendes Beispiel. Noch vor einem Jahr wurde der Regierung von vielen Seiten nahegelegt, ein volles Rettungsprogramm zu beantragen. Ihr Land hat es nicht nur ohne volles Rettungsprogramm durch die Krise geschafft. Spanien wird schon bald auch das Bankenrettungsprogramm beenden können. Zu dieser Leistung möchte ich Spanien gratulieren.

Spanien hat in den vergangenen Jahren einschneidende Reformen eingeleitet: Arbeitsmarktreformen, die Sanierung der Banken und auch die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

Wir wissen in Deutschland um die schwierige Situation vieler Spanierinnen und Spanier. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die wichtigen Reformen in Ihrem Land in absehbarer Zukunft auszahlen werden. Deutschland hat Spanien von Anfang an auf diesem Weg begleitet.

Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist unser gemeinsames Ziel. Wir helfen dabei, Ausbildungsplätze in Deutschland an junge Spanier zu vermitteln. Diese Zusammenarbeit unserer Länder zur Verbesserung der Berufsausbildung junger Menschen wird sich über den Tag hinaus auszahlen.

Auch die deutsche Wirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag. Fast 1.200 deutschen Unternehmen sind in Spanien tätig, sie schaffen hier etwa 300.000 Arbeitsplätze.

Die ökonomischen Vorboten für Spanien deuten bereits den Weg der Besserung an: Die Risikoprämie für Staatsanleihen ist stark gefallen, die spanischen Exporte steigen weiter an, die Leistungsbilanz wird in diesem Jahr voraussichtlich positiv sein. Das Vertrauen in den Standort Spanien kehrt zurück.

Darüber freuen wir uns gemeinsam. Ich glaube, wir müssen wieder lernen, unsere Ohren auch für gute Nachrichten zu öffnen. Aber wir dürfen darüber nicht die eigentliche strategische Lage vergessen.

Der eigentliche Wettbewerb findet nicht zwischen uns Europäern statt. Der eigentliche Wettbewerb findet statt zwischen Europa und der Welt. Wenn wir über den Horizont unseres Kontinents hinausblicken, sehen wir eine Welt im Umbruch.

China ist in den letzten Jahren mit einem Tempo gewachsen, das alle zwölf Monate zusätzlich die Wirtschaftskraft von Spanien erzeugt. In Indien leben schon heute mehr als doppelt so viele Menschen wie in der gesamten Europäischen Union. In nicht einmal 30 Jahren werden es bereits dreimal so viele sein. In Vietnam gab es im Jahr 2000 gerade mal 200.000 Internetnutzer. Heute sind es 30,8 Millionen.

Wir haben es mit neuen globalen Gestaltungsmächten zu tun, die sich auszeichnen durch eine bedeutende Wirtschaftskraft, einen starken Gestaltungswillen und die der Welt zunehmend auch in der Außenpolitik ihren Stempel aufdrücken wollen.

Es gibt keine Garantie für den großen Wohlstand, den wir in Europa genießen und der das Leben hier so lebenswert macht. Es ist entscheidend, dass wir in Europa den Veränderungsdruck, der durch die Krise entstanden ist, auch nutzen. Den Reformkurs, den wir in Europa vereinbart haben, müssen wir halten.

Der Dreiklang aus Solidarität, aus Konsolidierung und neuem Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit führt zum Erfolg.

Wir wissen: keinem europäischen Mitgliedsstaat wird es auf Dauer gut gehen, wenn es Europa auf Dauer schlecht geht. Wir können unser Schicksal nicht von Europa abkoppeln. Wir Europäer sind als Schicksalsgemeinschaft miteinander vereint.

Ich konnte mich erst letzte Woche in Kiew davon überzeugen, welche Strahlkraft unsere europäischen Werte und Ideale haben. Dort dauern die pro-europäischen Demonstrationen nun seit fast drei Wochen an. Hunderttausende sind für eine EU-Annäherung ihres Landes auf die Straße gegangen. Die Art und Weise, wie die ukrainische Regierung auf die pro-europäischen Kundgebungen reagiert, wird auch ein Gradmesser dafür sein, wie ernst es der Ukraine mit der EU-Annäherung auf Grundlage gemeinsamer Werte und Ideale ist.

Diese gemeinsamen Werte müssen wir schützen und mehren. Die Grundwerte sind unser stärkster Trumpf in der globalisierten Welt. Wenn wir unseren eigenen Maßstäben gerecht werden, haben wir jeden Grund, in den Wettbewerb der Werte und Gesellschaftsordnungen selbstbewusst einzutreten.

Gemeinsam mit einigen Kollegen in der EU habe ich eine Rechtsstaatsinitiative angestoßen, um den Schutz europäischer Grundwerte und rechtsstaatlicher Prinzipien auch innerhalb der Union zu stärken. Effiziente Institutionen, wirksame Entscheidungsverfahren und demokratische Legitimation heißen die großen Baustellen für die kommenden Jahre.

Wir Europäer werden nur gemeinsam unsere freiheitliche Art zu leben und unser Modell der sozialen Marktwirtschaft behaupten können in einer Welt des Wandels. Europa ist mehr als Binnenmarkt und gemeinsame Währung. Europa ist eine Kultur- und Schicksalsgemeinschaft. In unserer Welt des Wandels müssen wir uns mit Gleichgesinnten zusammenschließen.

Vielen Dank.