Redner(in): Michael Roth
Datum: 11.02.2014

Untertitel: Grußwort von Staatsminister Roth zum Neujahrsempfangs in Brüssel
Anrede: Sehr geehrter Herr Botschafter Tempel,liebe Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments,sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2014/140211_STMR_Neujahrsempfang_STV.html


Wir blicken zurück auf ein europapolitisch ereignisreiches Jahr 2013. Aber auch das Jahr 2014 bringt mit der Europawahl im Mai und den personellen Wechseln in den Spitzenämtern der EU im Herbst wichtige Weichenstellungen für Europa mit sich. 2014 wird also ein spannendes Jahr: Ein Jahr der Entscheidungen, aber auch ein Jahr des Übergangs.

Die bevorstehenden institutionellen und personellen Veränderungen werden die Debatte über die Zukunft der EU neu beleben. Die Bundesregierung wird sich in diese Debatte mit neuen Impulsen einbringen.

Lassen Sie mich einige europapolitische Themen und Reformprojekte skizzieren, die uns 2014 beschäftigen werden:

1. Europa muss entschlossen handeln und "liefern"

Die EU-Kommission hat das Jahr 2014 zu Recht zum "Jahr der Ergebnisse" erklärt. Das gilt insbesondere für die verbleibende Zeit vor der Europawahl, in der wir die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen müssen, dass Europa einen spürbaren Mehrwert für die Menschen bietet. Bis zur Europawahl im Mai bleibt nur wenig Zeit, um die offenen Gesetzgebungsverfahren erfolgreich abzuschließen. Mit anderen Worten: Europa muss jetzt entschlossen handeln und Ergebnisse "liefern".

Wir wollen in den kommenden Wochen vor allem den Aufbau der Bankenunion vorantreiben und den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus schaffen. Wir wissen, dass das nicht einfach wird, angesichts der unterschiedlichen Positionen und des enormen Zeitdrucks. Die Bundesregierung arbeitet entschlossen daran mit, die schwierigen Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament rasch zu einem guten Abschluss zu bringen.

2. Sozialen Zusammenhalt in Europa stärken

Wir müssen dieses Jahr 2014 auch nutzen, um Reformen im Sinne eines "sozialen Europas" entschlossen anzugehen und konsequent voranzutreiben. In viel zu vielen Mitgliedstaaten der EU ist die Arbeitslosigkeit inakzeptabel hoch.

Wir müssen der angespannten sozialen und wirtschaftlichen Lage in Teilen unseres Kontinents Rechnung tragen. Deswegen müssen wir den sozialen Zusammenhalt in Europa stärken und spürbare Impulse für Wachstum und Beschäftigung geben.

Dabei ist mir die Bekämpfung der dramatisch hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa ein besonderes Anliegen. Wir müssen diese Aufgabe mit aller Anstrengung angehen. Gerade der jungen Generation in Europa müssen wir deutlich machen: Europa ist kein Problemverschärfer, sondern ein Problemlöser. Europa muss wieder zu einem Hoffnungsversprechen für die jüngere Generation werden.

3. Wertegemeinschaft verteidigen

Das europäische Hoffnungsversprechen wird uns derzeit vor allem bewusst, wenn wir den Blick in unsere unmittelbare Nachbarschaft richten: Auf dem Majdan in Kiew weht die Europaflagge, weil man an die Werte Europas glaubt an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung.

Flüchtlinge aus Nordafrika setzen ihr Leben aufs Spiel, weil sie in Europa auf ein menschenwürdiges Leben und auf Sicherheit vor Verfolgung hoffen.

Das zeigt uns, dass wir neben allen notwendigen Bemühungen zur Eindämmung der Wirtschafts- und Finanzkrise niemals aus den Augen verlieren dürfen: Europa ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt und eine Währungsunion. Europa ist vor allem eine einzigartige Wertegemeinschaft, die weit über unsere Außengrenzen hinausstrahlt.

Doch zuletzt hat sich wiederholt gezeigt, dass unser gemeinsames Wertefundament in Europa keine Selbstverständlichkeit ist, sondern jeden Tag aufs Neue gepflegt und verteidigt werden muss. Deshalb wird die Bundesregierung Vorschläge zur Schaffung wirksamer Mechanismen vorlegen, die unsere Wertegemeinschaft dort schützen, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedroht sind.

Denn nur wer die europäischen Grundwerte in den eigenen Reihen konsequent verteidigt, der kann sie auch international glaubhaft einfordern.

Es ist gut, dass die EU-Kommission mit uns und vielen Partnern im EP und Rat an einem Strang zieht und im Frühjahr eine entsprechende Mitteilung vorlegen wird.

4. Deutschland und seine Partner in Europa

Unsere europäischen Partner erwarten, dass Deutschland mehr Führungsverantwortung in der EU übernimmt. Doch wir sind in der Vergangenheit stets gut damit gefahren, unsere wirtschaftliche und politische Stärke nicht dominant auszuspielen. In den letzten Jahren konnte mancherorts der Eindruck entstehen, Deutschland suche die Rolle eines Oberlehrers und wolle seine eigenen Vorstellungen von Europa kompromisslos durchsetzen. Dieses verzerrte Bild müssen wir gerade rücken.

Dazu zählt, dass wir unseren Partnern zeigen: Die EU ist nicht nur eine Angelegenheit der sogenannten "großen" EU-Mitgliedstaaten. In Europa kommt es nicht auf die Größe eines Landes an. Was zählt, sind vielmehr die Kreativität und die Ideen, mit denen sich ein Land in die europäischen Diskussionen einbringt.

Wenn Europa wirklich Großes vollbringen will, dann schaffen wir das nur gemeinsam. Wir wollen daher allen unseren Partnern in Europa unabhängig von ihrer Größe solidarisch die Hand zur Zusammenarbeit reichen.

Vor uns liegt erneut ein arbeitsreiches Jahr. Ich möchte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, Herr Botschafter Tempel, ohne mich bei den Kolleginnen und Kollegen für die großartige Arbeit zu bedanken, die sie leisten. In Berlin ist uns allen klar, mit welch hohem persönlichen Engagement sich jede einzelne von Ihnen hier tagtäglich für unsere Belange und für unser gemeinsames Europa einsetzt. Bleiben Sie kreativ, engagiert, haben Sie den Mut zum eigenen Standpunkt und bewahren Sie sich Ihre Leidenschaft für Europa. Sehen Sie sich nicht nur als wichtiger Arm unserer Regierung, sondern auch als Partner der Abgeordneten! Auf meine Unterstützung als Staatsminister für Europa können Sie dabei stets zählen!