Redner(in): Karsten D. Voigt
Datum: 25.01.2007
Untertitel: "The American Spirit der amerikanische Geist" - Rede von Karsten D. Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, zur Veranstaltung "Bürgersinn transatlantisch" der Körber-Stiftung, Hamburg
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/070125-VoigtKoerberStiftung.html
Zum Jahreswechsel 2006 / 2007 hat eine bekannte, in Hamburg verlegte Frauenzeitschrift ihren Leserinnen und wohl auch den vorhandenen vereinzelten Lesern zum Heft eine Sonderbeilage überreicht: Ein bequem in der Handtasche zu verstauendes Kompendium: "Komm, wir verbessern die Welt Die besten Ideen und Aktionen für 2007". Ich vermute, der Geist der Körber-Stiftung ist vom Hafen in Richtung Redaktion in der Hamburger Innenstadt geweht worden.
Diese Sonderbeilage ist als Hinweis auf einen Bewusstseinswandel bemerkenswert: In den Rubriken "Kindern helfen durch Kultur","Bewegung gegen rechts","Meine Zeit für andere" bis hin zu "Unterwegs sein und Gutes tun" findet sich für jeden, der sich zum Jahresanfang nicht nur beklagen, sondern etwas ändern will, eine gute Idee und die Zeitschrift wünscht "Viel Spaß beim Weltverbessern".
Bisher waren wir gewohnt, dass vor allem Amerikaner die bewundernswerte Fähigkeit haben, sich durch das Vertrauen in die eigene Kraft durch positive Visionen und Träume zu Veränderungen bewegen zu lassen, während wir Deutsche eher auf die Initiative des Staates hoffen und uns allenfalls durch Alpträume und Krisenängste aktivieren lassen.
Martin Luther King Jr. , begann seine berühmteste Rede mit den Worten "I have a dream". Wenige Jahre nach dieser Rede wurde mit der Aufhebung der Rassentrennung begonnen.
Das wäre mein Traum für Deutschland: bei aller Kritik an den USA in anderen Bereichen würde hier Amerikanisierung in Deutschland Fortschritt bedeuten. Ich bin optimistisch genug, das eingangs genannte Heftchen als Vorboten eines neuen Trends zu deuten.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, am heutigen Abend der Körber-Stiftung zum Bürgerengagement in den USA und zum zivilgesellschaftlichen Austausch über den Atlantik hinweg teilzunehmen. Ich danke den Initiatoren dafür, dass Sie uns allen mit dieser Veranstaltung die Gelegenheit geben, die transatlantischen Beziehungen wieder einmal nicht von einem Standort der Regierungen und Bürokratien sondern vom Standpunkt engagierter Bürgerinnen und Bürger aus zu betrachten. Ich freue mich sehr, dass im Publikum so viele der rund 50 Preisträger aus den vergangenen Jahrgängen des Wettbewerbs "USable" der Körber-Stiftung sitzen. Ihre herausragenden Initiativen zeigen, dass Sie ihre persönliche Verantwortung für die Gesellschaft nicht an andere und auch nicht an den Staat delegieren wollen. Sie ließen sich von einer gute Idee auf der anderen Seite des Atlantiks anstecken und verwirklichen sie mit Tatkraft und Energie, um in ihrer Umgebung ein Zeichen zu setzen, ja, die Welt im Kleinen zu verbessern, getreu dem amerikanischen Slogan "Think global, act local". Diese zahlreichen Initiativen, die im zivilgesellschaftlichen Bereich viele kleine Brücken über den Atlantik bauen, helfen vorzubeugen, dass in Krisenzeiten der Atlantik breiter wird, weil es positive Anknüpfungspunkte gibt.
Die Vielfalt der Projekte ist inspirierend. Die große Zahl der Teilnehmer am Wettbewerb zeigt, dass die transatlantischen Beziehungen über die politischen Beziehungen hinaus durch viele Botschafter des guten Willens mit Leben erfüllt sind. Beziehungen zwischen zwei Staaten und den Gesellschaften zweier Staaten gibt es nicht als abstrakte Größe, sie setzen sich vielmehr aus einer Fülle von persönlichen Begegnungen zusammen. Das erlebe ich immer wieder während meiner Reisen in die USA. Ich bin also schon sehr gespannt, welche Sieger-Projekte für den USable-Wettbewerb 2006/2007 in einigen Wochen ausgezeichnet werden.
Doch zurück zu Martin Luther Kings "I have a dream". 1996 taucht dieser Schlüsselmoment in der jüngeren amerikanischen Geschichte in einem Essay des Harvard-Professors Robert D. Putnam auf. Unter dem Titel "The Strange Disappearance of Civic America" untersucht der Autor das Phänomen, dass offensichtlich auch in den USA die Bereitschaft zum Bürgerengagement nicht selbstverständlich ist. Er verweist auf Forschungsergebnisse, die für die Zeit unmittelbar nach den Erfolgen des Civil Rights Movements ein Nachlassen des bürgerschaftlichen Engagements konstatieren. In den 70er und 80er Jahre habe es dann eine Beschleunigung dieses negativen Trends gegeben. Im Jahr 2000 erscheint Putnams Essay in erweiterter Form als viel beachtetes Buch "Bowling Alone", das letztlich den Rückgang des Bürgerengagements um rund ein Drittel von Mitte der 70er Jahre bis Mitte der 90er Jahre als Symptom für die Krise der gesamten amerikanischen Gesellschaft annimmt.
Putnams Buch stieß eine heftige Debatte an, in der ihm Kritiker vorwarfen, lediglich die traditionellen Vereine mit ihren örtlichen Chapter Meetings im Blick zu haben. Diese hätten in der Tat unbestreitbare Zahlen vorzuweisen: 1955 waren in den 20 größten Freiwilligenorganisationen stolze 5 % der Erwachsenenbevölkerung organisiert gewesen. Putnam aber habe den technologischen Fortschritt etwa das Internet - und seinen Einfluss auf ehrenamtliche Gruppen und Initiativen komplett verkannt. Diese seien eben anders organisiert und würden sich andere Wege als bisher suchen, das öffentliche Leben zu beeinflussen. In Wahrheit sei die Zahl der Freiwilligenvereinigungen von ca. 8000 im Jahr 1950 auf rund 20.000 im Jahr 2000 gestiegen.
Kurz danach kam eine erneute Wendemarke im Bürgerengagement: der 11. September 2001. Ab diesem Zeitpunkt stiegen die Zahlen des Bürgerengagements dramatisch und zu ungeahnten Höhen seit den 60er Jahren. Die Statistiken sprechen dafür, dass 9/11 die Amerikaner zu mehr mitmenschlicherem Engagement angeregt hat: 40 % der 15 - 25jährigen gaben für das Jahr nach dem 11. September an, sich bürgerschaftlich engagiert zu haben, in allen anderen Altersklassen waren es immerhin ein Drittel. Die überwiegende Zahl der damals 15 - 25jährigen behält ihr überproportionales Engagement auch heute bei: man spricht sogar von der "9/11 generation" und zieht Vergleiche mit der Generation der Soldaten, der sogenannten "greatest generation", die nach dem II. Weltkrieg im Vergleich zur Generation ihrer Eltern und Kinder überproportional zu den Urnen ging, ehrenamtlich tätig war und Mitgliedschaft in Vereinen aufwies. Insofern entsteht aus dem Grauen von 9/11 auch ein Element von Hoffnung.
Das Internet hat eine völlige Neuordnung der Freiwilligen-Landschaft hervorgerufen. Dies konnte man schon während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2004 erahnen, wo über das Internet nicht nur ein ungeahnter Finanzstrom an kleinen und mittleren Spenden sondern auch ein ungeahnter Wählerzustrom aufgetan wurde: Die Wählerzahlen für Präsident Bush erhöhten sich um 23 % , die für seinen demokratischen Herausforderer Kerry im Vergleich zum Kandidaten Gore vier Jahre früher immerhin um 16 % .
Freiwilligenorganisationen sind wie es der Economist im Sommer 2005 so schön gefasst hat "the glue of society", der Mörtel der die amerikanische Gesellschaft zusammenhält. Hier ist uns Tocquevilles Charakterisierung bewusst: "Americans of all ages are forever forming associations." Letztere, so Tocqueville, trügen zum Wohlstand, zur Sicherheit und zur besseren Selbstverwaltung bei, seien also die beste Basis für Demokratie und eine gerechte und stabile Gesellschaft.
Vielleicht muss man in der historischen Rückschau nicht im Detail die Geschichte der Gründerväter in Neuengland rekapitulieren, um diese positive Eigenschaft der Amerikaner zu erklären. Nur soviel: in den Anfängen der USA hat sich die Gesellschaft in Form der Gründerväter einen neuen Staat mit größtmöglichem Freiraum für die Entfaltung und konsequenterweise für das Engagement der Bürger geschaffen während im zurückgelassenen "alten Europa" der Staat bereits exisitierte und das Zusammenleben seiner Bürger reglementierte. Einen kurzer Hinweis auf die deutsche humanistische Tradition soll hier nicht fehlen, die in den Gründungsjahren durchaus nachhaltigen Einfluss auf die amerikanische Entwicklung hatte, allen voran Alexander von Humboldt. Auch die amerikanische Philanthropie-Bewegung wurzelt zum großen Teil in Beispielen aus Europa und nicht zuletzt Deutschland: schönstes Beispiel für mich ist das wiedereröffnete Bode-Museum auf der Museumsinsel in Berlin, das Ende des 19. Jahrhunderts als erste privat gestiftete Sammlung einem allgemeinen Publikum zugänglich gemacht wurde.
Die USA haben immer noch pro Kopf etwa doppelt soviele NGOs und Freiwilligenorganisationen wie Deutschland, wobei zu unserer Ehrenrettung gesagt werden muss, dass es in Deutschland immer noch doppelt soviele sind wie in unserem Nachbarland Frankreich.
Warum verweise ich auf diese Fakten? In Zeiten, in denen immer wieder von der "neuen transatlantischen Verständnislosigkeit" geredet wird, ist es um so wichtiger, dass deutsch-amerikanische Institutionen und Initiativen ein vielseitiges Bild von den USA und dem "American way of life" vermitteln. Das in den USA stärker als in Deutschland vorhandene Engagement der Bürger für ihre Gesellschaft ist ein wesentlicher Teil dieses "American way of life", getreu dem berühmten Satz aus der Antrittsrede von Präsident John F. Kennedy "ask not what your country can do for you - ask what you can do for your country".
Ein differenzierteres Bild von den USA hilft, das gegenseitige Verständnis zwischen Amerikanern und Deutschen weiter zu fördern. Denn verständnislose Kritik führt in die Sackgasse der Isolation. Nur im Verständnis können beide Seiten einen fruchtbaren und konstruktiven Dialog führen. Das gilt auch für die Politiker: nur wenn bei den Bürgern für die andere Seite Verständnis vorhanden ist, können wir Politiker guten Gewissens dieses Verständnis auf der Ebene der Politik in Kooperation umsetzen. Meine Damen und Herren, Sie bringen einen Stein ins Rollen und lösen langfristig hoffentlich eine positive Lawine aus.
Der Eindruck von einer neuen Unübersichtlichkeit, also einer zunehmend komplexeren Realität wird verstärkt durch die Beschleunigung der technologischen Entwicklung. Neue Technologien verändern unsere Gesellschaften grundlegend. Globalisierung drückt sich u. a. in einer Multiplizierung der Akteure im transatlantischen Verhältnis aus: Individuen, Unternehmen, Organisationen, Verbände und Gemeinden kommunizieren und operieren immer schneller und billiger über den Atlantik.
Diese Intensität der Kommunikation führt zu mehr Berührungspunkten, aber zugleich zu größeren Reibungsflächen. Die zunehmende Kommunikation führt aber nicht nur zu neuer Zusammenarbeit, sondern schärft auch den Blick für kulturelle und Wertedifferenzen.
Im letzten Jahrzehnt haben sich Europa, Deutschland und die USA verändert, und mit ihnen ihre jeweilige Rolle in der Welt. Die USA sind die einzig verbliebene Weltmacht und haben erstmals in der Geschichte keine gleichwertigen Rivalen. Sie sind weltweit der einzige Staat, der zu dauerhafter globaler Projektion militärischer Macht in der Lage ist. Sie besitzen die stärkste Volkswirtschaft der Erde, die fast über ein Jahrzehnt geboomt hat. Sie sind die Nation, die leichter als jeder andere Staat in der Lage ist, eigene Vorstellungen als weltweite Normen durchzusetzen, in Einzelfällen sogar im Alleingang. Kulturell besteht bei vielen Europäern das alte Überlegenheitsgefühl gegenüber den USA zwar fort; aber berechtigt ist das schon lange nicht mehr.
Trotz der gelegentlichen Dissonanzen, die wir in den letzten Jahren erleben, sollten wir das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren: Amerikaner und Europäer verbinden insbesondere angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und durch einen sich religiös legitimierenden Extremismus gemeinsame Werte, Interessen und letztlich Visionen, wie die Welt im 21. Jahrhundert aussehen sollte. Selbst bei dem Ziel einer intakten Umwelt liegen Grundüberzeugungen weniger auseinander als der Streit über das Kyoto-Abkommen vermuten lässt.
Europa und Nordamerika können nur gemeinsam ihre Überzeugungen weltweit schützen und verteidigen. Wenn dagegen Europa und die USA gegeneinander agieren, wird keines der globalen Probleme wirklich gelöst werden können. Solange Europa und Nordamerika bereit sind, die transatlantische Gemeinschaft als faire Partnerschaft nicht nur untereinander, sondern im Zusammenwirken mit anderen Kulturen und Religionen zu betrachten, werden uns viele Staaten und Völker weit über die euro-atlantische Gemeinschaft hinaus unterstützen. Insofern ist die transatlantische Partnerschaft eine der wichtigsten Voraussetzungen für die globale Stabilität und Sicherheit.
Dass Sie, liebe engagierte Mitbürger, diese transatlantische Partnerschaft auf der grassroots-Ebene mittragen und mitgestalten, ist vorbildlich und verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Vielen Dank!