Redner(in): Stephan Steinlein
Datum: 03.02.2015
Untertitel: Rede von Staatssekretär Steinlein beim Neujahrsempfang des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Felsner,meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2015/150203-StS_S_Osteuropaverein.html
Exzellenzen,
herzlich willkommen zum Neujahrsempfang des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft hier im Weltsaal des Auswärtigen Amts!
Erst vor wenigen Monaten haben Sie das 25-jährige Bestehen des Osteuropavereins begangen, der am 25. November 1989 nur wenige Tage nach dem Mauerfall gegründet wurde. In jenem Schicksalsjahr, auf das bezogen Francis Fukuyama das Ende der Geschichte ausgerufen hat.
Nun, von dem Ende der Geschichte sind wir weit entfernt! Gerade auch in Ihrer Region.
Seit einem Vierteljahrhundert begleitet der Osteuropaverein deutsche Unternehmen bei ihrem Weg in die Länder Mittel- und Osteuropas, Südosteuropas, des Kaukasus und Zentralasiens. Fast die ganze Zeit zeigte die Kurve - politisch und wirtschaftlich - mal steil, mal weniger steil nach oben. Bei aller Differenzierung mit Blick auf die einzelnen Länder - die Richtung war stets klar. Es ging bergauf. Optimismus war angesagt - und wurde selten enttäuscht.
Doch das letzte Jahr war sicher auch für Sie eine Zäsur. Die Geschichte ist zurück. Und sie trägt, wie so oft, Soldatenstiefel. Dass die Kurven - politisch und wirtschaftlich - alle langfristig auch in Zukunft weiter nach oben zeigen, ist vor diesem Hintergrund alles andere als ausgemacht.
Keine Frage der Osteuropaverein ist zu einer wichtigen Stimme der deutschen Wirtschaft im Ostgeschäft geworden. Er hat entscheidend dazu beigetragen, Mauern abzubauen, den Dialog zu fördern und Kontakte zu knüpfen, von denen die deutsche Wirtschaft und gerade auch der Mittelstand profitieren. Das Osteuropageschäft hat sich für viele Unternehmen als Sprungbrett zu einer erfolgreichen Internationalisierung erwiesen. So manche unserer "Hidden Champions" haben ihre internationale Wettbewerbsstärke in Osteuropa "entdeckt" und dort ihre ersten erfolgreichen Gehversuche auf dem Weltmarkt gemacht.
Der Mauerfall hat die Teilung Europas in Ost und West die alte bipolare Ordnung des Kalten Krieges überwunden. Aber das vergangene Jahr hat auch gezeigt, dass die damit verbundene Hoffnung auf eine dauerhafte partnerschaftliche Zusammenarbeit im gesamten europäischen Raum verfrüht war.
Ganz im Gegenteil: Der Ukraine-Konflikt hat längst vergessen geglaubte Gegensätze und Reflexe aus den Zeiten des Ost-West-Konflikts neu entfacht.
Durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die anhaltende Destabilisierung der Ostukraine hat Russland ein grundlegendes Prinzip der europäischen Sicherheitsordnung in Frage gestellt: die Unverletzlichkeit von Grenzen, wie sie in der Helsinki-Schlussakte und im Budapester Memorandum auch von Russland zugesichert wurde.
Dies hat und hier gibt es nichts zu beschönigen zur schwersten außenpolitischen Krise in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges geführt. Und die ist trotz aller Bemühungen der Bundesregierung und vieler Gleichgesinnter alles andere als beigelegt! Ganz im Gegenteil: Gerade die letzten Tage sind von einer erneuten Verschärfung dieser Krise geprägt. Wir als Bundesregierung werden nicht nachlassen in unserem Bemühen, auf den Weg der Verständigung und des Dialogs zu bleiben.
Aber wie es so schön heißt: It takes two to tango. Wer die Hand ausstreckt, hofft darauf, dass auch auf der anderen Seite einer ist, der die ausgestreckte Hand ergreift. Und da gibt es derzeit, ich sage es offen, von der russischen Seite wenig hoffnungsvolle Signale, dass da einer ist, der ernsthaft an einer langfristigen Verständigung interessiert ist.
Ich weiß, dass es auch bei Ihnen einige gibt, die mit der europäischen und westlichen Sanktionspolitik hadern. Aber ich frage Sie: Wäre es eine ernsthafte Option gewesen, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: "Was kümmert uns, was in der Ukraine geschieht?"
Den Versuch, sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa einseitig und ohne Achtung für staatliche Souveränität gewaltsam Grenzen zu verschieben, konnten wir nicht unbeantwortet lassen. Und überlegen Sie sich, was es bedeutet, wenn diese Art von Gewaltpolitik von uns einfach hingenommen wird!
Wir haben alles getan, dass unsere westliche Sanktionspolitik mit Augenmaß implementiert wird. Immer mit Blick auf die Verhaltensänderungen, die wir erreichen wollen! Sanktionen sind für uns kein Selbstzweck. Sie sind - ganz im Gegenteil - Teil eines zweigleisigen Ansatzes aus Druck und Dialogbereitschaft, der Russland zu einem konstruktiven, auf Beilegung des Konflikts gerichteten Verhalten zurückführen soll.
Wir haben kein Interesse daran, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Ein wirtschaftlich destabilisiertes, möglicherweise kollabierendes Russland könnte am Ende für sich selbst und andere die viel größere Gefahr sein.
Russland selbst hatte und hat es selbst in der Hand, die Sanktionen überflüssig zu machen. Gradmesser hierfür ist die Umsetzung der sog."Minsker Vereinbarungen" vom September 2014, zu denen sich auch Russland verpflichtet hat. Keine Vereinbarungen, die Russland oder die mit ihm verbündeten Separatisten überfordern!
Die Bundesregierung hat immer wieder Angebote gemacht, damit der Dialog zwischen den Konfliktparteien aufrechterhalten wird. Und wir sind dabei bis an die Grenze der Selbstverleugnung gegangen! Seit dem Jahreswechsel kamen die Außenminister Russlands und der Ukraine mit Frankreich und Deutschland schon zweimal hier in Berlin im sog."Normandie-Format" zusammen. Leider ist das, was dabei vereinbart worden ist vor allem die Einigung auf eine Demarkationslinie und der Rückzug schwerer Waffen nach wie vor nicht umgesetzt. Auch das letzte Treffen der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk ist ergebnislos verlaufen.
Stattdessen erleben wir derzeit eine neue Eskalation der Gewalt. Wir sind weiterhin der Überzeugung: Es gibt keine Alternative zu einem politischen Prozess, zu einer diplomatischen Lösung. Auch wenn viele jetzt eine militärische Unterstützung der Ukraine fordern - unsere Überzeugung ist: Das wäre kein Erfolg versprechender Weg.
Ganz im Gegenteil. Militärisch kann die Ukraine diesen Konflikt nicht gewinnen.
Wie Außenminister Steinmeier gestern sagte;"Echte politische Lösungen kommen immer am Verhandlungstisch zustande und nie im Mündungsfeuer von Gewehren."
Die Ukraine wird dann langfristig erfolgreich sein und auch die Zweifler im Osten des Landes überzeugen, wenn sie den Weg des entschiedenen Kampfes gegen Korruption und für marktwirtschaftliche Reformen geht.
Die Maidanproteste waren nicht nur ein Bekenntnis zu Europa, sie waren vor allem eine Absage an eine korrupte Oligarchenherrschaft, die das Land über Jahrzehnte zu Grunde gerichtet hat. Den Reformkurs in der Ukraine müssen wir unterstützen - und zwar ernsthaft unterstützen. Und da sind auch Sie, die deutsche Wirtschaft, gefragt.
Die vergangenen 25 Jahre haben gezeigt: Verlässliche Rahmenbedingungen und eine stabile internationale Rechtsordnung sind auch und gerade im deutschen Interesse. Unsere exportorientierte und global eng verflochtene Wirtschaft hängt von einer freien, friedlichen und regelbasierten Ordnung in der Welt ab. Für uns kann eine Werteordnung, die auf Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, aber auch auf einem liberalen Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft gründet, daher kein schmückendes Beiwerk internationaler Geschäftstätigkeit sein.
Eine regelbasierten internationale Ordnung ist vielmehr eine wesentliche Grundlage der Erfolgsgeschichte gerade auch der deutschen Wirtschaft in den vergangenen 25 Jahren vor allem mit Blick auf das dynamisch gewachsene Ostgeschäft.
Umgekehrt folgt daraus, dass dem wiedervereinigten und wirtschaftlich leistungsfähigen Deutschland, das überdurchschnittlich von dieser internationalen Ordnung profitiert hat, auch eine besondere Verantwortung zufällt, diese Ordnung zu verteidigen, vor allem Verantwortung auch durch eine aktive, mutige Außenpolitik.
Wir wissen: Die Wettbewerbssituation in vielen Ländern der Region ist schwieriger geworden. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren häufig nicht zum Besseren verändert. Doch gerade in schwierigem Fahrwasser bewähren sich die Attribute, die man deutschen Unternehmen im Ausland gerne zuschreibt: Qualität und Service, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und vor allem eine langfristige Ausrichtung des Engagements.
Wir alle werden mit Blick auf das Jahr 2015 einen langen Atem, Geduld und Beharrlichkeit benötigen. Das Auswärtige Amt wird dabei weiterhin den engen Austausch mit Ihnen als Vertretern der Wirtschaft suchen. Ihre Stimme ist wichtig und wird bei uns sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen; Ihre Interessen sind auch unsere Interessen. Und auch konstruktive Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern geradezu erwünscht.
Im Namen von Minister Steinmeier möchte ich mich bei Ihnen für Ihre Unterstützung im vergangenen Jahr danken und Ihnen ein erfolgreiches Jahr 2015 und für die heutige Veranstaltung noch viele interessante Gespräche wünschen. Ein schwieriges Jahr 2014 liegt hinter uns. Und ich hoffe, dass das Jahr 2015 in Osteuropa nicht nur negative, sondern auch ein paar positive Überraschungen für uns bereithalten wird.