Redner(in): Horst Köhler
Datum: 28. Mai 2008

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2008/05/20080528_Rede.html


Ich freue mich, heute bei Ihnen sein zu können, und will mich für die Einladung mit einer kleinen Geschichte bedanken:

Es war einmal ein Forschungsteam in einem traditionsreichen Unternehmen der Lichtindustrie, das wollte Leuchtdioden entwickeln, die sollten effizienter sein als die gute alte Glühbirne und zugleich ganz neue Beleuchtungsformen ermöglichen. Ein Dünnfilmchip sollte das Herzstück der neuen LED sein - allein: Es fehlte noch die passende optische Vorrichtung, um das Licht zu bündeln und zu lenken. Wie gut, dass man sich im Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik in Jena just zu diesem Thema schon Gedanken gemacht hatte. Gemeinsam revolutionierten Osram und das IOF die LED-Technologie; im Dezember habe ich das Projektteam dafür mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet.

Die Fraunhofer-Gesellschaft kennt und schreibt viele solche Erfolgsgeschichten - Beispiele für intelligent kombinierte Lösungen, die aus der engen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft entstehen. Wo "Made in Germany" draufsteht, ist oft genug Fraunhofer mit drin.

Die Wirtschaft treibt die Wissenschaft - indem sie Fragen aus der Praxis stellt und deren Beantwortung mit finanziert: Jeder dritte Euro für die Fraunhofer-Forschung zum Beispiel kommt von privaten Auftraggebern. Aber umgekehrt gilt natürlich auch: Die Wissenschaft treibt die Wirtschaft, indem sie mit neuen Erkenntnissen und besseren Methoden die Grundlage für innovative Produkte oder Dienstleistungen schafft. Nicht immer aber sind Unternehmen empfänglich für die Impulse aus Forschungseinrichtungen. Sie ahnen es: Jetzt kommt das Beispiel mp3. Das Potenzial dieser Fraunhofer-Entwicklung hat die Elektronikbranche in Deutschland nicht erkannt und so Marktchancen vertan. Und doch schlägt sich der Erfolg von mp3 auch hierzulande kräftig nieder - sonst hätte es 2000 nicht den Deutschen Zukunftspreis für das Entwicklerteam gegeben. Die Fraunhofer Gesellschaft selbst will mit den beträchtlichen Lizenzeinnahmen nun eine Stiftung gründen, um Schlüsseltechnologien von morgen zu fördern - mp3 könnte auch so neuen Entwicklungen den Weg bahnen.

Wer mit Innovationen aus Zukunft Gegenwart machen möchte, braucht dafür gut ausgebildete, kreative Leute. Solche Männer und Frauen zu finden und zu binden, das ist heute vielleicht eine der größten Herausforderungen - und nicht allein für Forschungsorganisationen wie die Fraunhofer Gesellschaft. Der Fachkräftemangel trifft Sie in der Wissenschaft freilich doppelt hart, denn Sie konkurrieren nicht nur mit der heimischen Wirtschaft um die besten Köpfe, sondern auch mit dem Ausland. Wenn bei uns auf 100 ältere Ingenieure nur 90 frisch Graduierte kommen, dann zeigt das: Es ist allerhöchste Zeit für systematische Nachwuchsarbeit. Wir müssen und wir können mehr dafür tun, junge Menschen schon früh für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern. Ich hoffe, dass Bund und Länder - die Nation insgesamt - um dieses Zieles willen wirklich die Kraft haben zur Zusammenarbeit. Wir brauchen Stipendien- und Mentorensysteme, die ein Physikstudium oder eine technische Ausbildung attraktiv und erfolgreich machen. Und wenn es stimmt, dass mit der Flut von Krimiserien rund um einen smarten Pathologen oder eine kluge Rechtsmedizinerin auch das Interesse an deren Fachgebiet gestiegen ist, stellt sich die Frage: Taugen pfiffige Ingenieure oder kreative Mathematikerinnen nicht auch zu Serienhelden? Vielleicht findet sich doch einmal ein Drehbuchautor, der uns eine spannende Antwort auf diese Frage gibt. Gutes Material dafür könnte er vermutlich heute auf diesem Fest der Fraunhofer-Forschung oder morgen bei meinem Besuch im Fraunhofer Institut Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen in Sankt Augustin sammeln.

Wir brauchen mehr kluge Köpfe für Forschung und Entwicklung - und die wiederum brauchen gute Rahmenbedingungen. In Deutschland könnte es darum besser bestellt sein: Das fängt mit international konkurrenzfähigen Vergütungen an, setzt sich fort in unkomplizierten Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und endet längst nicht bei der Frage, ob und wie schnell ein Forscher ein dringend benötigtes Gerät beschaffen kann. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung den Forschungseinrichtungen mehr Autonomie verschaffen will und über eine Forschungsfreiheitsinitiative diskutiert. Ich hoffe, dass daraus wirklich etwas wird. Bessere rechtliche Reglungen allein werden freilich nicht ausreichen, den Wissenschaftsstandort Deutschland dauerhaft zu stärken.

Ich bin überzeugt: Wenn wir auch kommenden Generationen Wohlstand sichern wollen, müssen wir auch bereit sein, noch mehr Geld für Forschung und Entwicklung in die Hand zu nehmen. Für mich bleiben die drei "Lissabon-Prozente" das Minimalziel, wenn wir den Anspruch haben, unseren Wohlstand auch in Zukunft zu halten. Aber selbst diesem Minimalziel sind wir bislang nur wenig näher gekommen. Da muss es umso mehr besorgen, dass auch die Wirtschaft die Ausgabensteigerungen für Forschung und Entwicklung schon wieder zurückschraubt. Wir brauchen offensichtlich neue Anreize für private Investitionen in Forschung und Entwicklung - das gilt nicht allein für das Steuerrecht und den unterentwickelten Wagniskapitalsektor. Auch Stiftungen, die nachhaltig Wissenschaft und Innovation fördern, verdienen Anerkennung und Unterstützung - Sie, lieber Herr Dr. Oetker, werden mir als Präsident des Stifterverbandes da sicherlich zustimmen.

Vor allem die Unternehmen selbst aber müssen beherzter handeln: Schließlich sind die Forschungsergebnisse von heute die Produkte von morgen und die Verkaufserfolge von übermorgen. Wir brauchen mutigere Unternehmer - und wir brauchen mehr Unternehmer: mehr junge Menschen, die sich zutrauen, aus den Ideen, die sie an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ausgebrütet haben, selbst neue Produkte zu machen, und deren Gründergeist durch Geldgeber und Berater befeuert statt behindert wird. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Wir sollten auch denen Anerkennung zollen, die unternehmerische Initiative und gute Ideen beweisen und dabei respektabel scheitern. In anderen Ländern ist solches Scheitern kein Makel, bei uns jedoch wird es leicht zur Belastung für die weitere berufliche Laufbahn oder gar den ganzen Lebensweg.

Wir brauchen aber auch die öffentliche Hand als Innovationstreiber. Der Bund sollte sich nicht auf seinem - zweifellos achtbaren - 6,5 Milliarden-Programm für mehr Innovationen ausruhen. Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind keine Wohltaten, sondern unverzichtbare und vorrangige Investitionen in die Zukunft. Und die Zukunft dieser Nation wird davon abhängen, ob wir die Kraft haben, an dieser Stelle Prioritäten zu setzen.

Klar ist aber auch: Mehr öffentliches und mehr privates Geld für die Forschung bedeutet zugleich mehr Verantwortung, damit etwas zu erreichen für die Menschen und für das Land. Innovationen kommen nicht auf Knopfdruck. Zu Recht sagen Sie, lieber Herr Bullinger, gelegentlich: Man muss viele Frösche küssen, um den Prinzen zu finden. Diese Freiheit sollen und müssen Sie in Forschung und Entwicklung haben. Wir setzen das Vertrauen in Sie alle, dass es Ihnen nicht allein ums Frösche-Zählen geht. Die Hightechstrategie der Bundesregierung, an der die Fraunhofer-Gesellschaft ja engagiert beteiligt ist, benennt 17 Felder mit besonders hohem "Prinzen-Potenzial". Ob Sie, meine Damen und Herren, diesseits oder jenseits dieser Felder Ihr Forscherglück suchen: Wir zählen auf Ihre Anstrengungen, auf Ihre Ideen und auf Ihr Können. Und wir wünschen Ihnen allen Erfolg!

Das Motto dieser Veranstaltung lautet: Menschen brauchen Zukunft - Zukunft braucht Forschung. Ich ergänze: Deutschland braucht Fraunhofer. Vielen Dank!