Redner(in): Horst Köhler
Datum: 25. September 2008

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2008/09/20080925_Rede2.html


Es ist schön, heute bei Ihnen zu sein. Andere politische Stiftungen besuche ich, wenn sie hohe Geburtstage feiern. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist ein Twen. Aber Jugend ist kein Laster und legt sich ja auch von selbst; und die heutige Feier ist ein schöner Anlass zum Besuch, also hab ' ich gerne "Ja" dazu gesagt, als Herr Fücks mich im Januar eingeladen hat.

Da haben Sie wirklich ein ziemliches Sahnestückchen von Immobilie, Respekt! Und obwohl man sich seine Nachbarn bekanntlich nicht aussuchen kann - die Böll-Stiftung hat es auch in der Hinsicht gut getroffen. Nebenan, im Deutschen Theater, ist mehr als nur Bühnengeschichte geschrieben worden. Als dort zum Beispiel Gerhart Hauptmanns "Weber" uraufgeführt wurde, da kündigte Kaiser Wilhelm II. vor Wut seine Loge. Sein Regime ist untergegangen, Hauptmanns Stücke dagegen spielen sie noch immer - Eins zu Null für die kritische Phantasie.

Zurzeit kampiert das Deutsche Theater im Zelt und stiftet damit eine Anmutung von Republik Freies Wendland - war das eigentlich mit der Böll-Stiftung abgesprochen? Und auch der riesige Bunker ist ein Nachbar mit Symbolwert, finde ich: einstmals Zeugnis einer verbrecherischen Verblendung, die ihre Strafe vorauszuahnen schien, heute Kulturspeicher - nicht nur Schwerter lassen sich umschmieden, auch die Schilde.

Eine letzte Betrachtung zu Ihrer Lage: Die Böll-Stiftung ist parteinah, aber laut Stadtplan eindeutig näher an der FDP als an Bündnis 90 / Die Grünen. Auch das haben Sie sauber eingefädelt, nur weiter so!

Parteinahe Stiftungen sollten aber nicht nur geographisch, sondern auch inhaltlich auf einen gewissen Abstand zu "ihrer" Partei achten und auf Fühlung zu anderen Ideenschmieden. Sie sollten mehr sein als Zweigbetriebe und Lautsprecher der Parteipolitik. Sie sollen Eigensinn entwickeln, Fährtensucher sein, zuständig für neue politische Konzepte. Dafür geben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ihr Geld, wenn sie die politischen Stiftungen finanzieren - und auch dieses stattliche Gebäude haben schließlich die sprichwörtliche Frau an der Kasse und der Facharbeiter mitbezahlt. Ich wünsche mir also, dass Sie bei Ihrer Arbeit hier Erwartungsdruck spüren: Sie haben Grips, und Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger kaufen und schenken Ihnen die Zeit und den Ort, um diesen Grips einzusetzen für die Verbesserung unserer Republik, für das Gemeinwohl und für Demokratie und Menschenrechte weltweit. Ist das nicht eine Riesenchance - und eine große Verantwortung?

Die politischen Stiftungen bei uns und auch die Heinrich-Böll-Stiftung werden nach meinem Eindruck dieser Verantwortung auf erfreuliche Weise gerecht. Ich weiß zum Beispiel ihre Arbeit im Ausland sehr zu schätzen. Frau Unmüßig, wir kennen uns ja schon seit meiner Zeit beim Internationalen Währungsfonds und wir haben neulich wieder miteinander beraten für mein Afrika-Forum. Diese Gespräche mit Ihnen und anderen Stiftungen sind gehaltvoll und ertragreich. Bei meinen Auslandsreisen treffe ich darum oft gleich zu Beginn die örtlichen Vertreter der politischen Stiftungen, denn deren Kenntnis der jeweiligen Probleme vor Ort und der handelnden Personen ist meist unübertroffen. Die Auslandsarbeit der Stiftungen hat sich zu einer wertvollen Ergänzung der regierungsamtlichen Außenpolitik entwickelt, auch weil die Stiftungen andere Spielräume haben als der Staat. Ihr Engagement bleibt wichtig, um weltweit die Achtung der Menschenrechte voranzubringen, Demokratie und faire Teilhabe.

Übrigens hat der Name Heinrich Böll auch und gerade in diesem Zusammenhang weltweit einen guten Klang, denn Heinrich Böll hat zeitlebens für das Recht und die Würde des Einzelnen Partei genommen, von der schonungslosen Kritik an deutscher Schuld bis zur überzeugenden Solidarität mit den Opfern des Stalinismus.

Auch im Inland ist die Stimme der Stiftungen wichtig. Bei bestimmten Themen bin ich sogar auf die Beiträge der Heinrich-Böll-Stiftung besonders gespannt. Mir als Ökonom ist das Denken in Kreisläufen und in Effizienzkategorien bei der Nutzung von Energie und Rohstoffen ebenso vertraut wie das Prinzip Nachhaltigkeit. Viel schwieriger finde ich, wie man diese guten ökonomischen Grundsätze ins Alltagsleben unseres Landes übersetzt, wie man wirtschaftliche Vernunft in Lebensführung und Zufriedenheit ummünzt, wie man Möglichkeitssinn weckt und Lust auf sauberen technischen Fortschritt, und wie man durch bewussten und bejahten Verzicht einen Zugewinn an Lebensqualität erreicht, der auch andere überzeugt.

Bernd Ulrich hat einmal geschrieben, es stehe den westlichen Industriestaaten eine "Wende zum Weniger" bevor, doch dies Weniger berge vielleicht sogar eine höhere Lebensqualität als die jetzige besinnungslose Fahrt auf dem Konsumkarussell. Aber wie finden wir hin zu dieser Transformation, wie machen wir sie attraktiv, wie gewinnen wir ihr eine große Mehrheit?

Nun könnte ein Spaßvogel dazwischenrufen: Und wenn wir diese große Mehrheit erst haben, was bleibt dann vom Alleinstellungsmerkmal der Grünen und Alternativen? Aber in der Frage steckt wieder ein spannender Kern: Was trägt eine politische Strömung künftig noch zu dem nötigen Einstellungswandel bei, deren Mitglieder nun selber individualbiographisch gutteils in die "besten Jahre" kommen? Viele, die Bündnis 90 / Die Grünen und der Böll-Stiftung innerlich nahe stehen, sind ja angekommen, um nicht zu sagen etabliert und arriviert im bürgerlichen Leben; sie haben ihre gutgehende Praxis oder Kanzlei, fühlen grün und fahren trotzdem ganz gern schnelle Autos. Welche neuen Impulse kommen jetzt von dort, wo doch obendrein die "grünen" und die bürgerrechtlichen Themen zum größten Teil politisches Allgemeingut auch der anderen Parteien geworden sind? Zu welchen neuen Horizonten könnten die Grünen und ihre Stiftung da locken und aufbrechen? Zu welchen wollen sie noch?

Als Konrad Adenauer gerade wieder einmal so richtig in Fahrt war, mahnte ihn im Bundestag ein Oppositionsführer: "Herr Bundeskanzler, seien Sie nicht so garstig zur Opposition, wir müssen alle unter demselben Himmel leben." "Da haben Sie Recht", stimmte ihm Adenauer zu,"aber wir haben nicht denselben Horizont!" Das mag damals gestimmt haben, aber es hat sich viel verändert. In den vergangenen Jahren haben die Klugen aus allen Lagern und auch die Ungebundenen sehr viel gemeinsamen Horizont entdeckt, sehr viele gute Gemeinsamkeiten in den Erkenntnissen und Erfahrungen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie weitere solche Gemeinsamkeiten entdecken und erarbeiten, dass Sie neugierig bleiben und nicht bequem werden - hier in diesem schönen neuen Haus und überall auf der Welt, wo Sie für Ihre Ideen eintreten und sie weiterentwickeln.

Alles Gute und vielen Dank fürs Zuhören!