Redner(in): Horst Köhler
Datum: 8. Juni 2009
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/06/20090608_Rede.html
Verehrte Mitglieder des Ordens Pour le mérite, liebe Lady Chatwick, meine Damen und Herren, seien Sie einmal mehr herzlich willkommen in Schloss Bellevue! Besonders herzlich möchte ich die neuen Ordensmitglieder begrüßen: Lieber Herr Grünbein, lieber Herr Professor Hänsch, lieber Herr Professor Pääbo: Es ist schön, Sie in unserer Mitte zu haben.
Abweichend vom üblichen Protokoll haben wir uns heute zunächst hier im Langhanssaal versammelt. Ich will Ihnen gleich erklären, warum:
Dazu muss ich ein wenig ausholen - genauer gesagt bis zum 27. Dezember des Jahres 1831. An diesem Tag ging Charles Darwin an Bord der "Beagle" - im Gepäck Alexander von Humboldts Beschreibung der "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents", im Kopf Bilder von gewaltigen Strömen, tiefgrünen Dschungelkathedralen und mächtigen, schneebedeckten Kordilleren.
Ähnliche Bilder sind vielleicht auch Ihnen, lieber Herr Grünbein, beim Anflug auf Venezuela in den Sinn gekommen. Ihre Dichter-Reise in die Neue Welt freilich galt den "Amazonen von Caracas" - den dort so beliebten Miss-Wahlen und damit der Suche nach menschlicher, menschengemachter Schönheit. Ich vermute, Humboldts "Hohelied von der fremden Natur" konnte Ihnen bei dieser Unternehmung allenfalls als tröstendes Kontrastmittel dienen.
Aber zurück zu Darwin. Für den nämlich wurde Humboldt zum wichtigen unsichtbaren Reisebegleiter durch die Tropen; und mehr noch - zum Erkenntnisleiter: "Er ist wie eine andere Sonne, die alles erleuchtet, was ich sehe", schrieb Darwin in sein Tagebuch.
Begegnet sind sich die beiden größten Naturforscher des 19. Jahrhunderts nur ein einziges Mal. Aber aus ihrer Korrespondenz wissen wir, wie sehr sie einander geschätzt haben - wohl auch, weil sie so viel gemeinsam hatten: den Forscherdrang; die Reiselust; den Willen, bedingungslos den Wissenschaften zu dienen; die ( finanzielle wie geistige ) Unabhängigkeit und das Vermögen, die Sicht der Menschen auf die Welt und sich selbst grundlegend zu verändern. Und noch etwas verbindet die beiden: die Mitgliedschaft im Orden Pour le mérite.
Zwar war Humboldt - der erste Ordenskanzler - schon ein knappes Jahrzehnt tot, als der Brite 1868 aufgenommen wurde. Aber ich bin sicher, Humboldt hätte diese Entscheidung sehr begrüßt. Denn von Beginn an war der Orden - entgegen manchen Strömungen der Zeit - nicht als nationales Projekt gedacht, sondern als eine weltbürgerliche Gemeinschaft großer Wissenschaftler und Künstler, als ein Ort des lebendigen Austausches über die Grenzen zwischen Ländern und Disziplinen hinweg.
Sehr bewusst hat Theodor Heuss bei der Wiederbegründung des Ordens 1952 an diese internationale Tradition angeknüpft - aus Begeisterung für das Ideal ebenso wie aus sicherem politischem Gespür. Heuss wusste, dass das geistige Leben in Deutschland nach Jahren der Abschottung, der Unterdrückung und des furchtbaren Aderlasses nicht zuletzt Weltoffenheit brauchte. Und er wusste, dass der Weg der Deutschen zurück in die Gemeinschaft der Völker unbedingt auch über die Wissenschaften und die Künste führte.
Die Wiederbelebung des Ordens Pour le mérite war auf doppelte Weise ein Geschenk für die junge Bundesrepublik: Sie erinnerte uns Deutsche und die Welt an unsere guten Traditionen. Zugleich entstand mit dem Orden in unserem Land wieder ein internationaler Austausch der Gedanken, mehr noch: eine Quelle für Verständigung und für Versöhnung. Wissenschaftler und Künstler aus dem Ausland und unter ihnen besonders jene, die während der Nazi-Herrschaft aus Deutschland vertrieben worden waren, bewiesen mit ihrer Mitgliedschaft im Orden vor allem eins: Vertrauen in den deutschen Neuanfang, Vertrauen in die guten geistigen und kulturellen Kräfte unseres Landes, Vertrauen in seine Menschen.
Wir Deutsche sind dankbar dafür. Und wir sollten froh und auch ein bisschen stolz darauf sein, dass wir den Orden Pour le mérite haben. Der Orden leuchtet in Deutschland und er leuchtet für Deutschland in der Welt. Seinen Glanz verdanken wir Ihnen, seinen Mitgliedern, und Ihrer Exzellenz in den Wissenschaften und Künsten.
Um solcher Dankbarkeit und Anerkennung staatlicherseits besonderen Ausdruck zu verleihen, hat Theodor Heuss den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland gestiftet. Dessen Stern wird seit langem allen Deutschen verliehen, die neu in den Orden Pour le mérite aufgenommen werden. Bei den ausländischen Mitgliedern des Ordens gibt es diese durch Tradition gewachsene Regel noch nicht.
Professor Albach und ich haben uns gefragt: Warum eigentlich? Und wir haben keine überzeugenden Gründe für die Ungleichbehandlung gefunden. Darum rücke ich sie heute ein für allemal zurecht: Ich zeichne alle ausländischen Mitglieder mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern aus, die dieser Ehrung noch nicht teilhaftig geworden sind. Und ich freue mich darauf, künftig bei den neuen Mitgliedern des Ordens Pour le mérite keinen Unterschied mehr zu machen, was die Auszeichnung mit dem Stern anbelangt.
Die Anregung zu dieser Neuerung ging wie angedeutet auch von Ihnen aus, lieber Herr Professor Albach. Ihre Zeit als Ordenskanzler endet nun bald. Als hervorragender Wirtschaftswissenschaftler sind Sie mir natürlich seit Jahrzehnten ein Begriff. Nun habe ich mit großer Sympathie und Anerkennung verfolgt, wie intensiv und innovativ Sie sich auch jenseits der Ökonomie, als Ordenskanzler, engagiert haben. Herzlichen Dank dafür!
Sie haben dabei auch behutsam und nachdrücklich eine Reihe von Änderungen vorangebracht, die die internationale Dimension des Ordens noch stärker zur Geltung bringen und die seinen Dialog mit der interessierten Öffentlichkeit intensivieren sollen. Als Protektor des Ordens begrüße ich beide Ziele, denn im Zeichen der internationalen Vernetzung der Welt kommt es auf beides an: auf den lebendigen Austausch über alle Grenzen von Staaten, Kontinenten und Kulturen hinweg und auf die Besinnung, welche Stärken wir Deutsche pflegen sollten und welche Fragen vertiefen und wo wir von anderen lernen können.
Kurz: Je mehr wir uns gegenseitig neue Perspektiven eröffnen, je mehr wir uns bemühen, einander zu verstehen und gemeinsam neu zu denken, desto besser wird uns das Zusammenleben in dieser Einen Welt des 21. Jahrhunderts gelingen.
Und deshalb die nachdrückliche Bitte: Lassen Sie nicht nach in Ihren Bemühungen, den Orden noch weiter zu öffnen. Mich würde es besonders freuen, wenn Sie dabei auch an einen Kontinent dächten, den Humboldt und Darwin nur in Gedanken besuchten: Afrika.
Ich will Ihnen meinerseits versprechen, auch künftig die Internationalität des Ordens Pour le mérite mit meinen Mitteln zu beleuchten - und zu den schönsten dieser Mittel gehört der Stern des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Und den wollen wir nun gleich elfmal strahlen lassen.