Redner(in): Horst Köhler
Datum: 22. Juni 2009

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/06/20090622_Rede2.html


Eigentlich ist es unüblich, dass ich einen solchen Anlass wie heute mit einer Geschichte von mir beginne, aber: Als ich Ihre Lebensläufe las, hat mich berührt, dass sich viele von Ihnen auch in einem Eine-Welt-Laden engagieren. Das ist für mich wie ein Stück Heimat, denn mit einem solchen Laden verbinden meine Frau und ich eigene Erfahrungen. Vor langen Jahren haben wir gemeinsam mit Freunden einen Dritte-Welt-Laden - wie das damals noch hieß - im schwäbischen Herrenberg gegründet. Wir wollten einfach etwas gegen die Armut in der Welt tun und sie nicht als eine unveränderliche Tatsache akzeptieren. Auch Sie treibt dieses Anliegen um. Das finde ich gut! Dass wir dabei heute bewusst von Eine-Welt-Läden sprechen, zeigt, dass sich seit damals doch Einiges verändert hat. Wir haben lernen müssen, dass wir die drängenden Probleme unserer Zeit nur gemeinsam lösen können. Dabei sehen wir die Menschen in den Entwicklungsländern als Partner - nicht mehr nur als Hilfeempfänger. Partner, die auf die Globale Ökologische Frage und auf die Globale Soziale Frage gemeinsame Antworten finden müssen.

Sie haben Ihre persönliche Antwort darauf schon gefunden. Und ich freue mich, Sie heute dafür auszeichnen zu können. Die Bandbreite Ihrer Aktivitäten hat mich beeindruckt. Sie setzen sich für mehr Gerechtigkeit im Welthandel ein. Sie fördern den Bau von Schulen und kümmern sich darum, dass junge Menschen eine Berufsausbildung erhalten. Sie richten dabei ein besonderes Augenmerk auf benachteiligte Kinder und AIDS-Waisen. Sie engagieren sich für die Verbesserung des Gesundheitssystems, bauen Kliniken und Krankenstationen und bilden Fachpersonal aus. Sie verwenden Ihren Jahresurlaub, um kostenlos Kranke zu behandeln. Damit helfen Sie bei der Verbesserung der Lebensbedingungen armer Menschen insgesamt. Und all dies in enger Zusammenarbeit mit Ihren einheimischen Partnern.

Sie tun jedoch nicht nur viel. Sie packen Grundlegendes an! Mit Ihren Projekten tragen Sie konkret dazu bei, dass Menschen Zugang zu Bildung, Gesundheitsdiensten und sauberem Wasser erhalten.

Dabei sehe ich staatliche Programme und Ihre privaten Initiativen als sich gegenseitig ergänzende Bausteine auf dem Weg zu einer guten Entwicklung. Bürgerschaftliches Engagement kann und darf die staatliche Zusammenarbeit und Verantwortung nicht ersetzen. Aber fest steht: Initiativen der Zivilgesellschaft werden immer wichtiger. Sie erfüllen Begriffe wie Partnerschaft und Völkerverständigung mit Leben. Und sie bauen Brücken: zwischen Städten und Gemeinden, zwischen Schulen, zwischen Menschen.

Dabei, liebe Gäste, erzeugen Sie einen entscheidenden Mehrwert. Denn Sie leisten nicht nur wertvolle Arbeit vor Ort, in den Partnerländern. Sie geben Ihre Erfahrungen auch an die Menschen hier in Deutschland weiter. Dadurch schaffen Sie Verständnis für die Zusammenhänge in unserer Einen Welt. Und Sie zeigen, dass jeder Einzelne eben doch etwas ändern kann. Überzeugungskraft entsteht aus praktischem Handeln. Oder wie Albert Schweizer es einmal ausgedrückt hat: "Mit gutem Beispiel voranzugehen ist nicht nur der beste Weg, andere zu beeinflussen - es ist der einzige".

Diese Ordensverleihung steht unter dem Motto: "Miteinander in Einer Welt". Ich freue mich besonders, dass auch die Botschafter einiger Länder, in denen sich unsere Ordensträger engagieren, gekommen sind. Mit ihrer Anwesenheit machen sie deutlich, wie wichtig ihnen dieses bürgerschaftliche Engagement ist. Ich möchte Sie alle ermutigen, die Gelegenheit der Begegnung zu nutzen. Die heutige Veranstaltung bietet die schöne Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das ist gut, denn wie häufig hat der sprichwörtliche "kurze Draht" schon geholfen, wenn es darum ging, praktische Probleme, etwa bei der Einfuhr von Hilfsgütern, zu überwinden.

Allein bei VENRO, dem entwicklungspolitischen Dachverband deutscher Nichtregierungsorganisationen, sind etwa 2.000 lokale Initiativen und Vereine organisiert, die sich für die Eine Welt einsetzen. Die Deutschen spenden jährlich mehrere Milliarden Euro für gemeinnützige Zwecke, das meiste davon für humanitäre Projekte. Diese Zahlen dokumentieren, wie groß die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist. Wie viel das Engagement des Einzelnen wirklich wert ist, lässt sich aber nicht in Zahlen erfassen. Denn es geht hier um Menschen, die durch ihre Arbeit in Afrika, in Lateinamerika und in Asien ein Zeichen der Solidarität, der Verbundenheit und der Mitmenschlichkeit setzen.

Und dieses Handeln ist heute umso wertvoller, als in den Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise die Beschäftigung mit den eigenen Problemen oft in den Vordergrund rückt. Dabei muss uns gerade die gegenwärtige Krise klar machen, dass wir als Menschen in der Einen Welt aufeinander angewiesen sind. Wohlstand und Frieden kann es auch in den Industrieländern dauerhaft nur geben, wenn mehr Gerechtigkeit in die Welt kommt. Dass unsere heutigen Ehrengäste dies längst erkannt haben, stellen sie mit ihrer Arbeit tagtäglich unter Beweis - viele von Ihnen seit Jahrzehnten.

Es ist mir eine Ehre, dass ich Sie heute auch stellvertretend für viele andere, die in Ihren Projekten mitarbeiten, mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen kann. Dabei möchte ich Sie ermutigen: Tragen Sie Ihren Orden, damit Sie auch andere anstiften, Ihrem Beispiel zu folgen. Denn Vorbilder sind umso wirksamer, je sichtbarer sie sind.