Redner(in): Horst Köhler
Datum: 27. Oktober 2009

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/10/20091027_Rede2.html


Seit es Menschen gibt, gibt es Spielzeuge. Und als stete Begleiter reflektieren Spielsachen des "Homo ludens" immer auch seine Lebensumstände. Ein Besuch in einem der vielen Spielzeugmuseen Deutschlands zeigt das. Angefangen von Holzspielzeugen über Blech, Eisen bis zu Kunststoffen; von einfachen Maschinen bis zu den heutigen Computerspielen sehen die Besucher, wie sich die Materialien, die Technik und die Spielinhalte im Lauf der Zeit gewandelt haben.

Heute eröffnen wir eine Ausstellung mit Spielzeug aus Afrika. Und auch hier sagen uns diese Spielzeuge etwas über die Lebensumstände in Afrika. Was auf den ersten Blick natürlich ins Auge springt, ist die materielle Armut der Kinder. Das Spielzeug besteht zum größten Teil aus Dingen, die Andere achtlos weggeworfen haben. Stoffreste, leere Flaschen und alte Badelatschen sind dabei, genauso Pappkartons, Kronkorken und Draht.

Wer in Afrika gereist ist, kennt die Bilder der Kinder, die buchstäblich im und mit Müll spielen. Für sie und ihre Eltern ist es unvorstellbar, einfach in einen Laden zu gehen und sich ein Modellauto zu kaufen - sie müssen es sich selber bauen.

Die Armut prägt das Leben der Kinder und ihre Spielzeuge in Afrika. Die Sammlerin der Exponate, Frau Virnich, hat die Geschichten der Kinder dokumentiert. Sie selber kann dazu viel mehr sagen als ich. Ich will nur eines anmerken: Für jeden Museumsbesucher wird offensichtlich, dass sich die Sehnsucht der Kinder nach einem Leben ohne Gewalt und mit Chancen auf ein besseres Leben wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung hindurch zieht.

Und dabei hat schon jedes der Kinder alleine durch sein schieres Überleben eine große Hürde genommen. Nach Berechnungen von UNICEF weist Afrika südlich der Sahara die weltweit mit Abstand höchste Kindersterblichkeit auf; jedes sechste Kind stirbt dort immer noch vor seinem fünften Lebensjahr. Und wenn sie denn das fünfte Lebensjahr erreichen, geschieht es immer noch viel zu häufig, dass Kinder zu Soldaten werden. Das ist, ich muss das so deutlich sagen, ein Skandal: ein Skandal für Afrika und ein Skandal für unsere Eine Welt.

Dabei sind es keine unheilbaren Erkrankungen, an denen die Kinder sterben: Durchfallerkrankungen, chronische Unterernährung, Malaria, Lungenentzündung und die Übertragung von HIV von Müttern auf ihre Kinder. Es ist daher wichtig, dass Gesundheitsprogramme in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit auch weiterhin konsequent die Lage der Kinder im Auge behalten. Gesundheit ist die Basis, damit die Kinder ihre Chancen auf Bildung überhaupt erst wahrnehmen können. Alles andere baut auf ihr auf.

Wenn wir uns also nachher die Spielzeuge ansehen, sollten wir immer im Auge behalten, dass es sich nicht nur um Spielsachen, sondern auch um Spielwaren handelt. Die Armut zwingt viele Kinder dazu, mit den Spielwaren Geld zu verdienen. Sie verkaufen sie an andere Kinder, an Händler und auch direkt an Touristen. In Afrika ist aus der Herstellung dieser Art Spielzeug inzwischen ein kleiner Wirtschaftszweig entstanden. Im Katalog finden Sie Beispiele von Kindern, die mit dem dabei verdienten Geld ihre Ausbildung finanzieren. Das ist sicherlich gut. Es darf jedoch nicht passieren, dass bei dieser Weiterverarbeitung von Müll die Lebensumstände der Kinder übersehen oder vergessen werden und sie irgendwann zu einem trivialen Markenzeichen eines Kontinents wird, der von Armut geprägt ist.

Ich habe viel darüber gesagt, was uns die Spielzeuge über die Armut der Kinder und ihrer Eltern sagen. Es existiert aber auch noch eine andere Seite, denn sie sind genauso Ausweis von der Kreativität und Erfindergabe der Kinder. Die Sammlerin, Frau Virnich suchte nach eigener Aussage nach "Rohlingen kindlicher Genialität". Wir können uns gleich gemeinsam überzeugen: Ihre Suche war offensichtlich erfolgreich.

Das Spielzeug zeigt, welche Talente in den Kindern schlummern. Stellen Sie sich vor, was aus den Kindern Afrikas werden könnte, wenn sie ähnliche Startbedingungen und Möglichkeiten hätten wie ihre Altersgenossen hierzulande? Wer einen Hubschrauber aus Badelatschen bauen kann, dem würden bei uns als Mechaniker vermutlich Tür und Tor geöffnet. Wer aus alten Drahtstücken ein Fahrrad konstruieren kann, müsste eigentlich auch als Ingenieur erfolgreich sein.

Lassen Sie es aber beim Staunen nicht bewenden. Jeder Einzelne kann dazu beitragen, dass es den Kindern besser geht."Gemeinsam für Afrika" zeigt mit seinen Projekten, was man auch aus der Ferne für afrikanische Kinder tun kann.

Diese Ausstellung stimmt mich aber auch nachdenklich, wenn ich an das Verhältnis von Kindern und Spielsachen in Deutschland denke. Der Kontrast zwischen selbstgebautem Spielzeug aus Afrika und den Produkten der Spielwarenindustrie in Deutschland, zwischen einem Pappkarton und einem Gameboy ist offensichtlich. Die vielen Workshops an deutschen Schulen zu afrikanischem Spielzeug vermitteln den Kindern in Deutschland nicht nur die materielle Armut Afrikas, sondern auch seinen schöpferischen Reichtum in der Verwendung von Material. Sicherlich: Diese Schaffenskraft ist der Not geschuldet - die Kinder haben einfach nichts anderes. Aber jeder, der einmal mit Kindern gemeinsam gebastelt hat, kennt deren Freude an der Gestaltung und weiß, welch hohe Bedeutung dies für die kindliche Entwicklung hat. Wenn also das Beispiel afrikanischen Spielzeugs in Deutschland noch mehr Eltern und Kinder die Freude an der eigenen Schaffenskraft wiederentdecken lässt, dann hat die Ausstellung noch einen wichtigen, zusätzlichen Denkanstoß gegeben. Wir können auch hier von Afrika lernen.

Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg.