Redner(in): Roman Herzog
Datum: 24. April 1998

Anrede: meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1998/04/19980424_Rede.html


Majestäten,

der französische Schriftsteller Romain Rolland hat vor einer Reihe von Jahren einmal geschrieben, daß eine Diskussion unmöglich ist mit jemandem, der vorgibt, die Wahrheit nicht zu suchen, sondern schon zu besitzen.

Ich freue mich, daß heute gleich mehrere der - nicht nur im Nahen Osten seltenen - Politiker anwesend sind, die zur "Suche der Wahrheit" und Diskussion bereit sind. Gemeinsam wollen wir einen der wichtigsten und einflußreichsten Politiker der heutigen Zeit ehren: König Hussein von Jordanien, der seit mehr als 40 Jahren wie kein zweiter eine Politik des Friedens, des Ausgleichs und der Gesprächsbereitschaft verkörpert.

Als ich Ihnen, Majestät, zum ersten Mal begegnete, da lernte ich einen Menschen kennen, der sein persönliches Schicksal wie in einem unauflöslichen Gewebe mit dem seiner Nation verbunden hat.

Ich begegnete einem Staatsmann, der um Lösungen kämpfte, einem Visionär, der sich in seinem Ziel, einem gerechten und dauerhaften Frieden, durch nichts entmutigen ließ. Durch Sie wurde mir die Vielschichtigkeit und Differenziertheit des Nahen Ostens erschlossen.

Ihr Laudator sein zu dürfen, ist eine hohe Ehre und gleichzeitig ist es mir ein Herzensanliegen. Denn in Ihrem Lebenslauf offenbaren sich Muster des Denkens, auf die wir alle angewiesen sind, wenn wir den Frieden in der Welt unserer Zeit sichern wollen.

Ihr politisches Leben ist nicht in einer geraden Linie verlaufen. Es war gezeichnet von schweren Prüfungen und langen Geduldsproben, aber auch von unverhofften Chancen als Resultat beherzten Handelns und von glänzenden Erfolgen.

Sucht man nach den Wurzeln Ihres unbeirrbaren Friedenswillens und des bedingungslosen Einsatzes für Ihr Volk, so haben Sie uns selbst den Schlüssel dafür gegeben: Nach Ihrem eigenen Bekenntnis war es die Ermordung Ihres Großvaters, König Abdallahs, im Jahr 1951, die den größten Einfluß auf Ihr politisches Leben hatte.

Abdallah verlor durch ein Attentat in der Al Aksa Moschee sein Leben. Sie selbst standen nur wenige Meter von ihm entfernt und entgingen der für Sie bestimmten Kugel nur durch ein Wunder: Das Geschoß blieb in einem der Orden Ihrer Uniform stecken, auf der Ihr Großvater an diesem Tag bestanden hatte.

Welch eine Fügung! Noch am Vorabend hatte der König Ihnen, in visionärer Voraussicht, das Versprechen abgenommen, stets das Beste für Ihr Land zu geben und dem Volk Jordaniens verantwortlich zu dienen. Sie haben dieses Vermächtnis erfüllt. Trotz dieser traumatischen Erfahrungen ist aus Ihnen ein Kämpfer geworden. Ein Kämpfer für Frieden und Aussöhnung.

Das Beispiel zeigt: Menschliches Leben mag durch Mörder ausgelöscht werden. Träume bleiben aber und Träume bewegen die Welt.

Für Ihr Land und Ihr Volk haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten Großes geleistet und Großes erreicht. Ihre kluge Politik hat das Beste aus eine oftmals schwierigen Lage gemacht. Dabei kamen Ihnen herausragende persönliche Qualitäten zugute, unter denen ich vier hervorheben möchte. Vier, weil ich glaube, daß sie für Ihr Wirken und für den Fortgang des Friedensprozesses im Nahen Osten von entscheidender Bedeutung sind: erstens die Kraft Ihrer Ideen; zweitens Ihre Fähigkeit zum Pragmatismus, mit dem Sie die Verwirklichung dieser Ideen anstreben; drittens Ihr Denken in regionalen und globalen Zusammenhängen; und viertens Ihre Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu erreichen, wozu auch Ihre fast schon legendäre Unerschrockenheit und Ihr Mut gehören.

Jeder dieser vier Punkte hätte eine eigene Laudatio verdient und wäre ein ausreichender Grund für die Verleihung des deutschen Medienpreises. Zusammengenommen stellen sie die tragenden Säulen Ihrer zukunftsweisenden Politik dar.

Lassen Sie mich zu allererst Ihre Rolle als Visionär hervorheben, denn immerhin geben uns Visionen und Träume eine Ahnung davon, wie eine Welt ohne Furcht und ohne Angst aussehen könnte. Als Motor realer Veränderungen und als Kraftquelle der Menschheit ist der Mut dazu der Schlüssel aller Dinge. Sie, König Hussein, ebenso wie Simon Peres, Yassir Arafat und Itzak Rabin haben diese Kraft der Visionen genutzt, um Speicher der Hoffnungen anzulegen, die - um es biblisch zu sagen - die sieben mageren Jahre des Heute überstehen werden.

In der Geschichte gibt es Ideen, die unwiderstehlich sind, weil sie der tiefsten Sehnsucht der Menschen entspringen. Ein Beispiel dafür ist die Idee des Friedens und der Freiheit.

Der totalitäre europäische Sozialismus hatte gegen die Idee der Freiheit keine Chance. So war die deutsche Wiedervereinigung das Ergebnis der Sehnsucht der Menschen nach Freiheit.

Ebenso wird sich die Ursehnsucht der Menschen im Nahen Osten nach einem gerechten Frieden gegen Haß, Trennung und Feindschaft durchsetzen!

Die Aufhebung der Apartheid in Südafrika und der jüngste Friedensschluß in Nordirland sind schlagende Beispiele für Veränderungen, die ohne diese Sehnsucht der Menschen nicht möglich gewesen wären. Ich sehe nicht, warum das im Nahen Osten nicht auch so sein sollte. Auch hier wird sich zeigen, daß die Visionäre von heute die Realisten von morgen sind:

Eines Tages wird der Nahe Osten eine Region sein, - in der hervorragend ausgebildete Menschen und der Reichtum an natürlichen Ressourcen endlich zum Wohl aller, in ihrem ganzen Potential, genutzt werden können; in der Elend und Flüchtlingslager auf immer der Vergangenheit angehören; in der die Wüste über Grenzen hinweg zum Blühen gebracht wird; und in der die Menschen ohne Angst zusammen leben können.

Die Formulierung einer Friedensvision schafft allerdings noch keine Fakten. Frieden wird niemandem geschenkt. Er ist das Werk vieler kleiner Schritte. Er ist das Werk harter Arbeit und vor allem: Er verlangt Geduld. Er verlangt die Aussöhnung im Alltag, das Erlernen eines neuen Zusammenlebens, unendlich viele kleine Gesten und die Bereitschaft, in der Fremdartigkeit anderer keine Bedrohung mehr zu sehen.

Damit komme ich zu der zweiten Qualität, die ich an Ihnen hervorheben möchte, nämlich zu dem Pragmatismus, den Sie bewiesen haben, als Sie dafür Sorge trugen, daß das Friedensabkommen mit Israel durch Vereinbarungen zu Themen wie Wasser, Sicherheit, Umweltschutz, Handel, Wissenschaft, Verkehr ergänzt und auf diese Weise mit Leben erfüllt wurde. Sie wußten, daß Geduld die Waffe des klugen Staatsmanns ist. Als Angehöriger einer Familie, deren Wurzeln auf den Propheten Mohammed zurückgehen, sind Sie gewohnt, in langfristigen Kategorien zu denken.

Geduld ist freilich nur ein Aspekt pragmatischer Politik. Ein anderer ist die Bereitschaft zu lernen und auf Vernunft und Erfahrung statt auf Macht zu bauen.

Karl Deutsch hat einmal geschrieben: "Macht ist das Privileg, Irrtümer nicht korrigieren zu müssen." Diese Art von Macht haben Sie nie angestrebt und daher auch nie besessen. Der Pragmatismus, den Sie vorleben, ist gefeit vor der Arroganz der Macht und der Blindheit der Dogmen. Er ist eine Philosophie des Lernens, eine Methode von Versuch und Irrtum, und damit Teil einer Tradition der Weisheit, die in Ihrer Region tief verwurzelt ist. Sie verbindet sich schon mit Namen wie dem des Sultans Salah ed Din, der uns Deutschen in Geschichte und Literatur als Saladin bekannt ist.

Schon vor fast 1000 Jahren lehrte und praktizierte er das Zusammenleben von Menschen und Religionen. In einer Region, in der sich die Kulturen der Welt begegnen, förderte er den Austausch zwischen Orient und Okzident. Er steht noch heute für Staatskunst und für die Methode der Toleranz und Kompromißbereitschaft.

Dieselbe Verbindung östlicher und westlicher Erfahrungswelten, östlicher und westlicher Rationalität, finden wir in Ihrem auf Integration bedachten politischen Denken wieder.

Sie haben - und damit komme ich nun zum dem dritten Gütezeichen Ihres politischen Handelns - die überragende Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit erkannt. Sehr früh haben Sie gesehen, daß das Schicksal Jordaniens nicht vom Schicksal der anderen Staaten im Nahen Osten getrennt werden kann. Und stets beziehen Sie das Wissen um die Spielräume der anderen in das eigene Vorgehen mit ein.

In der globalen Welt von heute reicht die Bedeutung von Kooperation und Interdependenz weit über die Zusammenarbeit innerhalb einer Region hinaus. Auch Europa und die übrige Welt werden sich ohne Fortschritte im nahöstlichen Friedensprozeß ihres Wohlstands und ihres Friedens nicht dauerhaft erfreuen können. Dabei denke ich nicht nur an die geopolitischen und geoökonomischen Faktoren Ihrer Region, etwa den Suezkanal oder die Öllagerstätten. Mir geht es auch um die Vollendung der kulturellen Begegnung zwischen Orient und Okzident, wie sie zu Saladins Zeit begonnen hat und in der Medizin, in der Überlieferung der Schriften von Aristoteles und Plato durch Ibn Sina und Ibn Rushd und in Goethes west-östlichem Diwan so fruchtbar fortgesetzt wurde. Es gibt keinerlei vernünftigen Grund, diese Tradition heute nicht endlich weiter zu entwickeln.

Die Region, in der die jüdische, die christliche und die islamische Tradition ihren gemeinsamen Ursprung haben, hat heute die einmalige Chance, wieder zu einer Quelle der Mitmenschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Menschenwürde zu werden. Der deutsche Dichter Gotthold Ephraim Lessing hat in seiner "Ringparabel" beschrieben, worum es geht: Praktische Humanität ist der Kern jeder Religion, in welcher Form sie auch auftreten mag. Und aus der Tradition der Geschichte und aus dem Wissen um die gemeinsame Wurzel der Abkömmlinge Abrahams müssen wieder Kraftquellen für die Zukunft werden!

Als vierten Punkt möchte ich schließlich die allseits bekannte und allseits geschätzte, vor allem aber glaubwürdige Kommunikationsfähigkeit hervorheben, mit der es Ihnen immer wieder gelingt, die Herzen der Menschen zu erreichen und zu bewegen.

In der arabisch-orientalischen Welt hat Kommunikation als Mittel der Friedensstiftung ja eine lange Tradition: Denken Sie an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, dem wohl schönsten Geschenk des Morgenlandes an die Welt: Dort errettet Sherasad nicht nur ihr eigenes Leben, sie befreit auch den grausamen König von seiner eigenen Rachsucht - die in frappierender Weise an die nur psychologisch erklärbaren Reaktionen mancher heutiger Fanatiker erinnert. Das Mittel, das Sherasad zu dieser Befreiung aus dem Zirkel der Gewalt einsetzt, ist die Sprache. Es sind, in unseren heutigen Begriffen gesprochen, Diplomatie und Kommunikation gleichermaßen.

In einer Welt der Vielfalt der Möglichkeiten, die von Antagonismen zwischen Fortschritt und Beharren, zwischen Säkularismus und Tradition geprägt ist und die zugleich von Fundamentalismen aller Art bedroht wird, brauchen wir Mittler zwischen den Kulturen, Menschen, die beide Seiten verstehen.

Sie, Majestät, kennen den Osten und den Westen. Gleiches gilt für Ihre bewundernswerte Frau, Königin Nur. Als Jet-Pilot verstehen Sie die Technik des 20. und 21. Jahrhunderts und haben sich dennoch die Einsicht in Tiefe und Reichtum der Kultur und der Traditionen des Ostens bewahrt. Gerade von Ihnen und Ihrer Politik erwarten wir uns daher Vermittlung zwischen den Welten und Kulturen.

Zur Verleihung des deutschen Medienpreises möchte ich Ihnen von ganzem Herzen gratulieren. Dieser Preis ist eine Anerkennung für die von Ihnen verkörperten Qualitäten: für visionäre Kraft, für Pragmatismus, für Kooperationsbereitschaft und - nicht zuletzt - für Kommunikationsfähigkeit.

In einer Welt, die - seit dem Ende des Kalten Krieges - allenthalben Grenzen abbaut, Gräben überwindet, Rassen und Religionen miteinander versöhnt, darf der Nahe Osten nicht als letzte und gefährlichste Konfliktregion zurückbleiben. Die Politik des Ausgleichs und der Verständigung darf gerade hier nicht unter den Einfluß von Extremisten geraten.

Der Friedensprozeß muß weitergehen und er muß wieder konkreter werden. Von der Ebene der Verträge muß er auf die des alltäglichen Zusammenlebens überführt werden. Frieden zu schaffen bleibt die Aufgabe unserer Zeit!

Das Versprechen, das Sie vor fast 47 Jahren unter dramatischen Umständen Ihrem Großvater gegeben haben, haben Sie nicht nur erfüllt: Sie haben mehr als das getan. Nicht nur Jordanien hat Ihre besten Qualitäten kennengelernt, sondern eine ganze Region der Welt, ja die Welt selbst, konnte von Ihnen und Ihrem Friedenswillen profitieren: "Ismuhu Sharif, Shachsuhu Sharif, Nafsuhu Sharif". Und für die, die nicht so gut Arabisch können wie ich selbst, sage ich es auch auf Deutsch: Sein Name ist edel, sein Charakter ist edel, und er selbst ist edel!