Redner(in): Christian Wulff
Datum: 9. Mai 2011
Ich freue mich sehr, Sie und so viele Gäste heute Abend im Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen. Weniger als zwei Kilometer von hier stand 30 Jahre die Berliner Mauer: Symbol eines geteilten Deutschlands und eines geteilten Europas. Der Eiserne Vorhang war nahezu unüberwindlich und schien von unabsehbarer Dauer. Heute dagegen wissen viele junge Menschen gar nicht mehr, wo die Berliner Mauer einst stand und wie es zur Zeit der Teilung war. Auch die innerdeutsche Grenze ist allenfalls noch als "freies Bau- und Naturschutzgebiet" erkennbar.
Korea dagegen wird immer noch von einer Grenze geteilt, die die Menschen unbarmherzig voneinander trennt. Die Menschen im Norden leben in einer Diktatur. Und fast 60 Jahre nach dem Waffenstillstand sterben weiterhin Menschen in diesem Konflikt. Unser Mitgefühl gilt allen Opfern dieser Gewalt. Wir Deutschen haben die Schmerzen der Teilung am eigenen Leib erfahren. Daher setzen wir alle unsere Möglichkeiten ein, um eine friedliche Lösung auf der koreanischen Halbinsel zu unterstützen.
Ich bin zuversichtlich, dass eines Tages auch die innerkoreanische Grenze verschwinden wird. Auch wenn wie im letzten Jahr Rückschläge zu überwinden sind, wird dieser Tag kommen. Wir Deutsche wünschen es Ihrem Volk. Die lange Geschichte der koreanischen Nation spricht eine deutliche Sprache. Starke gemeinsame Symbole wie zum Beispiel der heilige Berg Paektu bilden kulturelle Kraftquellen, die auch über schwere Zeiten tragen. Mut und Beharrungswillen haben die Koreaner in ihrer Geschichte immer wieder gezeigt. Ich erinnere mich gut daran, wie die Bürger von Südkorea selber ihre Demokratie mühsam errungen haben. In Ihrem Lande, Herr Präsident, hat sich der Wunsch nach Freiheit, Teilhabe, Rechtssicherheit und Wohlstand Bahn gebrochen. Die jüngsten Ereignisse in Nordafrika zeigen uns, wie sehr dieser Wunsch auch in anderen Ländern geteilt wird. Wir wollen dazu beitragen, dass immer mehr Völker ihr Streben nach Demokratie verwirklichen können.
Viele Deutsche konnten sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bild aus erster Hand von der koreanischen Leistungsfähigkeit machen - ganz gleich, ob Schulter an Schulter mit einem Kumpel unter Tage oder Hand in Hand mit einer Krankenschwester. Der Anteil der Männer und Frauen aus Korea am Aufschwung unseres Landes bleibt unvergessen. Dafür sind wir Deutschen sehr dankbar.
Ein Blick in den Saal unterstreicht für mich: Deutschland und Korea stehen auch heute auf diesem starken Fundament menschlicher Kontakte. Die vielen in Deutschland lebenden Koreaner und immer mehr deutsche Korea-Kenner sind mit ihren persönlichen Bindungen an das andere Land ein wertvoller Schatz. In Ihrem Land ist mir immer wieder eine ganz besondere Nähe zu Deutschland begegnet, zu deutschem Recht, zu deutscher Kultur. Austauschfreudige Hochschulen, Kultureinrichtungen und Unternehmen tragen weiter dazu bei, dass die Intensität in unseren Beziehungen noch stetig steigt. Auf diese Offenheit füreinander und die Neugierde aufeinander sind gerade unsere beiden Länder angewiesen, die von globalen Wirtschafts- , Kultur- und Wissenschaftsströmen besonders profitieren.
Dabei schadet auch ein gesunder Wettbewerb den Beziehungen nicht. Sei es im wirtschaftlichen oder wie dieser Tage im sportlichen Bereich. Wer eine Leichtathletik-Weltmeisterschaft oder eine Frauenfußball-Weltmeisterschaft ausrichtet, ist bestimmt auch guter Gastgeber der Olympischen Spiele. Sie haben es 1988 gezeigt, wir 1972. Lassen Sie uns der Welt zeigen, wie ein fairer Wettstreit aussieht.
Um Fairness geht es auch bei der Ausgestaltung globaler Regeln. Ihr Land hat im letzten Jahr mit der Übernahme der G-20 -Präsidentschaft eindrucksvoll bewiesen, wie die Stimme Koreas dazu beitragen kann, die vielen globalen Herausforderungen anzugehen. Noch sind erst wenige Grundzüge eines globalen Ordnungsrahmens erkennbar, der für das Funktionieren der weltweiten Finanzmärkte unabdingbar ist. In der Frage der weltweiten Armutsbekämpfung kann sich Korea mit seiner eigenen Erfolgsgeschichte besonders glaubwürdig einbringen. Und für das zukünftige Zusammenleben auf unserem Planeten bleibt entscheidend, ob wir die Herausforderungen des Klimawandels annehmen und zu gemeinsamen Lösungen führen können.
Wie eng das Schicksal der Völker heute miteinander verknüpft ist, belegen auch die Reaktionen auf die erschütternden Bilder aus Japan. Ebenso wie in Deutschland gab es auch in Korea eine große Hilfsbereitschaft. Ich finde dies ist ein sehr gutes Zeichen dafür, dass sich Menschen in Not unabhängig von ihrer Geschichte in schweren Stunden die Hand reichen.
Die Welt tut gut daran, sich über die Zukunft unseres Ressourcenverbrauchs intensive Gedanken zu machen. Sie, Herr Präsident, haben mit Ihrer "Green Growth Strategie" dieses Thema zu einer ihrer Prioritäten gemacht. Auch für uns Deutsche ist dies als hochtechnologische Industrienation eine zentrale Frage. Lassen Sie uns deshalb auch hier vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Ich bitte Sie nun, mit mir das Glas zu erheben und einen Toast auszubringen: Auf die Gesundheit von Staatspräsident Lee und seiner Frau, auf das Wohl des koreanischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen Korea und Deutschland.