Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 12. November 2012

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Hansjörg Geiger eine Ansprache gehalten.
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/11/121112-Hansjoerg-Geiger.html


Herr Geiger, es war schön, dass Sie sich die Einladung, die wir Ihnen schickten, zu Herzen genommen haben und noch ein paar Leute eingeladen haben, die Sie in Ihrem Leben aus Familie, Beruf und sonstigen sozialen und kulturellen Kontakten hier sehen möchten. Das ist eine richtige Freude für mich: Sie erhalten heute den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Aus diesem Grunde muss ich nun doch ein paar Worte sagen. Sie wissen, dass ich mit Ihrem Leben und Ihrer Karriere einigermaßen vertraut bin. Aber in diesem Moment begegnet Ihnen nicht nur der, der Ihnen durch gemeinsame Jahre vertraut ist, sondern der Präsident Ihres Landes, dem Sie so entschieden gedient haben.

Lassen Sie mich also zunächst für die, die Sie nicht so ausführlich kennen, einen kurzen Bericht über die Stationen Ihres Lebens sagen. Es begann dort, wo früher einmal Deutschland war in Brünn, wo Sie am 1. November 1942 geboren sind. Später studierten Sie Rechtswissenschaften an den Universitäten Hamburg und München, promovierten zum Thema "Zur verfassungsrechtlichen Problematik des Einflusses der politischen Parteien auf oberste Bundesorgane" ewig aktuell.

Von 1969 bis 1972 waren Sie freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der Siemens AG in München. Da erschlossen Sie sich ein Arbeitsgebiet, das für viele andere ein Buch mit sieben Siegeln war. Sie widmeten sich der elektronischen Datenübertragung und überhaupt den ganzen neuen Möglichkeiten, Arbeit mit Hilfe der neuen Medien zu organisieren.

Von 1972 bis 1974 waren Sie in der Bayerischen Staatskanzlei angestellt und haben dort das implementiert, was Sie in der freien Wirtschaft gelernt hatten. 1974 sehen wir Sie als Staatsanwalt, von 1975 bis 1977 als Richter am Amtsgericht München.

Von 1977 bis 1980 waren Sie Referent im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, von 1980 bis 1990 Referatsleiter beim Bayerischen Landesbeauftragen für den Datenschutz. Das war wahrscheinlich die Zeit, wo Sie Hans-Jürgen Garstka kennenlernten, der Sie und mich zusammenbrachte. Er hat dafür gesorgt, dass Ihr Name auftauchte bei den Bemühungen einiger ostdeutscher Parlamentarier und anderer Aktivisten, die die Aufgabe hatten, das unsägliche Erbe der Stasi in rechtsstaatlicher Weise zu bewahren und zu verwalten und in einer geeigneten Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das taten Sie bis 1995 als Direktor beim Bundesbeauftragten.

Differenzierte Persönlichkeiten wie Sie sollte man nie nur in einem Satz beschreiben, aber ich erlaube es mir mal. Interessanterweise wurden Sie als parteiloser Liberaler, wenn ich es mal so kategorisieren darf, von der Regierung Kohl in ein sehr heikles Amt gerufen, nämlich als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dann wurde noch einer draufgesetzt. Von 1996 bis 1998 waren Sie Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Ich durfte Sie in Ihrem damaligen Dienstsitz in Pullach einmal besuchen. Ich war sehr beeindruckt von der Aufgabenfülle, die Sie zu leisten hatten.

Es war wichtig, dass Sie im Justizministerium und unter unterschiedlichen Ministerinnen als beamteter Staatssekretär dem Recht seinen Raum gaben. Dem Recht, von dem Sie meinen, dass es unser Gemeinwesen schmückt. Das ist etwas, das Ihr ganzes Leben durchzieht, auf den unterschiedlichen Positionen, in denen Sie gedient haben. In diesem Zusammenhang habe ich das Wort "dienen" neu schätzen gelernt. Ich kannte es aus meiner theologischen Sprache, es war ein häufig vorkommender Topos. Auf der Ebene von Politik und öffentlicher Verwaltung hingegen schien es immer unmoderner zu werden.

Als Sie zu uns kamen, war es für mich ein Segen. Zum einen wusste ich, dass ich mit Ihrem hohen juristischen Sachverstand auf der sicheren Seite war. Zum anderen hatten wir eine Behörde mit sehr vielen Menschen, von denen nur die allerwenigsten Juristen waren. Da war es mir wichtig, dass wir für die jungen Referendare ein Rollenmodell hatten, dem sie nacheifern konnten. Und für die anderen, die nicht Fachjuristen waren, ein Rollenmodell dafür, was es heißt, dem Staat unserem Gemeinwesen zu dienen. Das hat uns alle unglaublich beeindruckt. ( ... )

Für mich war es also ein Glück, für unsere Behörde war es ein Glück, Sie kennengelernt zu haben. Für unsere damalige Bundesregierung, die sich mit der neuen staatlichen Autorität erst anfreunden musste, war das alles nicht so einfach. Man hatte schon einen Chefjuristen für mich im Hinterkopf und ihn mir auf die gediegene Bonner Art auch zögerlich angeboten. Ich habe gar nicht gemerkt, was eigentlich gemeint war, und mich einfach frech eigenständig umgeschaut. Ich stieß auf Hans-Jürgen Garstka und der hatte Sie im Kopf. So kamen wir zueinander und haben uns dann geschworen, dass wir das Werk gemeinsam zu Ende bringen wollten. Ohne die juristischen Kenntnisse, ohne die Verknüpfung unserer politischen Absichten und unseres politischen Ansatzes mit den Rechtsstandards einer entwickelten westlichen Demokratie hätte unser Anliegen nicht verwirklicht werden können. Es war unglaublich wichtig, etwa auch im Interessenkonflikt mit den leitenden Beamten des Innenministeriums, die für die Dienste zuständig waren, klar zu machen, dass dieses für die Dienste so wertvolle Material zunächst dem Bürger zukommt. Wenn dann die Rechtsgrundlage auf informationelle Selbstbestimmung, die ja nicht in Form eines Gesetzes vorlag, diskutiert wurde, war es hinreißend, zu sehen, wie Herr Geiger unter den Fachjuristen am Ministeriumstisch erst Staunen und dann Schweigen verbreitete. Jetzt konnten sie eigentlich nichts mehr sagen. Es war evident, dass der Bürger Zugang zu diesen Akten haben musste, zumindest die Opfer, selbst wenn die Informationen unter rechtsstaatlich nicht zu billigender Art und Weise zu einem Archiv geronnen waren. Für die, die dachten, mit diesem Material schön arbeiten zu können, war dann nichts mit Zugriffsmöglichkeiten oder nur in äußerst begrenzter Weise.

Ich habe damals gemerkt, dass man ohne parteipolitische Kungelei, mit einer grundsätzlichen Kenntnis der Rechtsordnung und mit der darauf basierenden Verbindlichkeit, politische Ziele durchsetzen kann. Es war für mich faszinierend zu sehen, dass Demokratie, wie ich es immer schon gehofft hatte, auch ohne Kungelei funktionieren konnte, einfach auf den Wegen des Rechts. Und ich habe mir geschworen, das nie zu vergessen. Man kann natürlich mit vormodernen Loyalitätsnetzwerken Tempo in politische Prozesse hineinbringen. Aber damit ist immer ein Verlust von Verlässlichkeit und Vertrauen verbunden. All das haben meine damaligen Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten, darunter auch mein heutiger Staatssekretär David Gill, von Ihnen gelernt. Sie sind also hier auch in der Gesellschaft von Schülern. Einer davon bin ich.

Lassen Sie mich auf diese Auffassung von Recht noch einmal zurückkommen. Sie haben vorhin bei der kursorischen Aufzählung der Lebensstationen gehört, dass heikle Verwendungen für einen Spitzenjuristen, Herrn Geiger, vorgesehen waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der junge Student davon geträumt hat, einmal Präsident des Bundesnachrichtendienstes zu sein. Es passt einfach nicht in mein Bild. Aber wie gut, dass das in unserem Land passieren kann. Und deshalb bleibe ich dabei, dass Sachkenntnis, Loyalität und Dienstbereitschaft die eigentlichen Voraussetzungen sind für Spitzenkarrieren in unserem Land und nicht die Zugehörigkeit zu dem Milieu, das gerade regiert. Nun sind Sie alle sehr erfahrene Praktiker und können mir eine Menge von Gegenbeispielen nennen, die nehme ich gelassen zur Kenntnis. Man muss daran glauben, dass das, was man schon erlebt hat, auch weiterhin geht. Und das ist auch ein Stück Lebenszeugnis, welches wir Hansjörg Geiger verdanken.

Ich denke, dass es für die Bundesministerinnen der Justiz wichtig war, einen beamteten Staatssekretär zu haben, dem sie im Grunde das Interesse des Landes anvertrauen konnten. Ich habe mir sagen lassen, dass es besonders wichtig war, dass Sie in Brüssel eine sehr aktive Beraterrolle hatten. Dass die Maßnahmen, die zu ergreifen waren, wenn es um die Sicherheit der Bürger ging, bei Ihnen mitgedacht wurden. Dass das, was die Föderalismuskommission beschlossen hat, durch Ihre Arbeit mit Leben erfüllt wurde. Ich habe davon natürlich nur gehört, ich kann darüber kein persönliches Zeugnis abgeben, aber ich denke, es gehört hier in diese Stunde, wenn wir Ihre Verdienste würdigen.

Auch in Brüssel, lieber Herr Geiger, erinnert man sich noch heute an das außerordentliche Verhandlungsgeschick, das Sie in vielen kritischen Situationen dort an den Tag gelegt haben. Ihre fachliche Detailkenntnis, mit der Sie auf jeder Ihrer Stationen die Mitarbeiter beeindruckt haben, ist neben Ihrer persönlichen Kultur eine ganz besondere zusätzliche Kompetenz.

Dann gibt es noch etwas, was Sie auszeichnet. Und das ist Hartnäckigkeit. Sie wollen zweimal hingucken und notfalls dreimal oder viermal. Sie wollen ein Thema nicht einfach aufgeben. So setzten Sie sich erfolgreich dafür ein, dass wichtige rechtsstaatliche Ziele und Mindeststandards, etwa im prozessualen Bereich, festgeschrieben wurden. Wir verdanken Ihnen Qualitätsnormen für das Justizwesen und insbesondere auch im Hinblick auf Fairness und Achtung der Verteidigungsrechte.

Sie haben ins Haager Programm diese Punkte hinein verhandelt und die europäischen Politikprioritäten im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Zeit bis 2010 mit festgelegt. Geprägt durch frühere Erfahrungen in der Privatwirtschaft haben Sie sich auch auf europäischer Ebene für die Belange der Erfinder und die des geistigen Eigentums mit großem Engagement und Überzeugung eingesetzt. Das ist wichtig, weil wir ein Land sind, in dem Innovationskraft weiter ihre Bedeutung haben soll. Wir wollen dieses Land ja nicht nur moralisch beurteilen und moralisch verbessern, sondern wir wollen Faktoren schaffen für weitere Wettbewerbsfähigkeit, Standortsicherung und damit die Sicherung von Zukunft.

Durch Ihre frühzeitige Vorbereitung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des Jahres 2007 konnten im Justizbereich wichtige Verhandlungserfolge erzielt werden, die von den anderen Mitgliedsstaaten sehr anerkannt und positiv gewürdigt wurden.

Wenn ich jetzt noch mehr Zeit hätte, dann würde ich sagen, dass Sie bei alledem außerdem noch ein Mensch sind, der ein Privatleben hat und auch mit den Künsten auf Du und Du steht. Manchmal sieht die Öffentlichkeit sogar etwas davon, wenn Sie öffentliche Verwaltungsgebäude, wie zum Beispiel das Justizministerium, fachlich beurteilen. Geht der Bau so? Müsste man ihn abreißen oder was steckt in ihm drin? Können wir ihn wenigsten künstlerisch so ausgestalten, dass Menschen hier gerne arbeiten und möglicherweise eine Zusatzmotivation erlangen? Andere kulturelle Vorlieben lasse ich jetzt außer Betracht. Vielleicht haben wir später noch die Möglichkeit, dass der eine oder andere etwas einwirft, was der Bundespräsident jetzt vergisst oder bewusst ausschließt. Das ist hier erlaubt.

Herr Geiger, jetzt freue ich mich mit Ihnen und Ihren reizenden, unglaublich überzeugenden Gästen gleich zu Mittag zu essen. Aber vorher, vorher haben wir noch die Amtshandlung: die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse.

Herzlichen Glückwunsch Herr Geiger!