Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 5. Februar 2013
Untertitel: Der Bundespräsident hat den Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim am 5. Februar in Schloss Bellevue mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Beim Abendessen hielt der Bundespräsident eine Ansprache:
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/02/130205-Abendessen-Barenboim.html
Verehrter Maestro, Herr Bundespräsident von Weizsäcker, Herr Bundespräsident Köhler, meine sehr verehrten Damen und Herren, was für ein schöner Abend!
Ich will heute nicht all die Stationen Ihres Lebens aufzählen. Das können andere besser, die Sie länger kennen. Und wenn alle Anwesenden, Weggefährten, Menschen, die wichtig sind für das Leben und das Tun von Daniel Barenboim, von ihren Erfahrungen mit Ihnen erzählen würden, würden wir vielleicht gar nicht mehr zum Essen kommen.
Dass wir jetzt hier zusammen sind, ist ein wenig eine nachgeholte Gratulation zu Ihrem 70. Geburtstag. Vor allem aber gibt es eine Amtshandlung. Nämlich die Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Ich zeichne Sie damit von Herzen gern aus. Ich mache es deshalb so gern, weil unser Land Ihnen damit Danke sagt.
Und dafür haben wir gute Gründe: Wir empfinden es als ein Geschenk, dass ein so inspirierter und gestaltungsmächtiger Künstler wie Sie diesem Land so lange schon verbunden ist. Wir empfinden es als ein wunderbares Geschenk für die Hauptstadt, für Berlin, dass Sie hier tätig sind. Wir finden es schön, dass Sie eine Ihrer vielen Heimaten hier in Berlin gefunden haben. Wir finden es schön, wie Sie mit Ihrem Orchester, der Staatskapelle Berlin, zusammengewachsen sind.
Es gibt viele Menschen, die von der Völker verbindenden Kraft der Musik schwärmen. Aber Sie schwärmen nicht mit anderen Romantikern, sondern leben und verkörpern diese Kraft.
Sie tun das als Weltbürger, sind aufgewachsen in verschiedenen Ländern, mit ganz verschiedenen Kulturen, haben in diesen verschiedenen Ländern gearbeitet, hohe Anerkennung gefunden. Ihre eigentliche Sprache ist die Musik, das war so, das ist so, das wird, denke ich, auch so bleiben. Sie ist die Sprache, die Ihnen ermöglicht, in der Welt unterwegs zu sein und überall zur gleichen Zeit zu Hause, wo auch immer Sie gerade sind, welchen Reisepass auch immer Sie selber beim Grenzübergang vorzeigen.
Sie begnügen sich nicht damit, die Völker verbindende Kraft der Musik zu eschwören. Sie zeigen, was geschehen kann und wie spannend es werden kann, wenn man diese Kraft der Musik tatsächlich auch nutzt.
Allem voran sehen wir das an Ihrem Wirken mit dem West-Eastern Divan Orchestra. Als Außenstehender kann man nur ahnen, wie viele kleine und große Hürden Sie zu überwinden hatten, um wirklich dieses Werk Gestalt werden zu lassen. Sie und Ihre Mitarbeiter werden unendlich viel Arbeit, Geduld und Kraft hineingesteckt haben, um Musikerinnen und Musiker aus Israel und den arabischen Staaten zu Proben an einem Ort zusammenzubringen, mit ihnen wirklich zu musizieren. Wir ahnen nur, wie schwierig es sein mag für junge Menschen so unterschiedlicher Herkunft und mit so unterschiedlichen Prägungen, ihre Kolleginnen, ihre Kollegen, mit denen sie zusammen musizieren, nicht nur zu beachten, sondern auch zu achten und zu schätzen. Was wir, Ihre Zuhörer, am Ende aber sehen, hören und spüren, ist tatsächlich die beglückende Erfahrung, die Sie einmal so in Worte gefasst haben: "Vor einer Beethoven-Symphonie, vor Mozarts ' Don Giovanni ' oder Wagners ' Tristan und Isolde ' sind alle Menschen gleich."
Wir ehren also heute einen Menschen, der sein großes Talent dafür eingesetzt hat, etwas noch Größeres zu schaffen. Auszeichnungen, Ruhm und Ehre genießen Sie nicht um Ihrer selbst willen, sondern weil sie Ihnen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Und ganz offenbar sind Sie ein Maestro auch darin, andere für Ihre Projekte zu begeistern: die Stiftung, die Musikzentren in Ramallah, Nazareth und Jaffa, der Musikkindergarten in Berlin und künftig auch wohl die Barenboim-Said-Akademie hier in dieser Stadt.
Es war eine bezeichnende Geste, als Sie sich am Tag Ihres 70. Geburtstags nicht einfach feiern ließen, sondern im Konzertsaal am Flügel saßen, am Dirigentenpult Ihr alter Freund Zubin Mehta, und mit der Staatskapelle musiziert haben und den Erlös des Benefizkonzerts dem von Ihnen gegründeten Musikkindergarten zur Verfügung gestellt haben.
Hinter all dem steckt ein humanistischer Geist, der weiß, wie elementar wichtig Bildung ist, um die Welt von verschiedenen Standpunkten aus zu sehen, zu verstehen und wo immer nötig zu verändern. Dahinter, so ahnen wir es, steckt ein Musiker, für den es nichts Schöneres gibt, als junge Menschen mit Möglichkeiten auszustatten: mit der Möglichkeit, das jeweilige Talent zu entfalten. Und ein Mensch, der Fühlen und Denken nicht trennen mag und auch nicht Musik und Politik. Ich bewundere, wie furchtlos, unbestechlich und kritisch Sie über die politischen Entwicklungen unserer Zeit sprechen immer aber nicht mit dem Grundton der Klage, sondern mit einem optimistischen Grundton. Und ich staune, mit welcher Leidenschaft und welchem Einsatz Sie Ihre vielen Aufgaben und Projekte angehen.
Ich habe das selbst erlebt, als ich vor kurzem in Düsseldorf gewesen bin. Wir waren versammelt, um eine Stiftung bei einer Gala zu unterstützen es geht darum, einen neuen deutsch-israelischen-palästinensischen Studiengang zu fördern. Und Sie kamen trotz einer intensiven medizinischen Behandlung angeflogen, weil Sie unbedingt dabei sein wollten, dieses Werk zu fördern und setzten sich an den Flügel und musizierten. Sie waren da mit Ihrer Kunst und mit all dem, was ich eben gesagt habe, was Sie auszeichnet, was Sie prägt und was Sie sehr stark in die Nähe unserer Herzen bringt.
Wir ehren heute, meine Damen und Herren, also einen ganz großartigen Musiker, wir ehren Daniel Barenboim. Aber wir ehren mit ihm einen Menschen, der Grenzen überwinden kann und der ein Ermöglicher ist. Einmal haben Sie gesagt: "Wir verpassen jeden Tag die Möglichkeit, etwas zu tun." Das ist der Satz, der Sie ganz offenbar antreibt, obwohl Sie es nicht nötig haben.
Wir haben es nötig, uns solche Sätze zu Herzen zu nehmen. Ich glaube, bei Ihnen müsste gelegentlich eher eine Bremse gezogen werden, damit wir noch lange, möglichst lange, diese wunderbare Gegenwart und Ihre Inspiration genießen können. Wir alle empfinden es als ein Geschenk, Sie in dieser Weise zu erleben. Und jetzt verpassen wir nicht die Möglichkeit, Ihnen Danke zu sagen und wir verpassen auch nicht die Möglichkeit, anschließend einen schönen Abend miteinander zu verbringen!