Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 5. Februar 2013
Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat bei der Übergabe der Wohlfahrtsmarken 2013 am 5. Februar 2013 in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Für mich ist das eine der wichtigsten Erfahrungen im Leben: zu sehen, wie aus etwas ganz Kleinem etwas Großes entstehen kann. Wohlfahrtsmarken sind ein im wahrsten Sinne des Wortes schönes Beispiel dafür. Zum einen summiert sich der kleine Aufschlag auf das normale Porto zu stattlichen Beträgen. Zum anderen und das ist noch wichtiger wird mit diesen Geldern ein noch viel größerer Mehrwert geschaffen. Ein Mehrwert, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Er heißt: Hilfe in Not, Begleitung in schwierigen Lebenslagen, Ermutigung."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/02/130205-Wohlfahrtsmarken.html
Für mich ist das eine der wichtigen Erfahrungen in meinem Leben: dass aus etwas ganz Kleinem etwas ganz Großes werden kann.
Und dafür sind die Wohlfahrtsmarken, um die es heute geht, ein sehr schönes Symbol. Zum einen summiert sich dieser kleine aufgedruckte Aufschlag auf das normale Porto zu ganz stattlichen Beträgen. Zum anderen und das ist noch wichtiger wird mit diesen Geldern ein noch viel größerer Mehrwert geschaffen. Ein Mehrwert, der mit Geld allein nicht aufzuwiegen ist. Er heißt: Hilfe in Not, Begleitung in schwierigen Lebenslagen - und er heißt immer auch Ermutigung.
Darum ist die jährliche Übergabe der Wohlfahrtsmarken durch den Bundesfinanzminister eine der Traditionen, die ich von meinen Vorgängern besonders gerne übernommen habe. Ich habe mir sagen lassen, dass diese Tradition seit 1956 existiert. Mein Amt erfüllt mich immer dann mit besonderem Stolz, wenn ich erfahre, dass etwas dazu beiträgt, unser Land stark zu machen und den Zusammenhalt zu festigen.
Wir sind ein solidarisches Gemeinwesen, oftmals sind wir in der Versuchung, es zu vergessen, aber bei solchen Anlässen fällt es uns wieder ein. Wir sind es nicht nur aufgrund unserer Gesetze und Institutionen, sondern auch weil sich in diesem Land sehr viele Menschen ihren Mitmenschen zuwenden. Im Gegensatz zu dem, was man immer wieder hört, nimmt die Freiwilligkeit übrigens nicht ab, sondern sie hält sich auf einem hohen Niveau. Wir alle, die wir uns engagieren, wissen, dass wir hier noch mehr Wachstum ertragen können. Es sind einige Ehrenamtliche anwesend. Ich begrüße Sie in besonderer Weise und freue mich, dass Sie hier sind. Sie stehen für die vielen Aktiven in rund 100.000 Einrichtungen der freien Wohlfahrtsverbände: in der Altenpflege, in der Jugendarbeit, in der Behindertenhilfe, bei der Telefonseelsorge, in Einrichtungen für Demenzkranke oder in Sterbehospizen. Was ich hier aufgezählt habe, ist noch nicht alles. Nachher werde ich mir einige der Projekte auf den Tafeln anschauen. Ich bin schon ganz gespannt, was ich da lerne. Wir sind ein solidarisches Land und das wollen wir auch sein. Es soll so bleiben und wenn es sich verändert, dann nur zum Besseren.
Die Wohlfahrtsmarken sind ein wichtiger Teil dieses Gemeinschaftswerkes. Es steht nicht für sich, es ist eingebunden in andere Aktivitäten von Bürgern und unseres Staates. Viele sind daran beteiligt: angefangen von denen, die dafür sorgen, dass es jedes Jahr aufs Neue eine schöne Serie von Briefmarken gibt, bis hin zu denen, die sie am Ende verkaufen und damit so viel Gutes ermöglichen. Einige sind heute hier. Für alle wäre das Schloss viel zu klein. Wir haben in Deutschland das Gebäude der höchsten Repräsentanz so angelegt, dass Bürger sich nicht davor fürchten müssen. Hier kommen Bürger gerne hin. Es ist aber ein bisschen kleiner. Und deshalb können wir nicht alle einladen, die aktiv sind und die wir ehren. Ich danke Ihnen allen. Und jeder, der in Kontakt ist mit Menschen, die in dieser Richtung aktiv sind, soll Grüße von mir mitnehmen aus dem Schloss Bellevue hin in die Fläche und zu den Menschen, die für die Menschen etwas tun wollen.
Wir wissen, dass wir einander unterstützen müssen und wir tun das gerne auch mit diesem Werk. Wir wissen, dass dahinter eine Gesinnung steht, die tief davon überzeugt ist, dass nur der Mensch, der Zuwendung erfährt, sich stärken kann, um dann für sich selbst zu sorgen. Dass nur wer Zuwendung erfährt, wachsen und blühen kann. Wachsen und blühen, was für ein schöner Übergang zu dieser Briefmarkenserie. Es sind schöne Bilder im klassischen Sinne. Jeder kann sich angesprochen fühlen, Junge und Alte gleichermaßen. Blühen, das mögen wir. Und Bäume stehen für Kraft, Halt und Beständigkeit, zugleich für Hoffnung und ein zukunftsgerichtetes Denken. Ihr Wachstum reicht oft über viele Generationen. Manche alte Eiche, die wir heute bewundern, stand schon zu Zeiten, als Martin Luther lebte. Für ein Menschenleben schwer vorstellbar. Vielleicht ist das auch ein Teil der besonderen Faszination, wenn wir Bäumen begegnen.
Deutschland ist nicht nur ein baum- und waldreiches Land, sondern auch eines mit einer tief verwurzelten literarischen und künstlerisch ausgedrückten Liebe zu Bäumen. Ich denke an Hölderlins "Eichbäume", an die Gedichte von Hugo von Hofmannsthal, Hermann Hesse, an ein Lied wie "Kein schöner Land in dieser Zeit" oder an die Bilder von Caspar David Friedrich. Vergessen wir bei allen manchmal ein wenig deutschen Baumbetrachtungen aber eines nicht: So mancher Baum, der heute tief verwurzelt ist in deutschen Landen, ist sozusagen einer mit "Migrationshintergrund". Nehmen Sie die Rosskastanie. Mögen wir die Rosskastanie noch lange haben, die uns in jedem Mai so mit ihrer wunderbaren Blütenpracht erfreut. Sie kam übrigens vom Balkan und wir, die wir sie heute sehen, denken, sie sei schon immer hier gewesen, so sehr gehört sie zu uns, die Kastanie.
Ich wünsche unserem Land Beständigkeit, Wandlungsfähigkeit und Wachstum, wie sie für Bäume selbstverständlich sind. Und allen die Erfahrung, dass aus etwas sehr Kleinem wie diesen Briefmarken - etwas sehr Großes werden kann!