Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 20. Juli 2013

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 20. Juli beim feierlichen Gelöbnis von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr eine Ansprache gehalten: "Die heutige Gelöbnisfeier ist in vielfacher Hinsicht eine Stunde der Versprechen. Der eigentliche Anlass, liebe Rekrutinnen und Rekruten, ist Ihr Versprechen gegenüber unserem Land: Sie werden geloben, ihm treu zu dienen und Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen. Zuvor aber hat auch unser Land, unser Staat, wir die Gesellschaft Ihnen etwas zu versprechen: Wir brauchen die Bundeswehr und damit Sie und wir setzen sie ein aus Verantwortungsbewusstsein für Frieden, Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/07/130720-Geloebnis-Bundeswehr.html


Die heutige Gelöbnisfeier ist in vielfacher Hinsicht eine Stunde der Versprechen. Der eigentliche Anlass, liebe Rekrutinnen und Rekruten, ist Ihr Versprechen gegenüber unserem Land: Sie werden geloben, ihm treu zu dienen und Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen.

Zuvor aber hat auch unser Land, unser Staat, wir die Gesellschaft Ihnen etwas zu versprechen: Wir brauchen die Bundeswehr und damit Sie und wir setzen sie ein aus Verantwortungsbewusstsein für Frieden, Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte.

Und schließlich wollen wir heute, an diesem 20. Juli, gemeinsam versprechen: Wir nehmen uns die mutigen Männer und Frauen zum Vorbild, die damals, vor 69 Jahren, ihr Gewissen vor den Gehorsam gestellt haben, die Verantwortung übernommen haben, indem sie versuchten, ein Unrechtsregime zu stürzen.

Heute leben wir in einem Rechtsstaat, in Freiheit und im Frieden mit unseren Nachbarn in einem geeinten Europa. Frieden und Menschenrechte nicht einfach nur als gegeben anzusehen, sondern zu bewahren und, wo nötig, zu verteidigen, dafür steht auch unsere Bundeswehr.

Sie wissen, dass es ein besonderer Dienst ist, zu dem Sie sich freiwillig verpflichtet haben. Soldatin oder Soldat zu sein heißt, dahin zu gehen, wohin Ihr Auftraggeber Sie schickt. Einige von Ihnen, die sich länger verpflichtet haben, werden möglicherweise in Auslandseinsätze geschickt, in Gegenden, wo Sie über Monate hinweg unter lebensgefährlichen Bedingungen im Einsatz sind. Es ist ein Beruf, der von Ihnen verlangt, verschiedene Rollen zu übernehmen Beschützer und Kämpfer, Katastrophen- und Aufbauhelfer. Er kann Sie in Situationen führen, in denen Sie schwere Entscheidungen zu fällen haben. In letzter Konsequenz kann er bedeuten, das eigene Leben einsetzen zu müssen. Er kann bedeuten, Menschen zu töten und den Tod von Kameraden mitzuerleben. Wie belastend das sein kann, habe ich ahnen können, als ich bei meinem Besuch in Afghanistan in Masar-e-Scharif am Ehrenhain stand und auf den Tafeln die Namen der gefallenen und verstorbenen Soldaten las. All dies wird auch Ihre Eltern, Ihre Kinder, Ihre Lebenspartner und Freunde bedrücken. Ich danke allen Angehörigen, die Ihre Entscheidung mittragen.

Aber: Soldat ist auch ein Beruf, in dem Sie Ihre Hilfsbereitschaft und Ihre Haltung, Ihre Menschlichkeit und Ihren Mut unter Beweis stellen können und müssen! Er ist, gerade wenn Sie im Ausland eingesetzt werden, eine Herausforderung, weil Sie auf Menschen aus anderen Kulturen treffen, mit denen Sie sich auseinanderzusetzen, auf die Sie respektvoll zuzugehen und deren Vertrauen Sie zu gewinnen haben.

Ich habe großen Respekt vor Ihnen allen, dass Sie sich heute mit Ihrem Gelöbnis dieser verantwortungsvollen Aufgabe versprechen."Mutbürger in Uniform" habe ich unsere Soldaten einmal genannt. Das wiederhole ich gern, auch deswegen, weil immer mehr unserer Soldatinnen und Soldaten eine Familiengeschichte haben, die sich aus mehreren Kulturen speist. Sie haben sich mit ihrem Eintritt in die Bundeswehr auf eine besondere Weise für unser gemeinsames Land, für Deutschland entschieden.

Sie müssen sich Ihrerseits darauf verlassen können, dass Sie für Ihre Aufgaben gut ausgebildet und ausgerüstet werden. Dass man Ihnen zur Seite steht wenn nötig auch über Ihren aktiven Wehrdienst hinaus. Das Erlebte setzt vielen Soldatinnen und Soldaten zu. Selbstverständlich sollte es sein, dass wir die Verletzungen der Seele genauso aufmerksam behandeln wie die des Körpers. Das ist ein Appell an Ihren Arbeitgeber, die Bundeswehr, an Ihre Vorgesetzten und auch an unser Parlament.

Denn unsere Bundeswehr ist eine parlamentarisch kontrollierte Bürgerarmee, ihr oberster Befehlshaber ein Zivilist. Ob Sie zu einem bewaffneten Auslandseinsatz geschickt werden, entscheiden zuvor die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Ihre Abgeordneten, hier hinter Ihnen, im Reichstagsgebäude. Das Gelöbnis an diesem besonderen Ort sollte darum auch ein Versprechen der Parlamentarier sein: Wir kümmern uns um unsere Parlamentsarmee, um jeden einzelnen unserer Staatsbürger in Uniform.

Liebe Rekrutinnen und Rekruten, Sie haben ein Anrecht darauf zu verstehen, warum Sie in Einsätze geschickt werden, ein Anrecht auf offene und öffentliche Debatten. Wo ist ein militärisches Eingreifen geboten? Was ist der Zweck, was sind die Ziele, welches die geeigneten Mittel? Sind sich alle bewusst, dass die Bundeswehr allein keine Konflikte lösen kann? Was sie kann, ist denjenigen, die den Konflikt letztlich politisch lösen müssen, Zeit zu verschaffen und Ihnen, wie auch denen, die unter dem Konflikt leiden, Schutz zu bieten.

Was aber, wenn sich die gesteckten Ziele als nicht erreichbar erweisen oder die Mittel nicht geeignet sind? Es kann sich unter Umständen herausstellen, dass wir uns mit unserer Einschätzung geirrt haben. Das ist gerade in militärischen Konflikten bitter. Doch die Fähigkeit zur Selbstkorrektur ist eine der großen Stärken unserer Demokratie. Sie behauptet nicht, unfehlbar zu sein. Und sie ist lernfähig. Für unsere Bundeswehr, die Armee dieser Demokratie, gilt genau das gleiche!

Es gibt in Deutschland eine gewisse Scheu, den Einsatz von militärischer Gewalt als Mittel der Politik zu unterstützen zu Recht. Deutsche Soldaten haben in zwei Weltkriegen unendlich viel Leid verursacht. Das prägt unser Land bis heute und überträgt auch Ihnen eine besondere Verantwortung.

Unsere Demokratie tut sich nicht leicht damit, Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Einsätze zu schicken. Auch das ist gut so. Aber gerade unsere Geschichte sagt uns doch: Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir wollen vielmehr wie es in der Präambel unseres Grundgesetzes steht "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt ( … ) dienen" mit politischen Mitteln, zu allererst, aber, wo nötig und nach Abwägung, auch mit militärischer Gewalt. Denn Verzicht auf Gewalt kann in bestimmten Situationen bedeuten, Unterdrückern oder Aggressoren das Feld zu überlassen.

Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden heute mit internationalem Mandat und aus Solidarität eingesetzt und nicht mehr aus dem Wahn der Überlegenheit und in feindlicher Absicht gegenüber anderen Völkern. Nicht aus Verantwortungslosigkeit, sondern im Gegenteil aus Verantwortungsbereitschaft schicken wir Sie in Einsätze."Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen!" das hat Helmut Schmidt vor fünf Jahren Ihren Vorgängern zugerufen. Das ist eines der großen Versprechen, die wir heute erneuern wollen.

Der heutige 20. Juli erinnert uns daran, dass in Deutschland nicht immer so gedacht wurde. Damals kämpften Millionen von Deutschen in einem verbrecherischen Krieg, den ein verbrecherisches Regime geplant hatte. Sehr viele waren damals tapfer in dem Sinne, dass sie vermeintlich für ihr Vaterland kämpften und dass sie den Kameraden so gut wie möglich beistanden. Aber nur wenige waren so mutig, sich den menschenverachtenden Zielen dieses Krieges zu verweigern. Der 20. Juli erinnert uns also auch daran, wie wichtig neben Tapferkeit auch Zivilcourage ist auch und vor allem in den höchsten Dienstgraden. Die meisten mussten erst lernen, dass es zu unterscheiden galt zwischen Vaterland und Unrechtsregime, dass Widerstand gegen solch ein Unrechtsregime nicht Vaterlandsverrat bedeutet und Fahnenflucht und in einer derartigen Zeit nicht einfach Feigheit.

Umso größer ist unsere Bewunderung für die, die damals unter Einsatz ihres Lebens und unter großen Gefahren für ihre Angehörigen und so einsam, so gegen die Masse Widerstand geleistet haben. Der 20. Juli erinnert uns an jene Soldaten, die nicht nur Befehl und Gehorsam kannten, sondern die letztlich ihrem Gewissen den Vorrang gaben. Und die aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen und Verantwortung übernommen haben. Ihr Versuch, Hitlers Regime zu beenden, blieb erfolglos, sinnlos aber war er nicht. Aus ihrer Haltung hat die Bundeswehr eine klare Richtschnur für die Nachfolgenden entwickelt. Sie lautet: Auch Soldaten haben die Pflicht zum Widerstand, wenn gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen wird. Befehl und Gehorsam haben da ihre Grenzen, wo gegen Recht und Menschenwürde verstoßen wird.

Wenn wir heute aus dem bequemen Abstand einer gefestigten Demokratie heraus an die Menschen erinnern, die in ausweglos erscheinender Situation den Mut zum Handeln behielten, dann, um das Bewusstsein zu schärfen: Wir haben immer eine Wahl. In der Diktatur fällt sie unendlich viel schwerer. Aber diese Haltung, die brauchen wir auch heute.

Das Gelöbnis an diesem 20. Juli ist also ein gegenseitiges Versprechen: Diese, unsere Bundeswehr will Soldatinnen und Soldaten, die nicht nur Befehle ausführen, sondern kritisch mitdenken und für ihre Überzeugungen in Wort und Tat einstehen. Das gilt durch alle Dienstgrade hindurch, ganz besonders aber für Vorgesetzte, denn sie müssen denen, für die sie Verantwortung tragen, Situationen ersparen, die diese nicht verantworten können. Diese Bundeswehr will auf allen Ebenen Bürgerinnen und Bürger in Uniform, die in verantwortlichem Gehorsam handeln.

Verantwortungsbewusste Loyalität, verantwortlicher Einsatz und gemeinsames Eintreten für Frieden, Freiheit und Menschenrechte: Das wollen wir einander heute versprechen. Das, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist der Einsatz, den Sie heute wagen!