Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 14. Januar 2014

Untertitel: Der Bundespräsident hat am 14. Januar das Diplomatische Korps zum Neujahrsempfang in Schloss Bellevue begrüßt. In seiner Rede sagte er: "Es ist ein Glück, dass wir durch Sie, hier in Berlin und im ganzen Land, den Blick von außen auf Deutschland kennen lernen. Und ein Glück ist es auch, dass unser öffentliches Leben mit Ihren Ansichten, Ihren Erfahrungen und auch Ihren Wertvorstellungen bereichert wird."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/01/140114-Diplomatisches-Korps.html


Bundespräsident Joachim Gauck hat am 14. Januar das Diplomatische Korps zum Neujahrsempfang in Schloss Bellevue begrüßt. Zum Diplomatischen Korps gehören die ausländischen Botschafterinnen und Botschafter sowie die Leiterinnen und Leiter der in Deutschland vertretenen internationalen Organisationen. In seiner Ansprache sagte der Bundespräsident:

Zunächst Ihnen, sehr geehrter Herr Nuntius, herzlichen Dank für Ihre so freundlichen Worte und Ihre substantiellen Anmerkungen auch zur Rolle unseres Landes. Auch für die Glückwünsche des Diplomatischen Korps und für die Grüße, die Sie an meine Landsleute gerichtet haben, danke ich von Herzen. Sie, Herr Nuntius, haben mir erst im November Ihr Beglaubigungsschreiben überreicht. Ich wünsche Ihnen für die Zeit Ihres Wirkens in Berlin alles Gute und Gottes Segen. Heute heiße ich Sie nun, gemeinsam mit Ihnen allen, herzlich willkommen in Schloss Bellevue!

Dieser Empfang am Beginn des neuen Jahres ist für uns in Deutschland eine gute Tradition. Er gibt uns die Möglichkeit, die bereichernden Gespräche, die wir mit vielen von Ihnen in der zurückliegenden Zeit geführt haben, weiterzuführen. Ich denke zum Beispiel gerne zurück an unsere gemeinsame Reise im Sommer, bei der die meisten von Ihnen dabei waren: Im vergangenen Jahr waren wir im südlichen Baden, wo der Wein wächst. Und im Jahr davor waren wir in Dresden und haben uns auf einem Elbschiff getroffen. Das sind Situationen, wo wir manche Gelegenheit für ein offenes und freundschaftliches Gespräch haben. Ich habe also zu danken für Ihre Offenheit und dafür, dass Sie als Vertreterinnen, als Vertreter Ihres Landes uns Deutschen helfen, Ihr Land zu verstehen und manchmal auch uns selbst besser zu verstehen.

Eines haben mir diese Begegnungen deutlich gemacht: Es ist auch ein Glück, dass wir Sie hier in Deutschland, hier in Berlin haben. Denn mit Ihrem Blick von außen lehren Sie uns mehr von dem zu verstehen, was auch unsere Aufgabe ist, weltweit und in Europa. Sie, Herr Nuntius, haben eben darauf hingewiesen. Ein Glück ist es auch, dass unser öffentliches Leben mit Ihren Ansichten, Ihren Erfahrungen, auch Ihren Wertvorstellungen bereichert wird. Denn dieser Austausch hilft uns, Gemeinsamkeiten, aber natürlich auch Unterschiede zu erkennen. So werden wir uns dann selbst immer wieder über unsere Aufgaben, über unsere Rolle und über unser Selbstverständnis bewusst.

Und das von Ihnen angesprochene Jahr 2014, Herr Nuntius und Exzellenzen, das gibt uns gerade hier in Europa nun besonderen Anlass, wenn wir der großen historischen Daten gedenken des Beginns des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Dazu tritt dann die Frage: Welche Lehren sind es, die wir aus der Geschichte gezogen haben und weiter ziehen müssen?

Und weiter werden wir gemeinsam mit unseren ehemaligen Gegnern, die unsere heutigen Verbündeten ja Freunde sind, darüber nachdenken, wie wir unsere gegenwärtigen Aufgaben gestalten. Gedenken heißt ja nicht nur, sich historisch zu orientieren, sondern es heißt, sich des eigenen aktuellen Standpunkts bewusst zu werden und dabei all das Positive, das wir über Jahrzehnte nach dem Kriege aufgebaut haben, wertzuschätzen und in die Zukunft weiterzuentwickeln.

Dafür ist uns in Europa auch wichtig, wie wir mit dem Erbe des besonderen Jahres 1989 umgehen: Vor 25 Jahren, so werden wir uns in diesem Jahr erinnern, endete die bittere Teilung Europas. Das Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung, das die Menschen in sich hatten, brach sich machtvoll Bahn. Die Angst überwunden zu haben, das ist eine Erfahrung, die die Ostdeutschen gemeinsam mit allen, die damals im kommunistischen Machtbereich lebten und diesen veränderten, einbringen in das neue erweiterte Europa.

Dieses Jahr also, in dem wir uns an 1914, 1939 und 1989 erinnern, ist eine Chance nicht nur für Europäer. Denn auch wenn sich viele Gedenkfeiern an historischen Orten in Europa abspielen werden: Gerade der Erste Weltkrieg war eben auch der Krieg, der hunderttausende junger Männer aus den Kolonien nach Europa, in den Krieg der Europäer brachte. Und diese Menschen, die damals in den Armeen der Konfliktparteien dienen mussten und von denen viele ihr Leben ließen, haben ja auch Spuren in ihren Familien, in ihren Ländern hinterlassen. Wenn wir sehen, wie intensiv die Menschen in afrikanischen Ländern und in anderen Teilen der Welt bis heute der Schlachten dieses ersten "Großen Krieges" gedenken, dann spüren wir die globale Dimension dieser schrecklichen Auseinandersetzung.

Der Erste Weltkrieg war auch Ausgangspunkt der unterschiedlichsten Entwicklungen, ohne die unsere heutige Welt nicht zu verstehen ist: Am Ende des Krieges lagen jahrhundertealte Reiche in Trümmern, Imperien waren zusammengebrochen, neue Staaten aber waren entstanden gerade in Mittelosteuropa. In Russland kam es zu revolutionären Umstürzen, die als Ergebnis eine kommunistische Diktatur hervorbrachten. Konflikte wie im Nahen Osten, die uns bis heute beschäftigen, gehen auf die damals anbrechende Zeit zurück. Gleichzeitig beschleunigte sich aber auch der Siegeszug des demokratischen Modells, andererseits und das ist das Ambivalente dieser Zeit zwischen den Kriegen wurde dieses Modell durch nationalsozialistische beziehungsweise faschistische Diktaturen ersetzt. Und am Ende, da war das 20. Jahrhundert das blutigste Jahrhundert überhaupt geworden.

Die Geschichte hilft uns, manches zu verstehen. Sie ist aber keine Rechtfertigung dafür, heutige Probleme nicht anzugehen. Bei aller Rückschau müssen wir 2014 doch auch das Ziel haben, die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Für uns Europäer heißt das: Wir werden weiter daran arbeiten müssen, unsere wirtschafts- und finanzpolitischen Aufgaben zu bewältigen. Denn wir wollen ja, dass die Welt uns nicht nur als Ort vergangener Schlachten wahrnimmt, sondern als starken und verlässlichen Partner, der die Globalisierung aktiv mitgestalten kann.

Die vorläufige Einigung, die bei den Atomverhandlungen mit dem Iran erzielt wurde, bewerten wir als ein hoffnungsvolles Zeichen. Sie stellt einen ersten Schritt hin zu einer abschließenden Lösung dar. Dafür braucht es aber Vertrauen, und dieses Vertrauen müssen alle Seiten aufbringen.

In den arabischen Ländern, allen voran in Syrien, geht es darum, Gewalt und Hass zu überwinden. Viele junge Frauen und Männer warten darauf, endlich eine Zukunft in Frieden und Sicherheit bauen zu können. Sie sehnen sich ja, wir alle sehnen uns nach dem Gefühl der Hoffnung, auch für die Länder Tunesien und Ägypten. Wir haben mit großen Hoffnungen die Aufbrüche dort begleitet und verfolgen mit gespanntem Interesse die weitere Entwicklung in dieser Region.

Hoffnung ist es schließlich auch, die wir mit den laufenden Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern verbinden.

Mein besonderer Wunsch für 2014 ist es, dass wir uns zudem den Wert der Menschenrechte noch deutlicher bewusst machen. Als Einstimmung darauf konnten wir vor wenigen Wochen hier in Schloss Bellevue im selben Raum, in dem wir heute stehen den 65. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begehen. Erfolge und Schwierigkeiten auf diesem Weg hat uns UN-Hochkommissarin Pillay eindrucksvoll aufgezeigt. Wir sind dankbar für ihren Besuch hier in Berlin. Und die internationalen Rechtsdokumente und Institutionen bezeugen es: Die Würde des einzelnen Menschen ist unantastbar, die Menschenrechte sind unveräußerlich und gelten für jede und jeden in gleicher Weise.

Viel wäre gewonnen, wenn wir alle uns in unseren Heimatländern und außerhalb ihrer Grenzen mit ganzer Kraft für die Menschenrechte einsetzen würden. Der große Nelson Mandela, von dem wir uns vor wenigen Wochen verabschieden mussten, hat es vorgelebt.

Am Anfang dieses neuen Jahres freue ich mich darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Und besonders gespannt bin ich auf unsere Gespräche gleich im Anschluss. Ihnen, Ihren Familien, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ihren Vertretungen ein glückliches Jahr 2014!