Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 23. Juli 2014
Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 23. Juli anlässlich des Antrittsbesuchs des Präsidenten der Slowakischen Republik, Andrej Kiska, eine Ansprache bei einem gemeinsamen Mittagessen gehalten: "Die Slowakei ist, wenn man so sagen darf, eine europäische Erfolgsgeschichte. Sie hat sich seit den Friedlichen Revolutionen vor 25 Jahren vom Teil eines Staates im Warschauer Pakt zu einem umfassend integrierten, selbständigen Partner in Europa entwickelt."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/07/140723-slowakischer-Praesident.html
Ich freue mich, Sie heute offiziell hier im Schloss Bellevue und hier in Deutschland zu begrüßen. Kennengelernt haben wir uns ja schon bei unserer Begegnung in Budapest vor einem Monat. Schon damals haben wir festgestellt: Die Erinnerung an die europäische Selbstbefreiung 1989 verbindet unsere beiden Länder und sie verbindet auch uns beide ganz persönlich.
Wenn ein Mensch neu in ein hohes Amt kommt, dann werden natürlich alle Gesten und Aussagen des Neuen genau angeschaut. Bei uns ist also sehr aufmerksam und mit großer Sympathie bemerkt worden, dass Sie zu Ihrer Amtseinführung, erstmals in der Geschichte Ihres Staates, auch Vertreter verschiedener Menschenrechts- und Minderheitenorganisationen eingeladen haben. Ihre persönliche beruflich-wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gibt uns die ruhige Gewissheit, dass Sie viel von Wirtschaft verstehen. Und schließlich haben Sie in der Vergangenheit nicht nur privat viel Erfolg gehabt. Sie haben auch soziales Engagement durch die Gründung der inzwischen größten privaten Hilfsorganisation Ihres Landes bewiesen.
Wir begrüßen Sie also hier im Schloss als ersten Repräsentanten Ihres Landes, eines jungen, aber in jeder Hinsicht selbständigen und erwachsenen Staates in Europa. Mit Ihnen begrüße ich einen ehemaligen Dissidenten, Martin Bútora. Was für ein schönes Zeichen in diesem Jahr 2014, in dem wir an die samtene Revolution in der ČSSR erinnern.
Die Slowakei ist, wenn man so sagen darf, eine europäische Erfolgsgeschichte. Sie hat sich seit den Friedlichen Revolutionen vor 25 Jahren vom Teil eines Staates im Warschauer Pakt zu einem umfassend integrierten, selbständigen Partner in Europa entwickelt: NATO-Mitglied, EU-Mitglied, Mitglied der Euro- und der Schengen-Zone. In den ersten Jahren der Unabhängigkeit der Slowakischen Republik hätte dies vielleicht niemand zu prophezeien gewagt. Umso beeindruckender ist diese Entwicklung.
Diese Integrationserfolge wurden der Slowakei nicht geschenkt. Sie hat sie sich verdient. Durch eine imponierende Kraftanstrengung hat sie ihren Weg in die Mitte Europas geschafft. Ende der 1990er Jahre stand die Slowakische Republik an einem politischen und wirtschaftlichen Scheideweg. Die Wirtschaft stagnierte, die Staatsfinanzen waren zerrüttet und die politische Stabilität und demokratische Verlässlichkeit des Landes schien gefährdet. Eine mutige politische Führung hat die Wende eingeleitet.
Der größte Anteil am Umschwung und am Wiederaufbau gebührt der slowakischen Bevölkerung. Ihre Unterstützung für den Wandel war groß, ihr Engagement und auch ihre Bereitschaft zu Opfern müssen in Erinnerung bleiben. Sie dienten dazu, der jungen Generation eine bessere Zukunft zu sichern.
Politisch ist nach schwierigen Anfangsjahren das Vertrauen der eigenen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft in das Funktionieren des politischen Systems gewachsen. Die demokratischen Institutionen wurden gestärkt, die Zivilgesellschaft entwickelt, Korruption und Klientelismus bekämpft. Die Slowakische Republik ist heute eine stabile parlamentarische Demokratie mit einer dynamischen Zivilgesellschaft. Das internationale Renommee der Slowakischen Republik beruht nicht zuletzt auf diesen Erfolgen.
Im Mai 2003 entschied sich das slowakische Volk mit einer für demokratische Verhältnisse unerhörten Mehrheit von 92,5 Prozent für den EU-Beitritt. Umfragen zeigen, dass das slowakische Volk die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der Eurozone sehr schätzt. Das ist ein Ansporn für die Europäer in den alten Vertragsstaaten, die in ihrer Leidenschaft für Europa vielleicht manchmal mehr oder weniger nachlassen. Europa aber kann nur Zukunft gewinnen, wenn es in den Köpfen und Herzen der Bürgerinnen und Bürger verankert und lebendig bleibt.
Durch entschiedene wirtschaftliche Reformen wurde die Slowakei zu einem der konkurrenzfähigsten Standorte der Region. Das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen zehn Jahren immer an der Spitze der Europäischen Union, und auch nach der Finanzkrise ist das so geblieben.
Ein Symbol des wirtschaftlichen Erfolges ist die Automobilindustrie. Hier können wir uns über eine großartige deutsch-slowakische Zusammenarbeit freuen. Das VW-Werk in Bratislava gehört zu den modernsten und leistungsfähigsten innerhalb des VW-Konzerns. Aber auch zahlreiche mittelständische und kleinere Unternehmen aus Deutschland haben sich in der Slowakei angesiedelt und sind mit ihrer Standortwahl hoch zufrieden wie die alljährliche Umfrage der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer immer wieder zeigt.
Die Erfolge des VW-Werks in Bratislava und anderer Unternehmen hängen entscheidend von einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft ab. Qualifizierte Ausbildung ist der Schlüssel für unsere wirtschaftliche Zukunft, für zukunftsweisende Investitionen und zur Bekämpfung des bedrückenden Problems der Jugendarbeitslosigkeit.
Sie, Herr Präsident, haben gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit wichtige neue Akzente gesetzt. Daraus konnten wir schließen, dass Ihnen eine freiheitliche und selbstbewusste Bürgergesellschaft am Herzen liegt, ebenso wie eine besser funktionierende Justiz. Ihr Land befindet auf sehr gutem Weg. Heute, nach mehr als 21 Jahren slowakischer Unabhängigkeit kann die Slowakei stolz auf ihre Leistungen und Erfolge sein, und wir Deutsche sind stolz, dass wir Partner der Slowakei auf dem Weg nach Europa sind.
Ich erhebe mein Glas auf Sie, Herr Präsident, auf eine glückliche Entwicklung der Slowakei und auf unsere freundschaftlichen Beziehungen.