Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 18. Januar 2016

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 18. Januar bei einem Mittagessen anlässlich des Antrittsbesuchs des Präsidenten der Hellenischen Republik, Prokopis Pavlopoulos, eine Ansprache gehalten: "Deshalb möchte ich Ihrem Land auch heute versichern: Die Bundesrepublik und Griechenland stehen Seite an Seite. Ja, Seite an Seite. Diese Haltung brauchen wir bilateral, und wir brauchen sie in Europa. Das hat uns der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen deutlich vor Augen geführt."
Anrede: Verehrter Herr Präsident!
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2016/01/160118-Griechenland-Praesident.html


Es freut mich, dass ich Sie heute gleich in doppelter Rolle begrüßen kann: Natürlich sind Sie mein Staatsgast, der Präsident, der seinen Antrittsbesuch im Zeichen der deutsch-griechischen Freundschaft und Verbundenheit macht. Aber Sie begegnen mir eben auch als überzeugter Europäer, als ein Mann, der die Europäische Union sehr engagiert mit aufgebaut hat.

Herr Präsident,

Sie haben Ihr Amt in einer politisch schwierigen Phase übernommen. Aber für Sie war klar: Die Zukunft Griechenlands liegt in Europa und im Euro. So haben Sie daran mitgewirkt, dass die Hellenische Republik am Reformprozess festhält und die Reformen umsetzt. Keine leichte Aufgabe, wie wir wissen. Als ich 2014 bei Ihrem Amtsvorgänger in Athen war, da war offensichtlich, welche immensen Herausforderungen Griechenland zu bewältigen hat, welche großen Opfer die Bevölkerung erbringt und unter welchem Druck nicht zuletzt die politisch Verantwortlichen stehen. All dies gilt ja nach wie vor. Deshalb möchte ich Ihrem Land auch heute versichern: Die Bundesrepublik und Griechenland stehen Seite an Seite.

Ja, Seite an Seite. Diese Haltung brauchen wir bilateral, und wir brauchen sie in Europa. Das hat uns der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen deutlich vor Augen geführt. Bitte geben Sie meinen herzlichen Dank weiter an die vielen Griechinnen und Griechen, die freiwillig geholfen haben und immer noch helfen, um die humanitäre Notlage auf den Inseln im Süden des Kontinents zu lindern."Unser Kontinent", das formuliere ich ganz absichtlich, weil wir derzeit wohl alle spüren, dass wir die Lasten der Flüchtlingsaufnahme nur gemeinsam tragen können. Wir dürfen einander nicht wechselseitig die Probleme überlassen, etwa bei der Sicherung der Außengrenzen. Gerade jetzt müssen wir aufeinander zugehen.

Und die ersten Schritte gibt es ja längst. Ich bin froh über jeden Grenzschützer, jede helfende Hand, die dort zum Einsatz kommen, wo es am nötigsten ist. Aber ich sehe auch: In der Europäischen Union muss sich noch weit mehr bewegen, damit wir es auch künftig schaffen, unseren Zusammenhalt zu wahren, unsere Grenzen angemessen zu sichern und unseren Werten Frieden, Freiheit und Menschenrechten treu zu bleiben. Die Krisen dieser Welt, die viele Menschen lange nur als Fernsehnachrichten kannten, diese Krisen sind jetzt als Flüchtlingsschicksale mitten in Europa erfahrbar geworden. Wir haben nun die Wahl: uns von der schieren Größe der Aufgabe lähmen zu lassen oder daran zu wachsen. Für mich ist klar, es muss darum gehen, an den Herausforderungen zu wachsen.

Die Flüchtlingskrise hat uns noch einmal drastisch vor Augen geführt, dass Staaten, auf sich allein gestellt, den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr gewachsen sind. Ohne gesamteuropäische Lösungen werden wir die jetzige Situation nicht bewältigen können. Deshalb gilt es, Solidarität zu gewährleisten und zugleich Solidarität anzunehmen. Wir wissen aus früheren Krisen: Solidarität in Europa dient den Interessen beider Seiten, dem Nehmenden wie dem Gebenden. Und schon im nächsten Moment, in der nächsten Krise, kann aus dem Gebenden ein Nehmender werden.

Lassen Sie mich eine nächste große Herausforderung ansprechen. Vor allem die junge Generation ist darauf angewiesen, dass wir ihr Lebensperspektiven ermöglichen. Wir müssen uns fragen, wie wir die heute Zwanzigjährigen für die Idee einer freiheitlich-demokratischen und solidarischen Gesellschaft gewinnen können die jungen Flüchtlinge aus Syrien genauso wie die jungen Arbeitslosen, die ihre Heimat Griechenland oder Spanien und Portugal verlassen, um etwa hier in Berlin in Lohn und Brot zu kommen. Ich bin froh, wenn wir Menschen hier die Gelegenheit geben können, sich eine Perspektive zu erarbeiten. Aber ich sage zugleich: Genauso wichtig muss es uns sein, dass diese Generation zu Hause wieder eine Zukunft erhält. Dass sie Berufsausbildung und Arbeit findet und sich eine Existenz aufbauen kann. Deshalb sind mir beispielsweise die Initiativen zur Förderung der Dualen Ausbildung in Griechenland sehr wichtig.

Herr Präsident,

unsere bilaterale Agenda kann bei solchen Projekten zum Glück auf Akteure und Strukturen setzen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Denken wir beispielsweise an die langjährigen bilateralen Kooperationen im Bereich der Hochschulen und der Wissenschaft, etwa die viel gelobte archäologische Zusammenarbeit.

Denken wir aber auch an die neueren Ansätze wie die Deutsch-Griechische Partnerschaft, die Deutsch-Griechische Versammlung, den Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds oder an eines meiner Herzensanliegen für die nächsten Jahre, das Deutsch-Griechische Jugendwerk. Ich hoffe sehr, dass wir zu all diesen Vorhaben im Gespräch bleiben.

In diesem Sinne bitte ich Sie nun, mit mir das Glas zu erheben:

Auf Ihr Wohl, Herr Präsident, auf das Wohl der Hellenischen Republik, auf das Blühen und Gedeihen der griechisch-deutschen Freundschaft und auf den Zusammenhalt Europas!