Redner(in): Johannes Rau
Datum: 11. Oktober 2000

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2000/10/20001011_Rede.html


Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau auf dem Deutsche-Welle-Forum "Studieren in Deutschland" am 11. Oktober 2000 in Berlin

Meine Damen und Herren,

I. ich bin gern dabei, wenn ein großes und wichtiges Projekt der Deutschen Welle beginnt. Wir haben es soeben von Herrn Professor Weirich gehört: Unterstützt von den großen Wissenschafts- und Mittlerorganisationen will sie weltweit intensiv für das Studieren in Deutschland werben. Über Fernsehen, über Radio und Internet sollen die Qualität und die Attraktivität unserer Hochschulen und Universitäten international vermittelt werden.

Vielleicht fragen sich manche: Wieso brauchen wir eine solche Werbung? Sind unsere Hochschulen für Studierende aus dem Ausland nicht attraktiv genug?

Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass die Zahl der ausländischen Studierenden an unseren Hochschulen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen ist, von rund 100.000 im Jahre 1990 auf etwa 170.000 gegenwärtig. Und auch von der Alexander von Humboldt-Stiftung und vom DAAD höre ich, dass das Interesse an einem Studien- und Forschungsaufenthalt in Deutschland nach wie vor ungebrochen ist.

Sehen wir uns die Dinge näher an, dann sind es ohne die so genannten Bildungsinländer - ich wünschte mir, der Erfinder dieses Wortes bekäme endlich mal einen Preis - allerdings nur etwas mehr als 100.000 junge Ausländer, die bei uns studieren. Und dazu kommt: Der Zuwachs in den 90-er Jahren ist zum großen Teil den Studierenden aus europäischen Ländern zu verdanken.

Die Zahl der jungen Leute aus Asien und Amerika hat dagegen eher nachgelassen oder sie stagniert. Das ist kein gutes Zeichen.

II. Bildungseinrichtungen, Bildungssysteme, Studienorte werden heute international beachtet und verglichen. Die zunehmende Nachfrage nach hochqualifizierten, nach international erfahrenen Arbeitskräften beschleunigen die Entwicklung eines, wenn man so sagen kann, globalen Bildungsmarktes. Wir müssen in diesem internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe mitmachen, und wir müssen Flagge zeigen. Wir müssen international attraktiv bleiben und noch attraktiver werden.

Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass Deutschland gegenwärtig auf dem internationalen Bildungsmarkt nur eine bescheidene Rolle spielt. 90 % aller jungen Leute, die nicht im eigenen Land studieren, entscheiden sich für ein Studium in einem angelsächsischen Land; vor allem für die Vereinigten Staaten, aber auch für Großbritannien und zunehmend für Australien.

Warum macht uns das Sorgen? Weil es uns als großer Exportnation, als Forschungs- und Technologieland mit internationalen Verflechtungen gewiss schadet, wenn wir unter den künftigen Eliten in Asien, Südamerika oder Afrika immer weniger Kenner und darum wahrscheinlich auch weniger Freunde unseres Landes haben. Wir brauchen das intellektuelle Potenzial guter ausländischer Studierender und Wissenschaftler.

Wir brauchen aber noch mehr die menschlichen Beziehungen und Verbindungen, die entstehen. Wer in Deutschland studiert und gute Erfahrungen macht, der wird das später weiter geben, und so werden diese jungen Menschen zu einer Art von Botschaftern unseres Landes in aller Welt. Darum ist es für uns so wichtig, dass wir die Attraktivität deutscher Hochschulen für ausländische Studierende und Wissenschaftler steigern. Die Bundesrepublik Deutschland muss besonders für die herausragend qualifizierten Studierenden aus allen Teilen der Welt wieder interessanter werden.

III. Ich glaube allerdings, dass es falsch wäre, wenn wir unser Licht ganz unter den Scheffel stellen: Deutschland hat für ausländische Studierende und Forscher viel zu bieten. Unsere Hochschulen sind gewiss um einiges besser als das im In- und Ausland oftmals beschrieben wird. Innerhalb der Fachdisziplinen wird Hervorragendes geleistet, und die deutschen Universitäten sind im Durchschnitt sicher nicht schlechter als die amerikanischen oder die britischen.

Wenn sich unsere Hochschulen im internationalen Wettbewerb dennoch schwer tun, dann hat das gewiss Gründe. Zum Beispiel kann der Hochschulstandort Deutschland im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und zu Großbritannien nicht mit der Ausstrahlungskraft von Spitzenuniversitäten werben, mit Harvard, mit Stanford, mit Yale, mit Princeton, mit Oxford und Cambridge. Sie sind weltweit ein Begriff für attraktive Studieninstitutionen, während etwa in den aufstrebenden Ländern Asiens, wie in Taiwan, in Südkorea, in Singapur oder in Indien wohl nur die Wenigsten auf Anhieb eine deutsche Universität nennen könnten. Das war einmal anders, als in der internationalen akademischen Welt Heidelberg und Göttingen, Tübingen und Berlin fast alle anderen Namen überstrahlt haben.

Zu den übrigen Gründen gehört gewiss die Bedeutung, die weltweit die amerikanische Zivilisation, der amerikanische "way of life" erlangt haben, vor allem natürlich die weltweite Dominanz der englischen Sprache. Wir dürfen uns nichts vormachen: Diese wesentlichen Startvorteile der angelsächsischen Hochschulen werden bleiben. Dennoch können wir manches tun, um die internationale Attraktivität des Studienstandorts Deutschland zu steigern.

IV. Unser Studienangebot muss inhaltlich und sprachlich stärker internationalisiert werden. Ich begrüße die Einrichtung von Studienabschlüssen wie Bachelor und Master ausdrücklich. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des lebenslangen Lernens halte ich es auch für überlegenswert, an unseren Hochschulen qualifizierte Fort- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln, sie weltweit anzubieten und systematisch zu einem Markenartikel des deutschen Hochschulwesens auszubauen. Die internationale Zusammenarbeit unserer Hochschulen mit Instituten im Ausland müssen wir noch verstärken. Warum soll es nicht möglich sein, etwa in Partnerschaft mit Universitäten der Gastländer Dependancen deutscher Hochschulen im Ausland zu gründen?

Für ganz entscheidend halte ich aber, dass wir bürokratische Hindernisse beseitigen, die das Studium von Ausländern hierzulande unnötig erschweren. Wir sollten die ausländerrechtlichen und die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen verbessern, jedenfalls was ihre Anwendung in der Praxis für ausländische Studierende betrifft.

Noch wichtiger ist es, dass unser Land insgesamt ausländische Studierende mit offenen Armen aufnimmt. Ausländerfeindlichkeit ist nicht nur in sich unannehmbar, sie ist auch katastrophal für den Ruf Deutschlands gerade bei jungen Studenten. Wer entscheidet sich schon für das Studium in einem Land, in dem auf offener Straße Ausländer angegriffen werden? Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass wir Rassismus und Ausländerfeindlichkeit aus moralischen Gründen genauso bekämpfen müssen wie in unserem ureigenen Interesse als zweitgrößte Exportnation der Welt. Wir brauchen eine gute und intensive Betreuung und Begleitung der ausländischen Studierenden. Die Qualität der Betreuung spricht sich im Ausland herum. Und es wird entscheidend sein, wie herzlich und wie gastfreundlich oder wie gleichgültig oder gar ablehnend wir alle uns verhalten.

V. Schließlich halte ich es für richtig und wichtig, dass wir das Angebot und die Leistungen unserer Hochschulen stärker und besser als bisher im Ausland darstellen. Das Multimedia-Projekt der Deutschen Welle scheint mir ein wichtiger Schritt auf diesem Weg zu sein. Mein Eindruck ist, dass wir viel zu lange gezögert haben, für die Qualitäten der deutschen Hochschulen gezielt zu werben. Ich denke, dass uns da etwas mehr Selbstbewusstsein nicht schaden kann. Es genügt nicht, gut zu sein. Man muss auch zeigen, dass man gut ist. Wirklich erfolgreich kann die Werbung für den Hochschulstandort Deutschland aber nur sein, wenn alle Beteiligten - die Hochschulen und der Bund, die Länder, die Wissenschafts- und Mittlerorganisationen, die politischen Stiftungen, die Botschaften, und auch die im Ausland engagierte deutsche Wirtschaft - konstruktiv zusammen wirken, am besten nach einem gemeinsamen Konzept.

Studieren in Deutschland - das soll wieder eine gute, eine kostbare Sache und ein begehrtes Ziel sein. Es soll ein Markenartikel werden, der in aller Welt einen guten Ruf hat.

Ich danke der Deutschen Welle und allen Beteiligten für ihr wichtiges Multimedia-Vorhaben und ich wünsche dem Projekt Studieren in Deutschland wahrlich allen Erfolg.