Redner(in): Johannes Rau
Datum: 9. Mai 2001
Anrede: Herr Vice Chancellor,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/05/20010509_Rede2.html
wenn wir Deutsche eine geographische Distanz überwinden wollen, die uns doch nur scheinbar trennt, dann suchen wir gerne Beispiele für Gemeinsamkeiten in der Vergangenheit. Und da finden wir zwischen unseren beiden Ländern eine Verbindung der schönsten Art: Georg Forster ist im achtzehnten Jahrhundert mit James Cook nach Neuseeland gekommen und hat Beschreibungen Ihres Landes von einer Schönheit und Präzision verfasst, die wir heute noch bewundern.
Forsters Name verbindet sich auch mit einem Thema, das seit damals nichts an Bedeutung verloren hat: Er hat sich kritisch damit auseinandergesetzt, wie Europäer fremden Völkern begegneten; in einem Traktat mit dem Titel "Noch etwas über die Menschenrassen" hat er sich für die Gleichberechtigung aller Rassen eingesetzt.
Das gegenseitige Beobachten und Studieren ging aber in beide Richtungen. Sie wissen das: Die großartige und eigenwillige neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield hat uns Deutsche ganz genau studiert, und sie hat uns scharf gezeichnet - mit ätzendem Stift sozusagen. Wenn sie den sauerkrautverschlingenden Handelsvertreter, die adelshörigen Beamtenwitwen oder den wanderwütigen Universitätsprofessor karikiert, dann ist das nicht so schmeichelhaft für uns - aber wir fühlen uns dadurch liebevoll auf den Arm genommen.
Menschen, die wie Forster oder Mansfield die Gabe hatten, Entfernungen zu überbrücken, weil sie Zusammenhänge sehen, waren zu ihrer Zeit vielleicht Ausnahmen. Heute brauchen wir für den engen Zusammenhang und die Abhängigkeit zwischen Kontinenten, Regionen und Menschen keine großen Erklärungen mehr. Jeder spürt sie am eigenen Leib. Wenn in Tokio oder Kuala Lumpur die Börse hustet, dann fröstelt es nicht nur die Banken in der übrigen Welt. Und wenn in Europa aus Angst vor grassierenden Tierseuchen auch falsche Informationen über die Qualität des neuseeländischen Fleisches verbreitet werden, dann spüren neuseeländische Unternehmen das sofort und unmittelbar. Die Angst schädigt aber auch die Exporteure in Argentinien, Namibia und anderswo in der Welt. Die Handelsbeziehungen sind eng, die Kommunikationswege sind kurz, und das macht sie sensibel.
Aus globaler Verflechtung folgen für alle Mitglieder der Staatengemeinschaft gemeinsame Probleme und damit auch gemeinsame Interessen. Die Zahl der Aufgaben nimmt zu, die wir nur gemeinsam lösen können und müssen. Die Zahl von Partikularinteressen, die heutzutage noch akzeptiert werden, nimmt weltweit ab. Und das aus gutem Grund: In vielen Fällen führt nur noch gemeinsames Handeln zum Ziel. Lassen Sie mich das an drei Beispielen illustrieren: am Zusammenleben der Kulturen, dem grenzübergreifenden Zusammenhang politischer Entscheidungen und an der Umweltproblematik.
Für das Zusammenleben der Kulturen beginne ich beim Nächstliegenden und Anschaulichen: Ihre Universität genießt in Deutschland einen ausgezeichneten Ruf, nicht nur was Lehre und Forschung in allen Disziplinen angeht, sondern vor allem auch für die offene, tolerante Atmosphäre, die ihren Charakter in besonderer Weise prägt. Ich höre, dass sechs Prozent ihrer Studenten von den pazifischen Inseln kommen und dass über ein Viertel der Studierenden aus Asien stammt. Ich freue mich natürlich auch darüber, dass unter den Studierenden aus Übersee auch deutsche Studenten zu finden sind. Diese Vielfalt der Nationalitäten macht Ihre Universität ganz von selbst zu einem Ort der interkulturellen Begegnung.
Das scheint mir charakteristisch zu sein für Neuseeland, seit dem Vertrag von Waitangi. Wir verfolgen mit großer Hochachtung, wie Neuseeland sich darum bemüht, verschiedene kulturelle Traditionen so zu integrieren, dass niemand seine Identitäten verliert. Mir scheint, dass wir in Europa beim Streben nach Erweiterung der Union und dem gleichzeitigen engeren Zusammenrücken der Völker und Staaten von Ihnen lernen können.
Wir in Europa haben langsam gelernt. Jahrhunderte hat es gedauert, bis wir verstanden haben, dass die Durchsetzung von Partikularinteressen auf Kosten anderer Länder nicht zum Frieden führen kann und dass nur die Entwicklung einer Kultur der gegenseitigen Achtung dazu beiträgt, Frieden zu schaffen und gemeinsame Interessen zu fördern, im Inneren wie im Äußeren.
Der Druck, das Zusammenleben bisher voneinander getrennter Kulturen zu lernen, wächst in allen Staaten der Welt. Er verstärkt sich vor allem unter den Bedingungen der modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Die Menschen wandern, Ideen wandern, Techniken wandern, und das Kapital wandert selbstverständlich auch. Grenzen spielen da kaum mehr eine Rolle, sie können nur vorübergehend aufhalten.
Diese Entwicklungen laufen aber nirgendwo in der Welt ohne Probleme ab. Das Zusammenrücken der heutigen Gesellschaften durch die modernen technischen Möglichkeiten hat ja nicht nur viele materielle Vorteile gebracht. Oft hat es auch eine elementare Angst vor der Begegnung mit dem Fremden verstärkt.
Früher haben meine deutschen Landsleute Moslems, Buddhisten und Vertreter anderer Kulturen auf Reisen vor allem als "exotisch" und als "interessant" wahrgenommen. Heute sind es Nachbarn im gleichen Haus, in der gleichen Straße. Und da verhält sich mancher plötzlich anders, als er das auf Reisen getan hat. Die Toleranzfähigkeit ist in Deutschland eine zentrale politische und gesellschaftliche Frage geworden.
Bei dem Versuch, solche und ähnliche Probleme zu lösen, lernt man schnell, wie eng bei manchen politischen Entscheidungen Nationales und Internationales verflochten ist und wie weitreichend die Folgen politischen Handelns sein können. Das ist mein zweites Beispiel für die Notwendigkeit gemeinsamer Interessenverfolgung:
Ein drittes Beispiel für globales Zusammenwirken ist das Thema Umwelt. Die Diskussion um das Kyoto-Protokoll zeigt erneut, wie wichtig es ist, den Blick über den Tag hinaus auf das langfristige gemeinsame Interesse zu richten.
Die klimaverändernden Wirkungen des Kohlendioxidausstoßes sind noch nicht hundertprozentig nachgewiesen, und ich frage mich, ob das jemals möglich sein wird. Ich kenne jene scheinbar wissenschaftliche Position, die sagt: Solange nicht bewiesen ist, dass der CO2 -Ausstoss zu Klimaveränderungen führt, sollte man nichts dagegen tun, jedenfalls nichts, was Unternehmen kurzfristig belastet.
Ich hielte es für nicht verantwortbar, wenn fehlende wissenschaftliche Gewissheit zur Begründung für unterlassenes Handeln würde. Hier muss das Vorsorgeprinzip gelten, weil es zu spät wäre, erst dann zu handeln, wenn die Folgen der durch menschliches Handeln verursachten Klimaveränderungen bereits eingetreten sind. Vorsorglich zu handeln sollte uns in diesem Fall besonders leicht fallen, weil die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid und anderen klimarelevanten Emissionen auch ein wirtschaftlich wünschenswerter Beitrag zu einer höheren Energie- und Ressourcenproduktivität ist. Neue Technologien für mehr Energieeffizienz und für die Nutzung von Sonne, Wind und Wasserkraft haben in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weltweit ein außerordentlich großes Marktpotential.
Wir sollten in der Klimapolitik wie ein guter Arzt handeln, der einen Patienten mit Fieber vor sich hat, aber im Blutbild keinen der bekannten Erreger feststellen kann. Er darf nicht warten, bis der Tod des Patienten den Beweis der Ernsthaftigkeit der Krankheit erbringt.
Die Beschäftigung mit Umweltfragen ist für mich kein Zeichen von Kulturpessimismus, wie das manchmal gesehen wird, sondern der Wille zu wirtschaftlichem und technischen Optimismus. Investitionen in die Umwelt zahlen sich aus. Das haben uns die japanischen Autobauer in den siebziger Jahren gezeigt, als sie vor allen anderen den serienmäßigen Katalysator in ihre Fahrzeuge einbauten und damit in den USA und in Europa Exporterfolge ohnegleichen erzielt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu den bilateralen Beziehungen zwischen Neuseeland und Deutschland sagen.
Es ist im Sinne dessen, was wir seit Georg Forster und Katherine Mansfield und mit der Globalisierung gelernt haben: Dass wir die große Distanz, die es, gemessen in Kilometern oder Meilen, zwischen unseren Ländern gibt, durch aktives Handeln ein Stück zu verkleinern suchen. Dem dient es, wenn deutsche Studenten hier in Auckland studieren. Dem dient es auch, wenn möglichst viele neuseeländische Studenten sich einmal in Deutschland umsehen.
Ich freue mich deshalb außerordentlich darüber, dass der Deutsche Akademische Austauschdienst an dieser Universität ein Lektorat und eine Beratungsstelle für neuseeländische Studenten eingerichtet hat, die wir mit meinem Besuch einweihen wollen. Ich wünsche mir, dass von diesem Angebot reichlich Gebrauch gemacht wird.
Ich denke da ganz pragmatisch: Die Wirtschaftspartnerschaft zwischen Neuseeland und Deutschland zu entwickeln, deutsche Besucher in Ihr wunderbares Land zu bringen und im internationalen politischen Bereich gemeinsame Positionen zu erarbeiten: All das sind Ziele, die ich für erstrebenswert halte. Sie sind am besten zu erreichen, wenn man sich vorher schon kennt. Dem dient der wissenschaftliche Austausch zwischen unseren Ländern.
Der Weg von Deutschland nach Neuseeland mag weit sein. Der Weg von einer Kultur zur anderen, von den Problemen der Globalisierung zu der Einsicht, sie gemeinsam zu lösen, ist es nicht. Ich wünsche Ihnen, vor allem natürlich den Studenten unter Ihnen, dass diese Einsicht einmal zu den wesentlichen Ergebnissen ihres akademischen Lebens gehören wird.